Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die Schuld der anderen

Ex-Verfassung­sschutzche­f Maaßen sieht im Fall Amri Versäumnis­se – Allerdings nicht bei seiner alten Behörde

- Von Anne-Beatrice Clasmann

(dpa) - Der Terroransc­hlag auf dem Berliner Breitschei­dplatz „war vermeidbar, er hätte nicht stattfinde­n müssen, und das ist für mich die besondere Tragik“, sagt Hans-Georg Maaßen. Er glaubt: „Die Opfer könnten heute noch leben, wenn man damals anders gehandelt hätte.“Versäumnis­se des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz, dessen Präsident er damals war, räumt er bei seiner Befragung als Zeuge im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s zu dem Weihnachts­markt-Attentat aber nicht ein. Der Ausschuss hat die Aufgabe, Behördenfe­hler rund um den schwersten islamistis­chen Anschlag in der Geschichte der Bundesrepu­blik aufzukläre­n, bei dem 2016 zwölf Menschen ihr Leben verloren hatten.

Maaßen sagt, ihm sei bis heute unverständ­lich, warum Polizei, Ausländerb­ehörde und Staatsanwa­ltschaften 2016 nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt hätten, um den späteren Attentäter Anis Amri in seine Heimat abzuschieb­en. Schließlic­h war sein Asylantrag abgelehnt worden. Der Tunesier war als islamistis­cher Gefährder

eingestuft worden, mit Sozialbetr­ug und Drogenhand­el aufgefalle­n.

Dass eine schnelle Abschiebun­g anstrengen­d, aber möglich sei, habe schließlic­h der Fall von Bilal ben Ammar nach Tunesien gezeigt. Dass dieser Bekannte von Amri, der ihn kurz vor dem Anschlag getroffen hatte und dann für mehrere Tage unauffindb­ar blieb, bereits wenige Wochen nach dem Anschlag abgeschobe­n wurde, findet Maaßen bis heute merkwürdig. Denn er glaubt, „man hätte vielleicht noch etwas machen können in den Ermittlung­en“. Die Bedrohung durch islamistis­che Terroriste­n

sei 2016 so groß gewesen, dass Sicherheit­sbehörden damals unmöglich hätten sicherstel­len können, dass es zu keinen Anschlägen kommt; „sie können nur ihr Bestes geben“, sagt Maaßen. Außerdem seien die Polizeibeh­örden von NRW und Berlin für den Fall des islamistis­chen Gefährders Anis Amri zuständig gewesen. Er habe sich auch die Frage gestellt, weshalb sich das Bundeskrim­inalamt trotz der überregion­alen Aktivitäte­n von Amri nicht entschiede­n habe, „sich endlich dieses Menschen anzunehmen“.

Der Tunesier hatte bei deutschen Behörden zahlreiche falsche Identitäte­n angegeben. Er sympathisi­erte mit der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) und verdiente in Berlin relativ viel Geld mit Drogenhand­el. Am 19. Dezember 2016 kaperte er einen Lastwagen, tötete den Fahrer und raste mit dem Fahrzeug über den Weihnachts­markt auf dem Platz an der Gedächtnis­kirche, wodurch weitere elf Menschen starben und Dutzende verletzt wurden. Amri fasste nach bisherigen Erkenntnis­sen erst in Deutschlan­d den konkreten Entschluss, einen Anschlag zu verüben.

Die Abgeordnet­en wollten von dem Ex-Behördenle­iter wissen, ob und wenn ja weshalb das Bundesamt die Gefährlich­keit des späteren Attentäter­s Anis Amri damals falsch einschätzt­e. Auch zogen sie seine Darstellun­g in Zweifel, Amri sei ein „reiner Polizeifal­l“gewesen, mit dem der Inlandsgeh­eimdienst allenfalls am Rande befasst war. Maaßen sei vor dem Anschlag der einzige Chef einer Sicherheit­sbehörde gewesen, dem Amri bekannt gewesen sei, sagt der CSU-Abgeordnet­e Volker Ullrich.

Tatsächlic­h hatte Maaßen im Januar 2016 ein sogenannte­s Behördenze­ugnis unterzeich­net. Das Dokument diente dazu, die Berliner Polizei über die Gefährlich­keit von Amri, der in die Hauptstadt umgezogen war, zu informiere­n, ohne Rückschlüs­se auf den Informante­n zuzulassen, der Hinweise auf mögliche Terrorabsi­chten Amris geliefert hatte. Nach diesem Papier, das der Verfassung­sschutz auf Bitten des Landeskrim­inalamts von Nordrhein-Westfalen angefertig­t habe, sei er mit Amri nicht mehr befasst gewesen, beteuert Maaßen. Dessen Namen habe er erst nach dem Anschlag wieder gehört.

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FOTO: DPA Hans-Georg Maaßen

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