Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die Erde ist rund
Christoph Nix’ Freilichtspektakel „Hermann der Krumme“in Konstanz uraufgeführt
- Mit dem aufwühlenden Freilichtspektakel „Hermann der Krumme oder die Erde ist rund“vor dem Konstanzer Münster hat sich der scheidende Intendant Christoph Nix am Samstagabend von seinem Publikum verabschiedet. Streng nach den derzeit geltenden Vorschriften verfolgten bei der Uraufführung rund 220 Besucher auf schachbrettartig besetzten Tribünen das Spiel.
Christoph Nix legte den Focus auf den aus dem oberschwäbischen Altshausen stammenden, schwer behinderten Mönch und genialen Wissenschaftler Hermann. Schon als Kind zum Gespött seiner Altersgenossen geworden – der Kinderchor singt ihm zum Spott das Lied vom „bucklig Männlein“–, wird er von den Eltern auf der Reichenau abgegeben.
Der Vater stiftet große Ländereien, um den ungeliebten Sohn aus den Augen der Welt zu schaffen. Doch dank Abt Berno kann sich Hermanns wacher Geist entfalten, er wird zu einem der größten Gelehrten des 11. Jahrhunderts.
Er ist anders als die übrigen Mitglieder des Konvents, unglaublich anders. Modelle aus Metall zeigen, welche Höhenflüge sein Geist vollbringt. Es gipfelt in der lapidaren, alles damalige Wissen erschütternden Feststellung, dass die Erde rund sei, dass man sich die Schöpfung ganz anders vorstellen müsse. Nix stellt Hermanns Denkansatz dem des britischen Astrophysikers Stephen Hawkings gegenüber, er lässt die beiden miteinander kommunizieren.
Das Regieteam mit Zenta Haerter, Lorenz Leander Haas und Christoph Nix wählte eine adäquate Umsetzung, stark reduziert, auf Symbole setzend. Vor dem altehrwürdigen Münster führen sie die Akteure in stimmiger, eleganter Choreografie durch die Kulissen. In wechselnden Formationen füllt der Mönchschor – hier ein Vokalensemble der Münstermusik Konstanz – den Raum, tritt in Beziehung zu den Modellen des
Universums. In einer Halbkugel ruht als zarte weiße Gestalt (Sarah Siri Lee König) Hermanns freier Geist, während sein sichtbares verkrüppeltes Ich, dargestellt vom Tänzer Mike Planz, sich in stummen Verrenkungen vor den anderen krümmt.
Welten prallen aufeinander – hier die kleinen Geister, die sich an Hermann reiben, dort seine Mutter, die in einer berührenden Szene einen Zugang zum Sohn sucht, und der Abt, Papst und Kaiser, die seine Größe erkennen und für sich nutzen.
Nix hat die unglaublichen, für die Menschen damals noch weniger vorstellbaren Gedanken klar herausgearbeitet. Spektakulär einerseits, wie ginge es auch anders, aber zugleich einleuchtend. Entscheidend ist hier nicht allein die Geistesleistung, sondern der Antrieb dazu: Hawking hat in seinem Griff nach dem Kosmos seine persönliche Freiheit gefunden: „Der Blick in den Himmel macht mich frei.“Hermann aber denkt über den Nutzen seiner Forschung nach: Wäre es besser über die Erkenntnisse zu schweigen, die Menschheit nicht zu überfordern? Weit wichtiger als der Griff ins All ist ihm die Weiterentwicklung menschlichen Zusammenlebens, einer lebenswerten Existenz auf der Erde: „Ist denn das Weltall nicht in uns?“Der Zuschauer sieht die verschiedenen möglichen Positionen und muss Stellung beziehen.
Das Spektakel ist ein überzeugender Abschluss der Theatersaison und der Freilichtspiele auf dem Münsterplatz. Wenige Personen agieren in wechselnden Rollen, machen damit auch die Austauschbarkeit, die Unwichtigkeit des Einzelnen sichtbar. Verdienter langer Applaus für das Regieteam, den scheidenden Autor und Intendanten und die Mitwirkenden.
Weitere Vorstellungen von 6. Juli bis 2. August, jeweils 20:30 Uhr. Tickets über die Theaterkasse Konstanz, Tel. 07531 900-2150, theaterkasse@konstanz.de www.theaterkonstanz.de