Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Trump und der Treppenwitz
Dass es nun mit Trump einen der größten Leugner der Corona-Gefahr selbst erwischt habe, sei doch ein Treppenwitz der Geschichte. So befand jetzt ein Bekannter. Eine interessante Redewendung, bei der man sofort wusste, was das Gegenüber einem sagen wollte. Aber genau genommen war sie falsch gebraucht – und letztlich doch wieder nicht falsch.
Unter Treppenwitz versteht man eigentlich einen wichtigen Gedanken, der einem erst beim Herauslaufen aus einem Haus auf der Treppe einfällt – und damit zu spät, um noch Wirkung zeigen zu können. Wenn also jemand bei seinem Chef vorstellig geworden ist und ihm das beste Argument für die Gehaltserhöhung erst im Nachhinein in den Sinn kommt, dann spricht man von einem Treppenwitz. Dabei ist Witz im ursprünglichen Sinn zu verstehen. Witz hat wortgeschichtlich mit Wissen zu tun, bedeutete vor allem Verstand, Klugheit, Schlauheit. In einem Begriff wie Gewitztheit für
Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
schnelle Auffassungsgabe klingt das heute noch an. Witz im Sinne von Scherz ist eine spätere Nebenbedeutung, weil geistreiches Formulieren eben auch amüsant sein kann. Urheber des Treppenwitzes war wohl der französische Aufklärer Denis Diderot. Er gebrauchte l’esprit de l‘ escalier 1773 genau im obigen Sinn. Für die
Verbreitung bei uns sorgte dann in der Übersetzung als Treppenwitz William Louis Hertslet. Eigentlich war er Engländer, lebte aber von seiner Geburt 1839 an in Preußen und gab seinen Erstberuf als Kaufmann auf, um sich nur noch der Literatur zu widmen – unter anderem als Mitarbeiter an Georg Büchmanns berühmter Sammlung „Geflügelte Worte“. Er schrieb 1882 den übrigens bis heute noch käuflichen Bestseller „Der Treppenwitz der Weltgeschichte“. Und wie der Untertitel „Geschichtliche Irrtümer, Entstellungen und Erfindungen“verrät, wollte er damit die Unsitte karikieren, historische Ereignisse nachträglich umzudeuten und anekdotisch auszuschmücken. Allerdings kam es nun zum häufigen Phänomen, dass die Redewendung mit einer anderen verschmolz. Wir reden gerne von der Ironie des Schicksals. Nur ein Beispiel aus dem Munde des unvergessenen Kabarettisten Werner Finck: Es ist ja eine Ironie des Schicksals, dass gerade in dem Lande, wo am meisten Heil gerufen wurde, so wenig heil geblieben ist. Es geht also darum, dass sich etwas ins Gegenteil verkehrt, mit abstrus, skurril, absurd erscheinenden, meist negativen Folgen. In diesem Sinn tauchte irgendwann auch der Treppenwitz auf, und in der Nachfolge von Hertslet wurde daraus der Treppenwitz der Geschichte. Zurück zum Covid-19-kranken Trump: Wir sollten uns der Häme enthalten, lautete die Devise. Aber eines wird man noch sagen dürfen: Hoffentlich geht es für ihn am 3. November nicht treppauf, sondern treppab. Alles andere wäre ein Witz, aber ein schlechter.