Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Achtjähriger landet nach der Schule in Stockach
Sigmaringer Schüler steigt in den falschen Bus ein – Busfahrer bemerkt das Unglück spät und verhält sich dann falsch
- Was tun, wenn der achtjährige Sohn nach der Schule nicht wie üblich nach Hause kommt? Und das über Stunden? Diesen Horror hat jetzt Sükran Dinc Kitir erlebt, die mit ihrer Familie in Sigmaringen nahe des Soldatenheims wohnt. Erst rund fünf Stunden nach Schulende konnte sie ihren Sohn wieder in die Arme schließen. Was ihr Sohn ihr dann erzählt hat, lässt ihr keine Ruhe. Was war geschehen?
Der Junge, dessen Namen die Mutter nicht erwähnen möchte, besucht die Geschwister-Scholl-Schule. An diesem Donnerstag im Juni war der eigentliche Schulbus aber bereits weg. Daraufhin sei er um die Mittagszeit in den Linienbus 7391 eingestiegen, nachdem er den Busfahrer gefragt habe, ob dieser Bus auch Richtung Kaserne fahre. Der Busfahrer des Busunternehmens Fecht aus Meßkirch habe das bejaht. Doch der Bus nahm eine ganz andere Route. „Mein Sohn hat nicht gewusst, wie er sich verhalten soll“, sagt die Mutter. Eine Stunde lang habe er im Bus gesessen, bis er schließlich kurz vor Stockach, 40 Kilometer von Sigmaringen entfernt, keinen Ausweg mehr gesehen und geweint habe. „In Stockach wurde es dann noch schlimmer“, sagt die Mutter. Ihr Sohn habe ihr erzählt, dass der Busfahrer ihn vor die Tür gesetzt habe mit den Worten: „Hier ist Endstation. Du musst jetzt raus.“Nur mithilfe einer Passantin, die die Not des Jungen erkannt habe, sei es gelungen, den Busfahrer zu überzeugen, den Jungen wieder mit zurück in Richtung Sigmaringen zu nehmen.
Das bestreitet Gerhard Fecht, Geschäftsführer des Busunternehmens Fecht in Meßkirch. Der Busfahrer habe aus seiner Sicht zwar in der Tat einen großen Fehler gemacht. „Als er den Jungen kurz vor Stockach bemerkt hat, hätte er umgehend bei uns anrufen müssen. Das hat er nicht getan, und dafür habe ich ihn auch zurechtgewiesen“, sagt Fecht. Dem Jungen habe der Busfahrer andererseits aber keineswegs signalisiert, ihn nicht wieder mit zurückzunehmen. „Der Busfahrer hatte seine Pause und vertrat sich die Beine. Deswegen musste der Junge auch raus aus dem Bus. Aber er hat nie gesagt, dass er den Jungen anschließend nicht wieder mit zurücknehmen würde“, sagt Fecht. Zumindest habe der Busfahrer ihm das so geschildert. Offenbar lag hier also ein Missverständnis vor: „Der Junge hat das nicht richtig kapiert“, sagt Fecht. Auch sei der Busfahrer von dem Jungen in Sigmaringen nicht gefragt worden, ob er Richtung Kaserne fahre. „Der Junge ist einfach eingestiegen“, sagt Fecht.
Sükran Dinc Kitir gibt sich damit nicht zufrieden. Ganz egal, wie es sich im Detail abgespielt habe: „Mein
Junge hat eine mehrstündige Tortur durchgemacht. Der Busfahrer hätte Busunternehmen oder Polizei informieren müssen“, sagt sie. Die Polizei wurde indes nur von ihr kontaktiert, wie diese auf Nachfrage der SZ bestätigt. „Gegen 14.45 Uhr wurde Frau Dinc Kitir auf der Polizeiwache in Sigmaringen vorstellig und schilderte, ihr Sohn sei seit geraumer Zeit überfällig“, sagt Polizeisprecher Oliver Weißflog. Sofort seien Einsatzkräfte zu einer Wohnung von einem Freund des Jungen aufgebrochen. „Durch Aussagen des Freundes wurde schnell klar, dass der Junge womöglich in einen falschen Bus eingestiegen war“, sagt Weißflog. Mit mehreren Einsatzwagen und einem Motorrad seien die Polizisten nun in verschiedenen Städten auf der Suche nach dem Jungen gewesen. Gefunden haben ihn aber letztlich Bekannte der Familie Dinc Kitir, und zwar in Krauchenwies. Dort hatte ihn der Busfahrer nämlich abgesetzt, weil ihn sein Dienstweg nicht mehr nach Sigmaringen geführt hatte – mit dem
Hinweis, er müsse auf den Bus mit der Nummer 500 warten, so Fecht. Der Junge blieb aber einfach an der Bushaltestelle sitzen, bis ihn sein von den Bekannten alarmierter Vater schließlich exakt um 16.37 Uhr aus seiner misslichen Lage befreite. „Mein Sohn traut sich seit dem Vorfall nicht mehr, alleine in den Bus einzusteigen“, sagt Sükran Dinc Kitir.
In den Tagen nach dem Vorfall sei sie zum Busunternehmen Fecht nach Meßkirch gefahren. „Ich wollte den Busfahrer anzeigen“, erklärt sie. Doch immerhin habe sich das Unternehmen entschuldigt. Zufrieden mache sie das zwar nicht, aber die Sache sei ohnehin nicht mehr rückgängig zu machen. „Was ich mir aber wünsche ist, dass die Busfahrer ganz generell aus diesem Beispiel lernen“, sagt Dinc Kitir, nach dem Motto: Die Polizei besser einmal zu viel als einmal zu wenig verständigen. Sie ist sich sicher: „Diesen Tag werden weder ich noch mein Sohn vergessen können.“