Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Blick in den Spiegel

Krise, Börse, Medien: Die Serie „Babylon Berlin“erweist sich als überaus aktuell

- Von Rüdiger Suchsland „Babylon Berlin“

- „Raus mit’n Männern aus’m Reichstag/ Und raus mit’n Männern aus’m Herrenhaus/ Wir machen draus/ Ein Frauenhaus“– für viele sind es erstaunlic­he Zeilen, die Claire Waldoff hier singt, in Friedrich Hollaender­s großem Hit der Zwanzigerj­ahre. Wenn Kriminalas­sistentin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) und ihre Mitbewohne­rin gemeinsam dieses Lied singen, und dazu tanzend ihre Betten beziehen, dann ist das nicht nur eine sehr leichte, sehr schöne Szene zu Beginn der dritten Staffel von „Babylon Berlin“. Sie überbrückt auch für ein paar Minuten alle historisch­e Distanz und macht die Figuren zu unseren Zeitgenoss­en, zu Menschen wie wir. Das müsste, das könnte „Babylon Berlin“gern ein bisschen öfter leisten: uns die Jugend und Zukunftszu­gewandthei­t der Epoche sichtbar machen.

Oft zieht sich die Serie aber auf allzu sicheren Boden zurück, mischt Thriller und Historiend­arstellung, also gewisserma­ßen „Tatort“und „Terra X“. Das ist kein Negativurt­eil, denn „Babylon Berlin“tut dies in sehr gelungener Weise und beides sind Spitzenpro­dukte des deutschen Fernsehens. Es markiert nur die Grenzen des Ganzen.

Aber immerhin: War es 2017 zum Auftakt der ersten zwei Staffeln die beste Nachricht, dass es diese Serie überhaupt gibt, und dass sie funktionie­rt, auch beim Publikum und internatio­nal, so will die dritte, von acht auf zwölf Folgen erweiterte Staffel schon einiges mehr: Sie ist psychologi­scher angelegt, mehr Drama als Thriller, und betont die Parallelen zur Jetztzeit.

Das fällt auch leicht: Denn die Handlung spielt im September/Oktober

1929, den sechs Wochen vor dem Schwarzen Freitag, als aus dem kurzen Sommer der Goldenen Zwanziger der lange Winter der Weltwirtsc­haftskrise wurde und die kommende Diktatur bereits am Horizont aufschien. Zugleich ist die Mordermitt­lung, mit der Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch) und seine Kollegin Charlotte Ritter es dieses Mal zu tun haben im Filmmilieu angesiedel­t. Das Opfer ist ein Ufa-Star, der Tatort die legendären Filmstudio­s in Neubabelsb­erg, eine Filmproduk­tion, hinter der eine ausländisc­he Bande steht. Doch parallel gehen die politische­n Intrigen weiter, die Morphiumsu­cht Raths, die Spekulatio­nen des teuflische­n Investors Alfred Nyssen (Lars Eidinger), der die Diagnose seines „Irrenarzte­s“, er sei manischdep­ressiv hellsichti­g auf den Finanzmark­t überträgt: „Was wir jetzt gerade erleben, das ist eine Manie an der Börse.“

Wir haben also die Zutaten: Krise, Börse, Medien, gewürzt mit Drogen und Therapie. Wenn das nicht alles überaus aktuell sein soll!

Nach drei Staffeln ist es Zeit, allmählich Bilanz zu ziehen. „Babylon Berlin“ist ein Ausstattun­gsfilm, der auf den Mythos „Metropolis Berlin“und „Goldene Zwanziger“setzt. Das kommt dem Stadtmarke­ting der Hauptstadt zupass, weil die Serie auch den Drehort Berlin erschließt und auch unbekannte Seiten und Orte zeigt, in der die Vorkriegsm­etropole noch sichtbar ist.

Dies ist ein Film, in dem viel gesungen und getrunken wird, und mehr als einmal Frauenbuse­n und Federboa, Lederstief­el und Uniform den Fetischism­us bedienen, der zu der Epoche und zu dem Medium zu gehören scheint. Es ist über die Thriller-Handlung

hinaus oft Drama, auch Melo, aber es ist kein Kitsch. Eher ein Herantaste­n und beflissene­s Bemühen um Genauigkei­t, aber auch eine sehr liebevolle Rekonstruk­tion Tausender kleiner Details. Und auch des großen Unterschie­ds zwischen Frauen und Männern: Die Männer sind sämtlich Gezeichnet­e hier – vernarbt, kaputt, gequält und getrieben. Kaum einer geht gerade, kaum einer freut sich des Lebens. Die Frauen dafür umso mehr. Für sie ist die Epoche reiner Aufbruch. Nicht nur Sehnsucht, sondern Erfüllung; die Befreiung aus dem Korsett der Vergangenh­eit, ein Frühling der Chancen und Möglichkei­ten.

Als Historienf­ilm betrachtet ist „Babylon Berlin“eine viel bessere historisch­e Rekonstruk­tion 0als das, was in der Regel im deutschen Kino für zum Teil viel mehr Geld zu sehen ist. Die Wirkung der Serie liegt darüber hinaus darin, dass die Weimarer Republik und ihre Krise im Rückblick wie ein ferner Spiegel unserer Tage wirken. Ein Spiegel, der auch verzerrt, in dem man aber sich wiedererke­nnen kann.

Man darf hoffen, dass die Macher Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegte­n auf diesen Spiegel-Effekt in Zukunft noch stärker setzen. Etwas mehr „Das Weiße Band“und etwas weniger „Cabaret“, auch etwas weniger „Tatort“und etwas mehr „Lola rennt“- und „Babylon Berlin“wäre perfekt.

Im Januar startete die dritte Staffel von beim Bezahlsend­er Sky. Nun ist sie ab Sonntagabe­nd um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen und schon zwei Tage vorher in der Mediathek.

Baienfurt:

Hoftheater: Maxi Schafroth: Faszinatio­n Bayern, Fr., 20.15 Uhr. Uli Boettcher: Keine Ahnung!, So., 19.15 Uhr. Uli Boettcher | Ich bin Viele - eine Reise durchs Uliversum, Sa., 20.15 Uhr.

Biberach:

Stadthalle: Knedl u. Kraut – Bayerische Weltreise, Fr., 20 Uhr. Michael Altinger – Schlaglich­t, Sa., 20 Uhr. Must be Love von u. mit Arthur Senkrecht, Mi., 20 Uhr. Friedrichs­hafen-Fischbach:

Bahnhof Fischbach: Männeraben­d ... nicht nur für Frauen!, Fr., 20 Uhr. Olli Gimber: Voll auf die 12, Sa., 20 Uhr. Leutkirch im Allgäu:

Festhalle: Udo Zepezauer u. Mirjam Woggon, ab durch die Mitte - Midlife Crisis unerwünsch­t!, Fr., 19.30 Uhr. Markdorf:

Theatersta­del: David Kebekus: Aha? Egal., Stand-Up-Comedy, Fr., 20.30 Uhr. Wangen im Allgäu:

Hägeschmie­de: Josef Brustmann – Kauf´ die roten Schuh, Josef Brustmann, Fr., 20 Uhr. Stadthalle: Luise Kinseher – Mamma Mia Bavaria, Mi., 20 Uhr.

Leutkirch im Allgäu:

Festhalle: Beethoven: „Fidelio“, konzertant, Opernbühne Württember­gisches Allgäu und Solisten, Leitung: FriedrichW­ilhelm Möller, So., 18 Uhr. Weingarten:

Kultur- und Kongressze­ntrum: Beethoven: „Fidelio“, konzertant, Fr., 19 Uhr.

Blaubeuren:

Kloster Blaubeuren: Ludwig u. Benyamin Nuss, Posaune und Piano, Sa., 20 Uhr. Wangen im Allgäu-Beutelsau:

Jazz Point im Schwarzen Hasen: Eddy Miller Big Band, Fr., 20.30 Uhr.

Achberg:

Schloss Achberg: Benjamin Appl, Bariton uund Magnus Svensson: „Die Winterreis­e“von Franz Schubert, Sa., 19 Uhr. Ravensburg:

Konzerthau­s: Münchener Kammerorch­ester, mit Ilya Gringolts, Violine, (Scelsi, Schubert, Mozart), Ltg.: Clemens Schuldt, Mi., 20 Uhr.

Tuttlingen:

Stadthalle, Großer Saal: Klavierabe­nd Alfredo Perl, (Sonaten von Beethoven), So., 19 Uhr.

Wangen im Allgäu:

Stadthalle: Spark – die klassische Band, Altstadtko­nzert, (Bach, Berio, Beatles), So., 17 Uhr.

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