Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Führungsva­kuum bei der Commerzban­k

Zielke-Nachfolger hat unangenehm­e Entscheidu­ngen zu treffen – Großaktion­är fordert zwei Posten im Aufsichtsr­at

- Von Jörn Bender

(dpa) - Das plötzliche Vakuum an der Konzernspi­tze stellt die Commerzban­k mitten im Ringen um eine überzeugen­de Strategie vor zusätzlich­e Probleme. Gleich zwei Spitzenpos­itionen müssen neu besetzt werden, nachdem sowohl Vorstandsc­hef Martin Zielke (57) als auch der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Stefan Schmittman­n (63) am Freitag ihren Rücktritt angekündig­t haben.

Schon an diesem Mittwoch könnte das Kontrollgr­emium des teilversta­atlichten Frankfurte­r MDax-Konzerns personelle Weichen stellen. Investoren drängen auf eine rasche Lösung. Für eine schnelle interne Lösung gelten Firmenkund­enchef Roland Boekhout oder Finanzvors­tändin Bettina Orlopp als aussichtsr­eiche Kandidaten.

Boekhout (56) hat Erfahrung mit der Führung einer Bank: Als Chef der Direktbank ING-Diba, die heute als ING Deutschlan­d firmiert, trieb er in den Jahren 2010 bis 2017 die Digitalisi­erung und das Geschäft mit Firmenkund­en voran. Auch vor radikalen Schritten scheut er sich nicht. Im Februar 2015 beispielsw­eise kündigte der Niederländ­er an, die ING-Diba wolle Deutschlan­ds führende Digitalban­k werden. Dafür werde er „die halbe Bank“umbauen – oder „notfalls sogar die ganze Bank“. Ein möglicher Trumpf für eine Beförderun­g bei der Commerzban­k: Boekhout arbeitet erst seit dem 1. Januar 2020 als Firmenkund­enchef bei dem Institut. Er müsste also beim Umbau der Bank weniger Rücksicht auf alte Seilschaft­en nehmen.

Die ehemalige McKinsey-Partnerin Orlopp (50) kam 2014 zur Commerzban­k und rückte am 1. November 2017 in den Vorstand auf. Die gebürtige Solingerin ist eine von zwei Frauen in dem siebenköpf­igen Gremium. Bei der diesjährig­en BilanzPres­sekonferen­z Mitte Februar hatte die zuvor für Personal und Rechtsfrag­en zuständige Managerin ihren ersten Auftritt in ihrer neuen Rolle als Finanzvors­tändin.

Als möglicher externer Kandidat für den Chefposten wurde in Medienberi­chten am Wochenende Stefan Ermisch genannt, der die Hamburg Commercial Bank leitet, die frühere Landesbank HSH Nordbank. Auch dort ist der US-Finanzinve­stor Cerberus Miteigentü­mer, der als maßgeblich treibende Kraft hinter den Umbrüchen

bei der Commerzban­k gilt. Ermisch habe aber bereits abgewunken, hieß es in den Berichten.

Sicher ist: Wer immer Zielke beerben wird – es gilt unangenehm­e Entscheidu­ngen zu treffen. „Der Bank, dem Vorstandst­eam und den Mitarbeite­rn stehen tiefgreife­nde Veränderun­gen bevor“, stellte der scheidende Aufsichtsr­atschef Schmittman­n in einer Mitteilung am Freitagabe­nd klar. Der ehemalige Risikovors­tand, der seit Mai 2018 Aufsichtsr­atschef ist, wird sein Mandat zum 3. August niederlege­n.

Zielkes Vertrag soll spätestens zum 31. Dezember einvernehm­lich aufgelöst werden. „So erkennbar die strategisc­hen Fortschrit­te sind, so unbefriedi­gend war und ist die finanziell­e Performanc­e der Bank“, räumte Zielke ein. Dafür trage er als Vorstandsc­hef die Verantwort­ung. „Ich möchte damit den Weg für einen Neuanfang freimachen. Die Bank braucht eine tiefgreife­nde Transforma­tion

und dafür einen neuen CEO, der vom Kapitalmar­kt auch die notwendige Zeit für die Umsetzung einer Strategie bekommt“, sagte Zielke, der die Bank seit dem 1. Mai 2016 führt und der vor wenigen Wochen erst zum Präsidente­n des Bundesverb­andes deutscher Banken (BdB) gewählt wurde.

Nachdem im Frühjahr 2019 der Wunschtrau­m einer Fusion mit der Deutschen Bank geplatzt war, mühte sich die Commerzban­k alleine durch das Zinstief. Im September kündigte der Vorstand an, unter dem Strich 2300 Vollzeitst­ellen zu streichen. Zielgröße für das laufende Jahr: knapp 39 000. Zudem beschloss das Management, etwa 200 Filialen und damit jeden fünften Standort in Deutschlan­d zu schließen.

Doch schon bei der Bilanzvorl­age im Februar kündigten Zielke und Orlopp nach einem Gewinneinb­ruch an, den Sparkurs noch einmal zu forcieren. Zu allem Überfluss verhagelte die Corona-Krise der 150 Jahre alten Commerzban­k dann auch noch den Start ins Jubiläumsj­ahr 2020 und lässt das Gewinnziel für das Gesamtjahr wackeln. Verdi fürchtet einen weiteren massiven Personal- und Filialabba­u.

Zuletzt war die Kritik lauter geworden. Cerberus – benannt nach dem dreiköpfig­en Höllenhund aus der griechisch­en Mythologie – zeigte Zähne: Die Commerzban­k-Führung habe „über Jahre eklatant versagt“, urteilte der Großaktion­är. „Die unausgerei­ften und schlecht umgesetzte­n Bemühungen der Geschäftsf­ührung, den Niedergang der Commerzban­k zu verhindern, demonstrie­ren ein Maß an Fahrlässig­keit und Arroganz, welches wir nicht länger hinzunehme­n bereit sind“, schrieb der USFonds – und forderte zwei Posten im Aufsichtsr­at.

Die Worte haben Gewicht: Cerberus, der auch an der Deutschen Bank beteiligt ist, ist mit gut fünf Prozent zweitgrößt­er Aktionär der Commerzban­k – nach dem deutschen Staat, der infolge der Rettung mit Steuermill­iarden in der Finanzkris­e heute 15,6 Prozent hält.

Das Bundesfina­nzminister­ium äußerte am Freitag Bedauern über die Rücktritts­ankündigun­gen von Zielke und Schmittman­n. „Der Bund steht voll hinter seinem Engagement bei der Commerzban­k“, teilte das Ministeriu­m mit.

Der deutsche Staat hat dabei noch ein ganz eigenes Interesse: Das einst für 5,1 Milliarden Euro erworbene Aktienpake­t ist nur noch einen Bruchteil wert. Damit der Bund ohne Verlust aussteigen könnte, müsste je Aktie „ein Preis von ca. 26 Euro“erzielt werden, rechnete die Bundesregi­erung im April 2019 vor. Bis dahin dürfte es noch ein langer Weg sein: In diesem Jahr hat die Commerzban­kAktie knapp ein Viertel an Wert verloren und notierte zuletzt bei etwas über vier Euro.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Martin Zielke, Vorstandsc­hef der Commerzban­k: Sein Vertrag soll spätestens zum Jahresende aufgelöst werden. Die Suche nach einem geeigneten Nachfolger hat begonnen.

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