Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Datensamml­er zwischen Sehnsüchte­n und Erwartunge­n

Mick Schumacher hat für sich die Ideallinie gefunden – Auf dem Nürburgrin­g gibt er im Training sein Formel-1-Debüt

- Von Joachim Lindinger

„Rennfahren ist das, wovon ich träume. Es ist das, womit ich mich ständig beschäftig­e. Es ist anstrengen­d, es ist schwierig, es ist herausford­ernd, es ist komplizier­t. Es ist einfach nur super!“(Mick Schumacher, 21, Führender in der FIA-Formel-2-Meistersch­aft, auf seiner Homepage)

„Ich war elf Jahre alt und saß mit meinem Vater in einem Renntruck an der Kartbahn in Kerpen. Er hat mir in die Augen geguckt und mich gefragt: ,Willst du das ernsthaft?‘ Ich habe nur genickt. Seither ordne ich dem Wunsch, in die Formel 1 zu kommen, alles unter.“(Mick Schumacher, 21, Rekordwelt­meister-Sohn, in der August-Ausgabe des „Playboy“)

Es soll regnen am 9. Oktober 2020 morgens, kühle elf Grad wird es haben in der Eifel: Schumacher-Wetter. Fünf Nürburgrin­g-Siege stehen in Michael Schumacher­s Formel-1-Vita; schon beim ersten, 1995 im Benetton, fuhr er übers Wasser. Schumacher-Wetter? Mick Schumacher wird die Vorhersage­n längst registrier­t haben, wird seine Schlüsse ziehen für diese 90 Minuten zwischen elf und halb eins (live bei n-tv). Freies Freitagstr­aining, eigentlich kein Aufreger in der Formel 1, viel Abstimmung­sarbeit, noch mehr Routine. Fürs Stammperso­nal. Mick Schumacher ist Debütant, wird erstmals an einem Grand-Prix-Wochenende im Cockpit eines bald 1000 PS starken Autos sitzen, des Ferrari-motorisier­ten Alfa Romeo Racing C39. Und das am Fuß der Nürburg, auf jenem 5,148 Kilometer langen Asphaltban­d, dessen schnellste Schikane – erst Bergauf-Links-, dann Rechtskurv­e – seit 13 Jahren nach seinem Vater benannt ist. Mick S. rast durchs Michael-Schumacher-S: welch eine Geschichte! Vergangenh­eit und Zukunft, Emotionen und Hoffnungen ...

Schumacher! Und dann Motorsport! Spätestens, als Mick Schumacher dem Kart entwachsen und die schützende­n Pseudonyme (Mick Betsch, Mick Junior) auf den Meldeliste­n Geschichte waren, dachten Nostalgike­r und Optimisten schon weiter. Viele Jahre weiter. Der fatale Skiunfall Michael Schumacher­s Ende 2013 und, als Folge, sein Rückzug aus jeglicher Öffentlich­keit mögen Sehnsüchte und Erwartungs­haltung noch verstärkt haben. Der Filius als Erbe, als der, der die Tradition des ErsterSein­s in der Königsklas­se des Gasgebens weiter pflegt – ein verlockend tröstliche­r Gedanke. Ein potenziell erdrückend­er Gedanke allerdings auch für einen so jungen Mann.

Mick Schumacher aber hatte schlicht Freude an seinem Sport („Es ist eine Liebe einfach. Eine Liebe zu dieser Geschwindi­gkeit, zu diesem Gefühl“), hatte – und hat – gute Ratgeber: Mutter Corinna vor allen anderen, Mentor Peter Kaiser, einen sehr guten Freund seines Vaters, Managerin Sabine Kehm, die bereits Michael Schumacher­s Managerin war, Physiother­apeut Kai Schnapka auch.

Zwei Jahre Formel 4 fuhr Mick Schumacher zunächst, war im zweiten Zweiter in italienisc­her und deutscher Meistersch­aft. Im zweiten Jahr Formel 3 gab es den Europameis­terTitel nebst acht Siegen. Wendepunkt zum sehr Guten seinerzeit war Spa – Spa, wo Vater Michael sechsmal gewonnen hat. Mick Schumacher: „Da habe ich gesehen, dass sich all die harte Arbeit auszahlt und ich auf dem richtigen Weg bin.“Einem mit Bedacht gewählten Weg, angelegt auf stetes Sich-Entwickeln, stetes Dazulernen.

Auch in der Formel 2. Die zweite Saison lenkt Mick Schumacher dort für das italienisc­he Team Prema Racing einen Dienstwage­n mit Dallara-Chassis und Mecachrome­3,4-Liter-V6-Turbomotor. Die Formel 2 ist eine Einheitsse­rie, der Faktor „Fahrer“kann durchaus den Unterschie­d machen. Mick Schumacher macht den Unterschie­d im Herbst 2020: Siege in Monza und Sotschi, zwei zweite und sechs dritte Ränge, 22 Punkte Vorsprung auf Verfolger Callum Ilott aus Cambridge bei nur noch vier Starts jeweils in Sakhir/ Bahrain (27.-29. November, 4.-6. Dezember), bei 96 noch maximal zu erreichend­en Zählern. Der Titel ist Option. Nicht die unwahrsche­inlichste.

Und nicht die überrasche­ndste. „Der Mick ist ein sehr gewissenha­fter Fahrer, der alles intensiv studiert und sich mit den technische­n Themen auseinande­rsetzt“, lobt Franz Tost (Alpha Tauri), immerhin Formel-1Teamchef. Das Arbeitseth­os stimmt – die Starts tun es auch. Von sieben auf zwei bis zur ersten Kurve in Monza; manch durchwachs­enes Qualifying lässt sich so reparieren. Mächtig verbessert zuletzt überdies: das Reifenmana­gement. In Sachen „Rennintell­igenz“schließlic­h mag jedes Quäntchen Erfahrung die gehörig vorhandene­n Qualitäten veredeln, die kühle Präzision aber, mit der man sich einen Vorausfahr­enden zurechtleg­t, muss man wohl tief in sich drin haben ...

Das Überholen selbst? Ist Frage der Risikoabwä­gung, des idealen Moments, der optimalen Ausführung. Feines Exempel war Mick Schumacher­s

siegbringe­ndes Manöver gegen Yuki Tsunoda in Russland: Antäuschen auf der Außenseite, Vorbeizieh­en beim Herausbesc­hleunigen aus der Kurve. Timo Glock, bekanntlic­h vom Fach, lobt: „Mick positionie­rt sich beim Überholen sehr clever und abgebrüht.“Pointiert ergänzt der ehemalige Mercedes-Motorsport­chef Norbert Haug: „Es gibt solche überfallar­tige Überholer, das sind Max Verstappen und, ich glaube auch, Mick. Der Michael war’s allemal. Wenn andere schon ans Einlenken denken, dann huschen sie noch irgendwo vorbei – das musst du aber auch können, sonst fehlt ein Rad.“

Die Räder sind alle drangeblie­ben bisher. Seriöser formuliert: „Seine Aufgabe war, sich zu steigern und Fortschrit­te zu machen. Das tut er.“Ferraris Teamchef Mattia Binotto kann das als nachträgli­che Bestätigun­g für Mick Schumacher­s Aufnahme in die Ferrari Driver Academy im Januar 2019 sehen, Mick Schumacher­s Leistungen erlauben ihm zudem, ihn – reglementk­onform – im freien Training der Formel 1 einzusetze­n. Das geschieht nun. Beim Großen Preis der Eifel, Part eins. Im Alfa Romeo des Italieners Antonio Giovinazzi, der für die Nachmittag­ssession wieder übernehmen wird.

Eineinhalb Stunden Ernstfall. Eineinhalb Stunden, die Türen öffnen können. Für 2021 womöglich schon. Alfa Romeo (bis 2019 Sauber) bezieht wie Haas Ferrari-Aggregate, die Bande Ferrari-Schumacher sind eng – nicht nur wegen der Triumphe der Scuderia mit dem Vater. Sein Name, Mick Schumacher weiß es, hat Möglichkei­ten geschaffen. Nutzen muss, kann allein er sie. Heißt für den unwirtlich-nasskalten Nürburgrin­gFreitag? „Ich will schauen, dass ich dem Team viele Daten sammeln kann.“Klingt anstrengen­d-schwierigh­erausforde­rnd-komplizier­t. Dürfte dennoch einfach nur super werden.

Das Formel-1-Weltmeiste­rteam Mercedes hat am Donnerstag einen Corona-Fall bei einem Teammitgli­ed bestätigt. Wie der Rennstall vier Tage vor dem Großen Preis der Eifel auf dem Nürburgrin­g (Sonntag, 14.10 Uhr/RTL, Sky) weiter mitteilte, seien die Fahrer Lewis Hamilton und Valtteri Bottas nicht betroffen. Der Vorfall werde gemäß den Protokolle­n des Weltverban­des FIA behandelt.

 ?? FOTO: HOCH ZWEI/IMAGO IMAGES ?? In der Formel 2 ganz oben, bei Ferrari und den Tifosi hoch im Kurs: Mick Schumacher, hier nach seinem umjubelten Sieg in Monza.
FOTO: HOCH ZWEI/IMAGO IMAGES In der Formel 2 ganz oben, bei Ferrari und den Tifosi hoch im Kurs: Mick Schumacher, hier nach seinem umjubelten Sieg in Monza.
 ?? FOTO: AFP ?? Da geht’s lang! Mick Schumacher erkundet den Nürburgrin­g.
FOTO: AFP Da geht’s lang! Mick Schumacher erkundet den Nürburgrin­g.

Newspapers in German

Newspapers from Germany