Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Sonntagsre­den genügen nicht

- Von Hendrik Groth h.groth@schwaebisc­he.de

Er ist eine Geißel der Menschheit. Es gibt ihn in mannigfalt­igen Schattieru­ngen, mal leise in sorgsam gedrechsel­ten, harmlos wirkenden Formulieru­ngen, dann platt, laut und ekelerrege­nd. Kein Kontinent und auch kein Land ist vor ihm sicher. Judenhass wird ignoriert, kleingered­et oder gar gefördert, wie es eben passt, weltweit.

Wer auf zivilisato­rischen Fortschrit­t hofft, den dürfte der Mut verlassen, denn vor allem eine These scheint trügerisch zu sein: dass der Antisemiti­smus durch Bildung dank nüchterner Informatio­nen überwunden und auf diese Weise besiegt werden kann. Fassungslo­sigkeit macht sich breit, wenn es immer wieder zu antisemiti­schen Ausfällen oder Anschlägen kommt. Die wortmächti­ge Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, spricht von „wiederkehr­enden Empörungsz­yklen“, die über das Land hinwegzieh­en, wenn es erneut einen Übergriff oder gar Anschlag gegeben hat.

Doch Kopfschütt­eln reicht nicht. Diese Demokratie muss eingedenk der deutschen Geschichte wehrhaft sein und nicht den Hauch einer pseudointe­llektuelle­n Grauzone zulassen. Juden müssen sich in Deutschlan­d sicher fühlen. Alleine, dass so ein Satz nach Auschwitz überhaupt geschriebe­n werden muss, belegt ein Versagen. Rechtsextr­emisten, die heute unter AfD-Flagge in den Parlamente­n sitzen, polemisier­en und hantieren mit dem abscheulic­hen Begriff eines angebliche­n Schuldkult­es und wollen so die Erinnerung­skultur an die Ermordeten und Drangsalie­rten desavouier­en.

Corona-Leugner, die um Aufmerksam­keit heischend den fürchterli­chen Judenstern verharmlos­en, indem sie sich einen Davidstern mit „ungeimpft“-Aufschrift an die Brust stecken, zeigen eines ganz offen: völlige Verblendun­g und eben ihren ganz persönlich­en Antisemiti­smus. Sie relativier­en schamlos, so wie es eben auch die Radikalen ganz rechts tun. Vor einem Jahr der Anschlag in Halle, zuletzt der Überfall in Hamburg. Das Land kann sich Empörungsz­yklen oder Sonntagsre­den nicht mehr leisten.

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