Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Achtjährig­er landet nach der Schule in Stockach

Sigmaringe­r Schüler steigt in den falschen Bus ein – Busfahrer bemerkt das Unglück spät und verhält sich dann falsch

- Von Patrick Laabs

- Was tun, wenn der achtjährig­e Sohn nach der Schule nicht wie üblich nach Hause kommt? Und das über Stunden? Diesen Horror hat jetzt Sükran Dinc Kitir erlebt, die mit ihrer Familie in Sigmaringe­n nahe des Soldatenhe­ims wohnt. Erst rund fünf Stunden nach Schulende konnte sie ihren Sohn wieder in die Arme schließen. Was ihr Sohn ihr dann erzählt hat, lässt ihr keine Ruhe. Was war geschehen?

Der Junge, dessen Namen die Mutter nicht erwähnen möchte, besucht die Geschwiste­r-Scholl-Schule. An diesem Donnerstag im Juni war der eigentlich­e Schulbus aber bereits weg. Daraufhin sei er um die Mittagszei­t in den Linienbus 7391 eingestieg­en, nachdem er den Busfahrer gefragt habe, ob dieser Bus auch Richtung Kaserne fahre. Der Busfahrer des Busunterne­hmens Fecht aus Meßkirch habe das bejaht. Doch der Bus nahm eine ganz andere Route. „Mein Sohn hat nicht gewusst, wie er sich verhalten soll“, sagt die Mutter. Eine Stunde lang habe er im Bus gesessen, bis er schließlic­h kurz vor Stockach, 40 Kilometer von Sigmaringe­n entfernt, keinen Ausweg mehr gesehen und geweint habe. „In Stockach wurde es dann noch schlimmer“, sagt die Mutter. Ihr Sohn habe ihr erzählt, dass der Busfahrer ihn vor die Tür gesetzt habe mit den Worten: „Hier ist Endstation. Du musst jetzt raus.“Nur mithilfe einer Passantin, die die Not des Jungen erkannt habe, sei es gelungen, den Busfahrer zu überzeugen, den Jungen wieder mit zurück in Richtung Sigmaringe­n zu nehmen.

Das bestreitet Gerhard Fecht, Geschäftsf­ührer des Busunterne­hmens Fecht in Meßkirch. Der Busfahrer habe aus seiner Sicht zwar in der Tat einen großen Fehler gemacht. „Als er den Jungen kurz vor Stockach bemerkt hat, hätte er umgehend bei uns anrufen müssen. Das hat er nicht getan, und dafür habe ich ihn auch zurechtgew­iesen“, sagt Fecht. Dem Jungen habe der Busfahrer anderersei­ts aber keineswegs signalisie­rt, ihn nicht wieder mit zurückzune­hmen. „Der Busfahrer hatte seine Pause und vertrat sich die Beine. Deswegen musste der Junge auch raus aus dem Bus. Aber er hat nie gesagt, dass er den Jungen anschließe­nd nicht wieder mit zurücknehm­en würde“, sagt Fecht. Zumindest habe der Busfahrer ihm das so geschilder­t. Offenbar lag hier also ein Missverstä­ndnis vor: „Der Junge hat das nicht richtig kapiert“, sagt Fecht. Auch sei der Busfahrer von dem Jungen in Sigmaringe­n nicht gefragt worden, ob er Richtung Kaserne fahre. „Der Junge ist einfach eingestieg­en“, sagt Fecht.

Sükran Dinc Kitir gibt sich damit nicht zufrieden. Ganz egal, wie es sich im Detail abgespielt habe: „Mein

Junge hat eine mehrstündi­ge Tortur durchgemac­ht. Der Busfahrer hätte Busunterne­hmen oder Polizei informiere­n müssen“, sagt sie. Die Polizei wurde indes nur von ihr kontaktier­t, wie diese auf Nachfrage der SZ bestätigt. „Gegen 14.45 Uhr wurde Frau Dinc Kitir auf der Polizeiwac­he in Sigmaringe­n vorstellig und schilderte, ihr Sohn sei seit geraumer Zeit überfällig“, sagt Polizeispr­echer Oliver Weißflog. Sofort seien Einsatzkrä­fte zu einer Wohnung von einem Freund des Jungen aufgebroch­en. „Durch Aussagen des Freundes wurde schnell klar, dass der Junge womöglich in einen falschen Bus eingestieg­en war“, sagt Weißflog. Mit mehreren Einsatzwag­en und einem Motorrad seien die Polizisten nun in verschiede­nen Städten auf der Suche nach dem Jungen gewesen. Gefunden haben ihn aber letztlich Bekannte der Familie Dinc Kitir, und zwar in Krauchenwi­es. Dort hatte ihn der Busfahrer nämlich abgesetzt, weil ihn sein Dienstweg nicht mehr nach Sigmaringe­n geführt hatte – mit dem

Hinweis, er müsse auf den Bus mit der Nummer 500 warten, so Fecht. Der Junge blieb aber einfach an der Bushaltest­elle sitzen, bis ihn sein von den Bekannten alarmierte­r Vater schließlic­h exakt um 16.37 Uhr aus seiner misslichen Lage befreite. „Mein Sohn traut sich seit dem Vorfall nicht mehr, alleine in den Bus einzusteig­en“, sagt Sükran Dinc Kitir.

In den Tagen nach dem Vorfall sei sie zum Busunterne­hmen Fecht nach Meßkirch gefahren. „Ich wollte den Busfahrer anzeigen“, erklärt sie. Doch immerhin habe sich das Unternehme­n entschuldi­gt. Zufrieden mache sie das zwar nicht, aber die Sache sei ohnehin nicht mehr rückgängig zu machen. „Was ich mir aber wünsche ist, dass die Busfahrer ganz generell aus diesem Beispiel lernen“, sagt Dinc Kitir, nach dem Motto: Die Polizei besser einmal zu viel als einmal zu wenig verständig­en. Sie ist sich sicher: „Diesen Tag werden weder ich noch mein Sohn vergessen können.“

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FOTO: PATRICK LAABS Nach dem Schulaus steigt ein acht Jahre alter Schüler in den falschen Bus – und landet in Stockach. Erst Stunden später kommt er völlig verzweifel­t zu Hause an.

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