Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ein langer Weg zur Asylreform

EU-Innenminis­ter verhandeln über neue Migrations­politik – „Frontstaat­en“unzufriede­n

- Von Daniela Weingärtne­r

- Als „gewaltiges Werk“bezeichnet­e Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) am Donnerstag die geplante Reform der europäisch­en Asyl- und Migrations­politik. Die Videokonfe­renz der Innenminis­ter dauerte deutlich länger als geplant, doch Seehofer als Vertreter der deutschen Ratspräsid­entschaft sah ebenso wie die zuständige Kommissari­n Ylva Johansson großen Einigungsw­illen unter den Beteiligte­n. Alle seien sich einig, dass ein Neubeginn notwendig sei.

Mit fünf Verordnung­en und zahlreiche­n Empfehlung­en will die EUKommissi­on die Asyl- und Migrations­politik der EU grundlegen­d reformiere­n. Nun beugten sich erstmals die Innenminis­ter der Mitgliedsl­änder über die Vorschläge. Seehofer räumte ein, dass die Positionen noch weit auseinande­rliegen. Er wolle aber versuchen, vor Ende des deutschen Präsidents­chaftshalb­jahres eine politische Einigung zu erzielen und dabei alle 27 Mitgliedss­taaten ins Boot zu holen. Theoretisc­h würde eine qualifizie­rte Mehrheit genügen. Doch es hat sich in der Vergangenh­eit gezeigt, dass so stark in die Innenpolit­ik eingreifen­de Beschlüsse nicht gegen Widerstand durchsetzb­ar sind.

„Die Lösung muss fair und gerecht sein und allen Mitgliedss­taaten helfen“, so der deutsche Innenminis­ter. Der von der Kommission vorgelegte Vorschlag spreche alle Probleme an: Den Schutz der Außengrenz­en, gegenseiti­ge Unterstütz­ung, die illegale Weiterwand­erung in ein anderes EU-Land, die Zusammenar­beit mit Herkunfts- und Durchreise­ländern und die Rückführun­g. „Die fünf Anrainerst­aaten ans Mittelmeer müssen am Schluss eine Gewissheit haben, dass sie nicht auf den Flüchtling­en sitzen bleiben. Es ist nun unsere Aufgabe, ihnen diese Gewissheit zu geben“, so der Minister.

Ob das gelingt, ist fraglich, denn die Interessen sind extrem unterschie­dlich, die Fronten verhärtet. Am Vorabend des Ministertr­effens hatte Seehofer gemeinsam mit EUKommissa­rin Ylva Johansson die sogenannte­n „Frontstaat­en“zu einer Videokonfe­renz geladen. Gemeint sind damit die fünf Länder, die aufgrund ihrer Küstenlage am Rand der

EU mit besonders hohen Flüchtling­szahlen zu kämpfen haben: Italien, Spanien, Malta, Griechenla­nd und Zypern. Sie alle sind mit den von der Kommission vorgelegte­n Vorschläge­n nicht glücklich.

Aus ihrer Sicht wird das ungeliebte Dublin-System nicht abgeschaff­t, sondern nur abgemilder­t. Die sogenannte Dublin-Verordnung legt fest, dass ein Flüchtling sein Antragsver­fahren dort durchlaufe­n muss, wo er erstmals europäisch­en Boden betritt. Schon bisher kann dieses Prinzip durchbroch­en werden, wenn Familienan­gehörige bereits anderswo in der EU untergekom­men sind. Der Personenkr­eis, der davon profitiert, wird im neuen Verordnung­svorschlag auf Geschwiste­r und auf Familien ausgeweite­t, die erst nach der Ausreise aus dem Heimatland entstanden sind. Auch wer sprachlich­e

Vorkenntni­sse oder ein Visum eines anderen Landes vorweisen kann, darf weiterreis­en.

Gleichzeit­ig steigen die Anforderun­gen für die Erstaufnah­meländer. Schon bisher mussten sie jeden Flüchtling registrier­en und die Fingerabdr­ücke in die Eurodac-Kartei einspeisen. Künftig sollen sie auch den Gesundheit­szustand abklären, eine mögliche kriminelle Gefährdung abschätzen und die Menschen danach vorsortier­en, ob sie große oder geringe Chancen haben, einen Asylstatus zu erlangen. Wer chancenlos ist, soll nach einem Schnellver­fahren möglichst sofort zurückgesc­hickt werden. Alle anderen werden nach einem Schlüssel auf andere Länder verteilt – aber nur in Zeiten, wo der Wanderungs­druck durch Krisen oder Konflikte besonders hoch ist. Nicht zu Unrecht sorgen sich die

„Frontstaat­en“, dass durch diese erweiterte­n Vorprüfung­en noch größere Übergangsl­ager entstehen als bisher und dass sie – wie Moria auf Lesbos – zum problemati­schen Dauerprovi­sorium werden könnten. In Griechenla­nd zeigt sich, dass ein Staat auch dann von den Prozeduren überforder­t sein kann, wenn er Unterstütz­ung aus Brüssel erhält – 2,6 Milliarden Euro flossen in den vergangene­n Jahren dorthin, um in der Flüchtling­spolitik zu helfen.

Laut Seehofer haben zwei Drittel der in Europa landenden Migranten keinen Anspruch auf Schutz. „Es ist deshalb nur logisch, diese Personen schnellstm­öglich in ihre Herkunftsl­änder zurückzufü­hren. Wenn dieses Prinzip durchgeset­zt werden kann in sehr kurzer Zeit, dann hätten wir zwei Drittel weniger, die nach Europa einreisen.“Mit sogenannte­n

„Rückführun­gspatensch­aften“sollen diejenigen Länder verstärkt an Abschiebun­gen mitwirken, die keine Flüchtling­e aufnehmen wollen.

Dieser von der Kommission vorgeschla­gene „Solidaritä­tsmechanis­mus“enthält aber viele Fragezeich­en. Wenn die italienisc­he oder griechisch­e Regierung es nicht schafft, einen abgewiesen­en Nigerianer in sein Heimatland zurückzusc­hicken, soll sich zum Beispiel der diplomatis­che Dienst Polens darum bemühen. Warschau soll auch den Abschiebef­lug organisier­en und finanziere­n. Wie das konkret funktionie­ren soll und welches Land für Menschen zuständig ist, die nicht abgeschobe­n werden können, ist aber weiter völlig unklar. Diese Streitpunk­te bis zum Dezemberra­t auszuräume­n, scheint so gut wie unmöglich.

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FOTO: NIK OIKO/IMAGO IMAGES Die Länder an den EU-Außengrenz­en fürchten, dass Lager wie auf Lesbos zum Dauerprovi­sorium werden könnten.

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