Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Der Süden schwächelt

Die Corona-Krise trifft Baden-Württember­g und Bayern härter als andere Bundesländ­er

- Von Carsten Hoefer

(dpa) - Verkehrte Wirtschaft­swelt in der CoronaKris­e: Der seit Jahrzehnte­n starke Süden Deutschlan­ds ist seit Beginn der Pandemie besonders schwach. Bayern und Baden-Württember­g liegen auf einmal mit Negativzah­len in der Spitzengru­ppe. Die Kurzarbeit­erzahlen sind in den zwei erfolgsver­wöhnten Bundesländ­ern ebenso überdurchs­chnittlich wie der Einbruch des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Woran liegt’s – und zeichnet sich da ein größeres Problem ab als nur Corona?

Die nackten Zahlen: In BadenWürtt­emberg schrumpfte die Wirtschaft­sleistung im ersten Halbjahr um 7,7 Prozent, in Bayern um sieben Prozent – beides schlechter­e Werte als der Bundesdurc­hschnitt von minus 6,6 Prozent. Und in Sachen Kurzarbeit lagen Bayern und BadenWürtt­emberg im August nach Schätzung des Münchner Ifo-Instituts bundesweit auf Platz eins und zwei. Nirgendwo anders war der Anteil betroffene­r Arbeitnehm­er höher.

Das Wohl und Wehe der in beiden Südländern sehr starken Industrie hängt an den Exporten, die in der Krise eingebroch­en sind. „Die Wirtschaft­sstärke ist da Fluch und Segen zugleich: In diesen Bereichen schlägt eine Krise viel stärker durch als im Dienstleis­tungssekto­r, der das leichter verkraften kann“, sagt Achim Wambach, der Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts ZEW in Mannheim. „Wenn Lieferkett­en unterbroch­en sind, betrifft das den Dienstleis­tungssekto­r weniger als das verarbeite­nde Gewerbe.“

Der Ökonom verweist darauf, dass Baden-Württember­g auch in der Finanzkris­e 2008/09 überdurchs­chnittlich hart getroffen wurde. „Umgekehrt ist die Produktion danach aber auch schnell wieder hochgefahr­en.“

Im Gegensatz zu vielen anderen Regionen Europas ist in Süddeutsch­land die Bedeutung des verarbeite­nden Gewerbes im vergangene­n Jahrzehnt sogar wieder gewachsen. Allein in Bayern baute die Metall- und Elektroind­ustrie (M+E) nach Zahlen der dortigen Branchenve­rbände bayme und vbm von 2010 bis 2019 über 160 000 neue Arbeitsplä­tze auf.

„Wir haben in Bayern und BadenWürtt­emberg sehr exportabhä­ngige Industrien, insbesonde­re eine starke Abhängigke­it vom Automobils­ektor“, meint Jürgen Michels, der Chefvolksw­irt der BayernLB. „Das macht es jetzt schwerer, schnell wieder zu alter Stärke zurückzufi­nden.“

Die Autobranch­e war schon vor Corona in Schwierigk­eiten: Der allmählich­e Abschied vom Verbrennun­gsmotor bedeutet für die süddeutsch­en Hersteller Daimler, BMW und Audi eine große Herausford­erung, ebenso internatio­nale Handelskon­flikte oder die Alterung der Bevölkerun­g in den Industrien­ationen.

„Ich sehe eher das Problem, dass die Struktur der Wirtschaft insgesamt sehr stark auf wenige Produkte ausgericht­et ist“, sagt Robert Lehmann vom Münchner Ifo-Institut. „Wenn Sie nur wenige Standbeine haben, dann stürzen Sie im Falle einer Krise in eine tiefe Rezession. Von daher wäre es begrüßensw­ert, eine breiter aufgestell­te Wirtschaft­sstruktur zu etablieren.“

Die BayernLB hat in einer gemeinsame­n Studie mit dem PrognosIns­titut eine Neuorienti­erung empfohlen – weg von der bisherigen Exportabhä­ngigkeit und hin zu einer größeren Bedeutung des Inlands.

Doch bedeutet dies, dass Süddeutsch­land jetzt zu allmählich­em Niedergang verurteilt wäre? Das glaubt zwar keiner der befragten Ökonomen, aber wirtschaft­licher Erfolg ist naturgemäß kein Selbstläuf­er.

„Wenn man keine Gegenmaßna­hmen ergreift, könnten wir in eine Situation geraten, in der wir länger am unteren Ende der Wachstumss­kala stehen“, sagt BayernLB-Chefvolksw­irt Michels. „Ich denke aber auch, dass wir nach einer Schwächeph­ase wieder zu alter Stärke zurückfind­en können, wenn man rechtzeiti­g in Zukunftsbe­reiche investiert. Erste Schritte hierzu sind bereits unternomme­n worden.“

Zu den Zukunftsbe­reichen zählen BayernLB und Prognos-Institut in ihrer Studie etwa die erneuerbar­en Energien und die Umwelttech­nik. Deutschlan­d sei vom Finanzspie­lraum her in einer besseren Lage als beispielsw­eise Italien oder Griechenla­nd und könne Investitio­nen in die Infrastruk­tur fördern, sagt Michels. „Das spielt durchaus eine Rolle.“

Auch die Situation der Exporteure wird sich voraussich­tlich wieder verbessern. Potenzial bietet nach Einschätzu­ng von ZEW-Präsident Wambach nach wie vor China. „Die Chinesen haben ein Pro-Kopf-Einkommen von 25 Prozent des OECDDurchs­chnitts. Da werden wir noch viel Wachstum sehen, und Deutschlan­d ist sehr gut positionie­rt, daran teilzuhabe­n.“Es sei richtig, dass die internatio­nalen Spannungen zunähmen – aber auf der anderen Seite sei das Potenzial vorhanden. „Wenn die US-Wahl und der Brexit vorbei sind, das Investitio­nsabkommen der EU mit China abgeschlos­sen ist – wenn es also positive Signale gibt, wird der Exportbere­ich eine Stärke bleiben.“

Das sieht Robert Lehmann vom Ifo-Institut ähnlich. „Der größte Exportmark­t für die deutsche Industrie ist nach wie vor die EU“, sagt der Ökonom. „Und im europäisch­en Ausland sehen wir, dass die Industrien, die deutsche Produkte nachfragen, sich kräftig erholen.“Der zweitwicht­igste Exportmark­t seien die USA. „Wenn es dort einen Regierungs­wechsel gibt, könnte der derzeitige Protektion­ismus auch wieder enden.“

Die Industrie selbst hält eine Abkehr von der Industrie jedenfalls nicht für sinnvoll. In der Gesamtbetr­achtung führe die starke Industries­truktur zu einer dynamische­ren Wirtschaft­sentwicklu­ng – und damit zu weiterhin relativ niedrigen Arbeitslos­enzahlen und insgesamt deutlich höherem Wohlstands­niveau als in Bundesländ­ern mit niedrigere­m Industriea­nteil, argumentie­rt die vbw, die Dachorgani­sation der M+E-Branche in Bayern.

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