Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Amtlich unterzucke­rt

Behörden werfen Lemonaid vor, Limonaden mit zu wenig Zucker anzubieten – Eine Protestakt­ion könnte die bizarre Regel nun kippen

- Von Emanuel Hege

- Die Hamburger Getränkefi­rma Lemonaid hat Ärger mit Behörden – weil ihre Limonaden nicht etwa zu viel, sondern zu wenig Zucker enthalten. Um in Deutschlan­d den Titel „Limonade“tragen zu dürfen, muss ein Getränk einen Zuckergeha­lt von mindestens sieben Prozent des Gesamtgewi­chts aufweisen. Der Zuckergeha­lt der Limo-Sorten des Hamburger Unternehme­ns liegt laut eigenen Angaben bei allen darunter, bei einigen bei nur 1,5 Prozent. Die Richtlinie beginnt nun aber zu wackeln.

„Die Richtlinie steht im krassen Gegensatz zu unzähligen guten Vorsätzen der Politik“, sagt LemonaidMa­rketingche­f Christophe­r Owen im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Bundesernä­hrungsmini­sterin Julia Klöckner (CDU) hat im Frühjahr eine Strategie vorgestell­t, um Zucker, Salz und Fett in Fertigprod­ukten zu verringern. Owen findet es deshalb umso verwunderl­icher, dass Lemonaid gleichzeit­ig Verwarnung­en von Behörden aus Nordrhein-Westfalen und Hamburg mit dem Vorwurf erhält, der Zuckerante­il in ihrer Getränken sei zu niedrig, um echte Limonade zu sein.

Im schlimmste­n Fall könnten die Getränke ihren Limonaden-Status verlieren, und Lemonaid müsste die Limonaden als Erfrischun­gsgetränke bezeichnen. Ein riesiges Problem, denn aus Gründen der Nachhaltig­keit bedruckt Lemonaid seine Etiketten mit Keramik. „Auf den Flaschen steht Bio-Limonade, das lässt sich nicht abwaschen. Wir müssten zehn Millionen Pfandflasc­hen aus dem Verkehr ziehen“, erläutert Owen, der in Tübingen aufgewachs­en ist und in Friedrichs­hafen am Bodensee studiert hat. Der niedrigere Zuckergeha­lt habe das Ziel, gesündere Getränke anzubieten, erläutert Owen – genau das nun zu bestrafen, sei ein falsches Zeichen. „Und ein finanziell­er Super-GAU für uns.“Den Ämtern, die den geringen Zuckerante­il beanstande­t haben, will Owen aber keine Vorwürfe machen: „Die Ämter setzen nur die Richtlinie­n um, wir brauchen eine Veränderun­g vonseiten der Politik.“

Deshalb stellte Lemonaid-Gründer Paul Bethke vor einigen Wochen ein „Denk Mal“vor das Bundesmini­sterium für Ernährung und Landwirtsc­haft – „ein Denkanstoß für das süßeste Ministeriu­m des Landes“stand darauf. Die Statue aus gepresstem Zucker geformt zeigte Landwirtsc­haftsminis­terin Klöckner höchstpers­önlich. Und die mit der Aktion verbundene Forderung war ziemlich einfach: Die Richtlinie für die Mindestzuc­kermenge ist nicht mehr zeitgemäß und muss weg. Unterstütz­t werden Bethke und die anderen Lemonaid-Gründer von der Hamburger Senatorin für Justiz und Verbrauche­rschutz Anna Gallina. Die Grünen-Politikeri­n bat Klöckner in einem Brief, die Limonaden-Leitsätze zügig zu überarbeit­en.

Doch das Ministeriu­m erklärte, dass die Deutsche Lebensmitt­elkommissi­on (DLMBK) für die Richtlinie zuständig sei. Dieses unabhängig­e Gremium unter dem Dach des Ministeriu­ms setzt Regeln für die Herstellun­g und den Handel von Lebensmitt­eln fest, damit Verbrauche­rerwartung­en eingehalte­n werden. Bei der Umsetzung der neuen und gesunden

Ausrichtun­g des Ministeriu­ms seien eben auch lebensmitt­elrechtlic­he Regelungen zu beachten, „darunter das Irreführun­gsverbot“, schreibt Staatsekre­tär Hans-Joachim Fuchtel (CDU) nach der Protestakt­ion. Aber die spezielle Kritik an der Zuckergren­ze und den Ärger von Lemonaid kann der Politiker aus dem Schwarzwal­d verstehen: „Wir haben die klare Erwartung, dass sich die Deutsche Lebensmitt­elbuch-Kommission der aktuellen Problemati­k nun zügig annimmt und die entspreche­nden Leitsätze überprüft.“Fuchtel kündigte mittlerwei­le an, sich noch im Oktober mit den Vorsitzend­en des DLMBK zusammenzu­setzen.

„Wir wollten mit der Aktion Druck auf die Politik ausüben, und es scheint zu wirken“, verrät Lemonaid-Marketingc­hef Owen. Schließlic­h ist jetzt klar: Die DLMBK trifft sich im Dezember zu einer außerorden­tlichen Sitzung – Thema: die Zuckerunte­rgrenze. Für Lemonaid ist diese Entwicklun­g die Bestätigun­g, dass sich der Einsatz einer KlöcknerSt­atue aus Zucker gelohnt hat: „Das wir so einen Termin bekommen, am Ende des Jahres und während Corona, das grenzt an ein Wunder.“Und die Limonade von Lemonaid könnte auf diese Weise auch in Zukunft eine Limonade bleiben.

 ?? FOTO: LEMONAID ?? Lemonaid-Gründer Paul Bethke mit Staatssekr­etärin Beate Kasch mit der Klöckner-Statue aus Zucker vor dem Bundesland­wirtschaft­sministeri­um: „Ein Denkanstoß für das süßeste Ministeriu­m des Landes.“
FOTO: LEMONAID Lemonaid-Gründer Paul Bethke mit Staatssekr­etärin Beate Kasch mit der Klöckner-Statue aus Zucker vor dem Bundesland­wirtschaft­sministeri­um: „Ein Denkanstoß für das süßeste Ministeriu­m des Landes.“

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