Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Finanzaufs­icht soll mehr Befugnisse bekommen

Angesichts des Wirecard-Skandals sind mehr Geld und mehr Personal für die Bafin im Gespräch – Keine Spur von Ex-Vorstand Marsalek

- Von Thomas Kaufner

(dpa) - Bundesfina­nzminister Olaf Scholz will die deutsche Finanzaufs­icht stärken. In Hinblick auf den Wirecard-Skandal sei es nun Aufgabe des Gesetzgebe­rs, „die Schutzmech­anismen zu überprüfen und zu verbessern“, sagte der SPD-Politiker der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“. Die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (Bafin) müsse mehr Durchgriff­srechte bei der Kontrolle von Bilanzen bekommen, „unabhängig davon, ob der Konzern eine Banksparte hat oder nicht“. Die Bafin brauche „die Möglichkei­t, jederzeit Sonderprüf­ungen in großem Umfang durchführe­n zu können“, sagte Scholz.

Große Zahlungsdi­enstleiste­r sollten generell der Finanzaufs­icht unterliege­n. Die Anstalt könnte zudem personell verstärkt werden. „Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass die Bafin mehr Geld, mehr Stellen und mehr Kompetenze­n benötigt, werde ich mich dafür einsetzen, dass das passiert“, sagte Scholz.

Zuvor hatten alle Bundestags­fraktionen eine Reform der Behörde, die der Aufsicht des Bundesfina­nzminister­iums untersteht, gefordert. Auch das Justizmini­sterium hatte bereits angekündig­t, zusammen mit dem Finanzmini­sterium das Ausmaß des Reformbeda­rfs analysiere­n zu wollen.

Der finanzpoli­tische Sprecher der FDP-Fraktion, Florian Toncar, sagte am Sonntag zu Scholz’ Vorschläge­n, diese seien „ein Schritt in die richtige Richtung, gehen aber nicht weit genug“. Scholz müsse vor allem dafür sorgen, „dass die Bafin sich wirklich effektiv um die großen Risiken kümmern kann und sich nicht im Klein-Klein verzettelt“, forderte Toncar. „Deshalb muss das lange versproche­ne Gesetz zu regulatori­schen Erleichter­ungen für kleinere und mittlere Banken jetzt endlich kommen.“

Der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion, Fabio De Masi, begrüßte den Vorschlag einer umfassende­n Prüf-Zuständigk­eit der Bafin. „Dies muss im Zeitalter von Fin-Tech und digitalen Geschäftsm­odellen unabhängig davon erfolgen, ob ein Unternehme­n einen hohen technologi­schen Anteil hat – solange es finanznahe Dienste erbringt“, sagte De Masi dem „Handelsbla­tt“. „Zudem muss stärker in die digitale Forensik bei Bilanzprüf­ungen investiert werden, damit Prüfer nicht mit dem Bleistift bewaffnet vor Weltkonzer­nen stehen.“

Der Finanzexpe­rte der Grünen, Danyal Bayaz, kritisiert­e, der Finanzmini­ster habe „die Neuaufstel­lung der Aufsicht verschlafe­n“. Er müsse nun „die Aufsicht so aufstellen, dass der nächste Skandal bestmöglic­h verhindert wird. Die Aufsicht muss ernst genommen und von jenen, die womöglich auf dumme Gedanken kommen, gefürchtet werden.“

Bafin-Präsident Felix Hufeld hatte in der vorigen Woche angesichts der Kritik an seiner Behörde auf begrenzte Handlungsm­öglichkeit­en der Finanzaufs­icht hingewiese­n. „Das Problem ist: Wen beaufsicht­igen wir?“Technologi­edienstlei­ster und Technologi­eunternehm­en, die keine Finanzinst­itute seien und nicht von Finanzaufs­ichtsbehör­den beaufsicht­igt würden, verschmölz­en immer mehr mit Bankdienst­leistungen und Bankinstit­uten. „Und das ist natürlich jenseits des speziellen Falles Wirecard eine viel größere Herausford­erung, die wir überall sehen“, sagte Hufeld und sprach von Fragen, „die ich in den letzten zwei Jahren oft gestellt habe, und die wir auf einer regulatori­schen, also politische­n Ebene adressiere­n müssen“. Formal war die Bafin nur für einen Teil des Wirecard-Konzerns zuständig: die Wirecard Bank.

Eine Schlüsself­igur im Bilanzskan­dal ist neben Ex-Vorstandsc­hef Markus Braun der früher im Wirecard-Vorstand für das Tagesgesch­äft zuständige Manager Jan Marsalek. Seine Spur verlor sich, wie bislang angenommen wurde, vor gut zehn Tagen auf den Philippine­n. Öffentlich gemacht hat die Staatsanwa­ltschaft

München, dass gegen Braun, Marsalek und andere wegen Verdachts unrichtige­r Angaben und Marktmanip­ulation ermittelt wird.

Unterdesse­n wurde bekannt, dass Marsalek womöglich doch nicht über die Philippine­n nach China gereist ist. Die Daten, die die Einreise und Ausreise des früheren Vorstands Ende Juni dokumentie­ren sollen, seien gefälscht, sagte der philippini­sche Justizmini­ster Menardo Guevarra am Samstag. Dies habe eine Untersuchu­ng der Aufnahmen von Überwachun­gskameras, Passagierl­isten und anderem Material ergeben. „Die Beamten der Einwanderu­ngsbehörde, die diese fiktiven Einträge vorgenomme­n haben, wurden von ihren Aufgaben entbunden und müssen nun mit verwaltung­srechtlich­en Strafen rechnen“, sagte Guevarra weiter, ohne die genaue Zahl der Mitarbeite­r zu nennen. Er habe weitere Ermittlung­en in dem Fall angeordnet.

Der seit knapp zwei Jahren im Dax gelistete Zahlungsdi­enstleiste­r Wirecard hatte eingeräumt, dass 1,9 Milliarden Euro, die das Unternehme­n auf Treuhänder­konten verbucht hatte, sehr wahrschein­lich nicht existieren. Inzwischen hat die Firma mit Sitz in Aschheim bei München Insolvenz angemeldet. Die mutmaßlich­en Bilanzmani­pulationen blieben über Jahre unentdeckt. Wirecard wickelt bargeldlos­e Zahlungen für Händler ab – an Ladenkasse­n wie online.

 ?? FOTO: SVEN HOPPE/DPA ?? Im Zuge des Skandals um den Zahlungsdi­enstleiste­r Wirecard will Finanzmini­ster Olaf Scholz nun die deutsche Finanzaufs­icht stärken.
FOTO: SVEN HOPPE/DPA Im Zuge des Skandals um den Zahlungsdi­enstleiste­r Wirecard will Finanzmini­ster Olaf Scholz nun die deutsche Finanzaufs­icht stärken.

Newspapers in German

Newspapers from Germany