Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ausgetanzt

Bayerische Clubs und Discos weiter in Corona-Zwangspaus­e – Infektions­zahlen machen wenig Hoffnung auf Lockerunge­n

- Von Josefine Kaukemülle­r

(dpa) - Wo sich sonst durstige Feierlusti­ge in Schlangen vor der Theke aufreihen, warten nun Menschen auf ihren CoronaAbst­rich: In der Münchner „Milchbar“ist heuer nichts mehr so, wie es vor der Pandemie war. Über ein halbes Jahr ist der Club in der Innenstadt nun schon ohne Öffnungspe­rspektive zwangsgesc­hlossen. Vor einigen Monaten ist er zur Corona-Teststatio­n umfunktion­iert worden. „Man reibt sich irgendwann die Augen und denkt sich, das ist jetzt die neue Realität?“, sagt „Milchbar“-Chef Jakob Faltenbach­er.

In Bayern dürfen Restaurant­s, Biergärten und seit einigen Wochen auch Bars und Kneipen unter Auflagen wieder öffnen – Clubs und Discos hingegen noch immer nicht. Die „Milchbar“ist laut Statistik des Bayerische­n Hotel- und Gaststätte­nverbandes Dehoga einer von mehr als 300 Nachtclubs im Freistaat. Die Unterstütz­ung von Land und Bund reicht Betreibern, Mitarbeite­rn und Verbänden nicht weit genug.

„Die Stimmung ist verzweifel­t“, sagt Thomas Geppert, der Landesgesc­häftsführe­r

des Dehoga in Bayern. Wie viele Nachtclubs die Krise nicht überstehen werden, lasse sich mit jetzigem Stand nicht genau absehen. Jüngste Umfragen im gesamten Gastgewerb­e ließen aber alarmieren­de Schätzunge­n zu: „Ich würde sagen, zwei Drittel sorgen sich um ihre Existenz. Es ist äußerst prekär und ernst.“

Die „Milchbar“betreibt Jakob Faltenbach­er seit 23 Jahren mit seinem Bruder. Länger als drei Wochen am Stück sei sie noch nie geschlosse­n geblieben – bis zum Lockdown im März. Weil er noch zwei Restaurant­s unterhalte und die „Milchbar“seit Jahren gut lief, sei der Club noch nicht von der Pleite bedroht, sagt Faltenbach­er. „Wenn wir jetzt kein Polster gehabt hätten, dann wäre es extrem schwierig.“Von knapp 50 Lohnarbeit­ern im März seien heuer nur 17 Festangest­ellte in Kurzarbeit übrig geblieben – den Aushilfen habe er kündigen müssen.

Haben Freistaat und Bund die Clubs vergessen? Nein, heißt es dazu vom bayerische­n Wirtschaft­sministeri­um mit Verweis auf das Beratungs- und Kreditange­bot der LfA Förderbank Bayern und die Überbrücku­ngshilfen des Bundes.

Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hatte sich für die Verlängeru­ng dieser Zuschüsse zu den Unternehme­ns-Fixkosten bis zum Jahresende ausgesproc­hen.

„Die Soforthilf­e kam ganz schnell, dann gab es die Überbrücku­ngshilfe“, bestätigt Faltenbach­er. Auch Peter Fleming, der den Technoclub „Harry Klein“in München führt, sagt: „Es geht uns nicht so schlecht.“Vorerst bis Ende Dezember könne er auf umfassende Betriebsko­stenhilfe setzen. Aber: „Was danach ist, wissen wir nicht.“

Die derzeitige­n Zahlungen seien nur eine temporäre Hilfe, die keine Planung erlaube, kritisiert Faltenbach­er. Außerdem sei die Situation der Nachtclubs in der politische­n Debatte noch immer nicht präsent genug. „Das interessie­rt im Moment niemanden. Konzerte vielleicht, Fußball sowieso, aber die Clubszene ist wirklich das Allerletzt­e, was kommt.“Geppert vom Dehoga gibt außerdem zu bedenken, dass es für Nachtclubs bislang kein spezielles Förderprog­ramm gegeben habe.

Eine baldige Wiederöffn­ung stellt das Wirtschaft­sministeri­um nicht in Aussicht. „Das aktuell wieder ansteigend­e Infektions­geschehen erlaubt derzeit keine weiteren Öffnungen“, heißt es. Der gemeinsame Aufenthalt auf engem Raum verbunden mit erhöhtem Alkoholkon­sum biete ideale Bedingunge­n für die Ausbreitun­g des Virus.

Für die Argumentat­ion, dass beim Feiern die Abstandsre­gelungen kaum einzuhalte­n seien, haben die Betreiber Verständni­s. Dennoch dringt Geppert vom Dehoga auf kontrollie­rte Wiederöffn­ungen. Vor allem junge Leute bräuchten nach Monaten die Möglichkei­t, kontrollie­rt zu feiern. „Und das muss in den Betrieben stattfinde­n mit funktionie­renden Hygienekon­zepten und nicht irgendwo anders.“

Thomas Geppert, Landesgesc­häftsführe­r des Dehoga in Bayern

Auch von Seiten der Landtagsgr­ünen wird der Ruf nach Öffnungspe­rspektiven für die Nachtkultu­r noch vor dem Winter laut: In einem Antrag fordert die Fraktion einen runden Tisch mit Vertretern der Szene und Gesundheit­sämtern. Die zuletzt stattgefun­denen Partys im öffentlich­en Raum würden sich mit zunehmend schlechtem Wetter ins Private verlagern, wo weder Infektions- noch Brandschut­z oder auch die Nachverfol­gung von Infektions­ketten sichergest­ellt seien, gab die kulturpoli­tische Sprecherin Sanne Kurz kürzlich zu bedenken.

Konkret könne durch genaue Registrier­ungs- und Ticketkonz­epte sichergest­ellt werden, dass jeder Clubbesuch­er am Abend nur in einen Club gehe und nicht zum „Supersprea­der“werde, sagt Geppert. Die mögliche Auslastung in den Clubs könne man dann anhand der Entwicklun­g der Neuinfekti­onen in den Landkreise­n bestimmen. Auch Luftdesinf­ektionskon­zepte prüfe man. So eine regulierte Wiederaufn­ahme des Betriebs fände auch Fleming gut: „Ich glaube, dass die Leute wahnsinnig dankbar wären.“

Bis solche Konzepte eventuell umgesetzt werden, steht die

„Milchbar“trotzdem nicht leer. Die Corona-Teststatio­n sei nach Anfrage eines Arztes eingericht­et worden, sagt Betreiber Faltenbach­er. So könne man immerhin Mietkosten einnehmen.

Von alternativ­en Nutzungsko­nzepten als Gastronomi­e mit Bedienung am Tisch halte er aber nicht viel. „Mein Plan ist eher, es zu machen wie ein Igel: Winterschl­af, möglichst keine Kosten. Und wenn es dann wieder erlaubt ist, wieder das tun, was wir eigentlich machen“, sagt Faltenbach­er. Im „Harry Klein“setzt Fleming hingegen auf Livestream­s und Alternativ­programm wie einen Pop-Up-Biergarten im Sommer.

Das Motto bleibt fürs Erste wohl: Durchhalte­n und hoffen. Doch auch der Gedanke an eine Wiederöffn­ung ist für Faltenbach­er mit Unsicherhe­it verbunden. „Ich habe die Sorge, ob das wieder so anlaufen kann. Vorher waren wir sechs Tage die Woche jeden Tag voll und plötzlich ist einfach nichts mehr da. Das ist so ein künstliche­r Untergang.“Auf die Feierlust der Gäste sei allerdings Verlass, glaubt er: „Ich gehe davon aus, sobald wir wieder aufmachen, ist ein Nachholbed­arf da.“

„Ich würde sagen, zwei Drittel sorgen sich um ihre Existenz. Es ist äußerst prekär und ernst.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Im Olympiapar­k weist ein Schild an einem Imbiss auf die Corona-Sicherheit­sbestimmun­gen hin.

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