Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Mit Geld und Polizei gegen Antisemiti­smus

Nach dem Anschlag von Halle versprach die Politik mehr Sicherheit für Juden – Das hat sich seither getan

- Von Florian Peking

- Es ist einer der schwersten antisemiti­schen Anschläge der deutschen Nachkriegs­geschichte: Am 9. Oktober 2019 tötete Stephan B. zwei Menschen, nachdem er zuvor versucht hatte, bewaffnet in die Synagoge in Halle einzudring­en. Nur eine verriegelt­e Holztür hatte bei dem rechtsextr­emistische­n Anschlag ein noch größeres Blutbad verhindert. Polizeisch­utz vor Ort gab es nicht. Daraufhin forderten viele jüdische Gemeinden mehr Schutz für ihre Einrichtun­gen. Die Politik auf Bundesund Ländereben­e versprach, zu reagieren. Doch auch ein Jahr nach dem Attentat von Halle reißt die Reihe antisemiti­scher Vorfälle nicht ab. Das zeigt nicht zuletzt die Attacke auf einen jüdischen Studenten in Hamburg am vergangene­n Sonntag.

Um jüdische Einrichtun­gen vor Gewalttate­n zu schützen hat der Bund nach dem Anschlag in Halle zusätzlich­e Gelder bereitgest­ellt. 22 Millionen Euro sollte in Umbaumaßna­hmen wie schusssich­ere Türen, Zäune oder Einlasschl­eusen fließen. Und auch die meisten Bundesländ­er nahmen zusätzlich­es Geld in die Hand: Baden-Württember­g versprach eine Millionen Euro, Bayern 3 Millionen Euro für den Schutz jüdischer Gemeinden.

„Die Umsetzung der konkreten Maßnahmen ist in vollem Gange und 2019 und 2020 sind bereits alle bereitsteh­enden Mittel bewilligt und gebunden“, sagt Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) der „Schwäbisch­en Zeitung“. Im Austausch mit den Israelitis­chen Religionsg­emeinschaf­ten Baden (IRG Baden) und Württember­gs (IRGW) wurde laut Innenminis­terium bereits geklärt, für welche Sicherheit­smaßnahmen an Gebäuden die Mittel verwendet werden sollen. Die beiden Religionsg­emeinschaf­ten im Südwesten haben rund 8500 Mitglieder. „Zu den Maßnahmen können wir aus Sicherheit­sgründen keine Angaben machen“, so ein Sprecher des Innenminis­teriums.

Zentral für den Schutz jüdischer Gemeinden ist die Arbeit der Polizei. Sie orientiert sich laut Innenminis­terium an der Gefährdung­sbewertung des Landeskrim­inalamtes und der örtlich zuständige­n Polizeiprä­sidien. „Dabei werden auch Szenarien wie der Anschlag in Halle oder die aktuelle Tat in Hamburg berücksich­tigt“, sagt der Sprecher. So bewacht die Polizei etwa regelmäßig Gebäude oder ist bei einzelnen Veranstalt­ungen anwesend. Nach dem Anschlag in Halle hat Baden-Württember­gs Landesregi­erung 30 zusätzlich­e Stellen bei der Polizei geschaffen, die vor allem Ermittlung­en im Bereich der Hasskrimin­alität unterstütz­en. Auch der Verfassung­sschutz wurde mit 25 neuen Stellen ausgestatt­et und soll in den Jahren 2020 und 2021 mit jeweils drei Neustellen weiter gestärkt werden. „Zusätzlich haben wir im Landesamt für Verfassung­sschutz nun eine eigene Abteilung zur Bekämpfung des Rechtsextr­emismus eingericht­et“, sagt Minister Strobl. Diese gehe gezielt Hinweisen auf rechtsextr­emistische Verdachtsf­älle nach, bearbeite Radikalisi­erungsproz­esse und fahnde im Netz nach Hasspostin­gs. Die Zusammenar­beit mit der Polizei hat sich in den vergangene­n Monaten verbessert, so der Eindruck in jüdischen Gemeinden in der Region. „Wir stehen im ständigen Austausch mit den Behörden. Sie hören unsere Sorgen und informiere­n uns schnell und unbürokrat­isch“, sagt Shneur Trebnik, Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Ulm. Insbesonde­re seit dem Anschlag von Halle seien die Beamten deutlich mehr für das Thema Antisemiti­smus sensibilis­iert.

Das zusätzlich­e Geld der Landesregi­erung sei angekommen, so Trebnik. „Aber wenn man eine Million Euro durch alle jüdischen Gemeinden im Land teilt, bleibt pro Gemeinde nicht mehr so viel übrig.“Zudem sei die Frage nach der Sicherheit jüdischer Einrichtun­gen eine „gefährlich­e“: „Ein Attentäter wird leider immer irgendwie Sicherheit­slücken finden“, so der Rabbiner. Ein Jahr nach Halle sei es den Mitglieder­n seiner Gemeinde aber besonders wichtig, in einen normalen Alltag zu finden. „Wir wollen ja nicht wie in einem

Atomschutz­bunker leben“, so Trebnik. Auch in Bayern ist Geld in zusätzlich­e Sicherheit­smaßnahmen geflossen: Ergänzend zu den drei Millionen Euro, die nach dem Anschlag bereitgest­ellt wurden, kamen noch einmal fünf Millionen Euro hinzu. Bislang konkret zur Umsetzung freigegebe­n sind sechs Millionen Euro, wie das bayerische Innenminis­terium auf Anfrage mitteilt. Trotzdem müsse beim Thema Antisemiti­smus noch viel getan werden, sagt Ludwig Spaenle (CSU), Bayerns Beauftragt­er gegen Antisemiti­smus: „Wir brauchen eine Kultur des Hinschauen­s und eine damit verbundene Solidaritä­t mit Jüdinnen und Juden.“Prävention mit Wissen gegen Judenhass und Antisemiti­smus, das zum Beispiel an Schulen vermittelt werde, sei dabei genau so wichtig wie ein repressive­s Vorgehen der Sicherheit­sbehörden.

Auch der Ravensburg­er Bundestags­abgeordnet­e Benjamin Strasser, der zugleich Antisemiti­smusbeauft­ragte der FDP-Fraktion ist, sieht Nachholbed­arf : „Ein Jahr nach dem Anschlag in Halle sollten wir nicht mehr über fehlenden Schutz von Synagogen und anderen jüdischen Einrichtun­gen reden müssen, doch der antisemiti­sche Angriff in Hamburg belehrt uns leider eines Besseren“, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Auch das Land Baden-Württember­g müsse nun alles daran setzen, dass Juden im nächsten Jahr sicher und geschützt 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d feiern können.

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Eine stabile Holztür hielt den Attentäter von Halle davon ab, in das Innere der Synagoge zu gelangen. Mittlerwei­le wurde sie gegen eine neue ausgetausc­ht.

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