Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Amtlich unterzuckert
Behörden werfen Lemonaid vor, Limonaden mit zu wenig Zucker anzubieten – Eine Protestaktion könnte die bizarre Regel nun kippen
- Die Hamburger Getränkefirma Lemonaid hat Ärger mit Behörden – weil ihre Limonaden nicht etwa zu viel, sondern zu wenig Zucker enthalten. Um in Deutschland den Titel „Limonade“tragen zu dürfen, muss ein Getränk einen Zuckergehalt von mindestens sieben Prozent des Gesamtgewichts aufweisen. Der Zuckergehalt der Limo-Sorten des Hamburger Unternehmens liegt laut eigenen Angaben bei allen darunter, bei einigen bei nur 1,5 Prozent. Die Richtlinie beginnt nun aber zu wackeln.
„Die Richtlinie steht im krassen Gegensatz zu unzähligen guten Vorsätzen der Politik“, sagt LemonaidMarketingchef Christopher Owen im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) hat im Frühjahr eine Strategie vorgestellt, um Zucker, Salz und Fett in Fertigprodukten zu verringern. Owen findet es deshalb umso verwunderlicher, dass Lemonaid gleichzeitig Verwarnungen von Behörden aus Nordrhein-Westfalen und Hamburg mit dem Vorwurf erhält, der Zuckeranteil in ihrer Getränken sei zu niedrig, um echte Limonade zu sein.
Im schlimmsten Fall könnten die Getränke ihren Limonaden-Status verlieren, und Lemonaid müsste die Limonaden als Erfrischungsgetränke bezeichnen. Ein riesiges Problem, denn aus Gründen der Nachhaltigkeit bedruckt Lemonaid seine Etiketten mit Keramik. „Auf den Flaschen steht Bio-Limonade, das lässt sich nicht abwaschen. Wir müssten zehn Millionen Pfandflaschen aus dem Verkehr ziehen“, erläutert Owen, der in Tübingen aufgewachsen ist und in Friedrichshafen am Bodensee studiert hat. Der niedrigere Zuckergehalt habe das Ziel, gesündere Getränke anzubieten, erläutert Owen – genau das nun zu bestrafen, sei ein falsches Zeichen. „Und ein finanzieller Super-GAU für uns.“Den Ämtern, die den geringen Zuckeranteil beanstandet haben, will Owen aber keine Vorwürfe machen: „Die Ämter setzen nur die Richtlinien um, wir brauchen eine Veränderung vonseiten der Politik.“
Deshalb stellte Lemonaid-Gründer Paul Bethke vor einigen Wochen ein „Denk Mal“vor das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft – „ein Denkanstoß für das süßeste Ministerium des Landes“stand darauf. Die Statue aus gepresstem Zucker geformt zeigte Landwirtschaftsministerin Klöckner höchstpersönlich. Und die mit der Aktion verbundene Forderung war ziemlich einfach: Die Richtlinie für die Mindestzuckermenge ist nicht mehr zeitgemäß und muss weg. Unterstützt werden Bethke und die anderen Lemonaid-Gründer von der Hamburger Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz Anna Gallina. Die Grünen-Politikerin bat Klöckner in einem Brief, die Limonaden-Leitsätze zügig zu überarbeiten.
Doch das Ministerium erklärte, dass die Deutsche Lebensmittelkommission (DLMBK) für die Richtlinie zuständig sei. Dieses unabhängige Gremium unter dem Dach des Ministeriums setzt Regeln für die Herstellung und den Handel von Lebensmitteln fest, damit Verbrauchererwartungen eingehalten werden. Bei der Umsetzung der neuen und gesunden
Ausrichtung des Ministeriums seien eben auch lebensmittelrechtliche Regelungen zu beachten, „darunter das Irreführungsverbot“, schreibt Staatsekretär Hans-Joachim Fuchtel (CDU) nach der Protestaktion. Aber die spezielle Kritik an der Zuckergrenze und den Ärger von Lemonaid kann der Politiker aus dem Schwarzwald verstehen: „Wir haben die klare Erwartung, dass sich die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission der aktuellen Problematik nun zügig annimmt und die entsprechenden Leitsätze überprüft.“Fuchtel kündigte mittlerweile an, sich noch im Oktober mit den Vorsitzenden des DLMBK zusammenzusetzen.
„Wir wollten mit der Aktion Druck auf die Politik ausüben, und es scheint zu wirken“, verrät Lemonaid-Marketingchef Owen. Schließlich ist jetzt klar: Die DLMBK trifft sich im Dezember zu einer außerordentlichen Sitzung – Thema: die Zuckeruntergrenze. Für Lemonaid ist diese Entwicklung die Bestätigung, dass sich der Einsatz einer KlöcknerStatue aus Zucker gelohnt hat: „Das wir so einen Termin bekommen, am Ende des Jahres und während Corona, das grenzt an ein Wunder.“Und die Limonade von Lemonaid könnte auf diese Weise auch in Zukunft eine Limonade bleiben.