Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Auf historischen Spuren unterwegs
Gerhard Fetscher führt Ostracher durch den Ort
- Der Physiker im Ruhestand und Geschichtsinteressierte Gerhard Fetscher hat rund 30 Besucher zu Ostracher Denkmälern und Straßen, deren Namensgebung auf Menschen zurückzuführen sind, die prägende Spuren in Ostrach hinterlassen haben, geführt. Gleich am Treffpunkt auf dem Herbert-BarthPlatz tauchte Fetscher in die eher jüngere Vergangenheit der Ortschaft ein. Er erzählte zunächst die Geschichte des ehemaligen Bürgermeisters Herbert Barth mit 32-jähriger Amtszeit, nach dem das Areal vor dem Rathaus benannt ist. Einige Schritte weiter erinnert, beinahe verborgen von einem Nadelgehölz, eine Tafel an den einst in Ostrach stationierten Besatzungssoldaten Jack Gallerand. Sein Zusammentreffen um 1965 mit Apotheker Manfred Götz und dem damaligen Bürgermeister Wilfried Walter, legte den Grundstein für die Städtepartnerschaft mit Etrechy. „Hierbei handelt es sich übrigens um eine der ältesten Partnerschaften zwischen einer französischen und einer deutschen Stadt“, so Fetscher beim Rundgang.
Weiter ging es für die Gäste der Führung zum Reinhold-FrankSchulzentrum. Die Geschichte des Rechtsanwalts, nach dem das Gebäude benannt ist, sei es wert, regelmäßig Gehör zu erhalten, „zumal Reinhold Frank im Zweiten Weltkrieg nicht nur der Verteidiger politisch Verfolgter aller Richtungen gewesen ist und viele Todes- in Haftstrafen umzuwandeln wusste“, sagte Fetscher, sondern auch generell eine bemerkenswerte Persönlichkeit gewesen sei. „Ein vielfältiges Gedenken gebührt diesem sehr aufrichtigen Mann in seinem mutigen Kampf entgegen aller Widerstände, der einfach zur falschen Zeit gelebt hat“, so Fetscher.
„Die Dekan-Bumiller-Straße erinnert an ihren Namensgeber Lambert Bumiller“, sagte Fetscher an der nächsten Station. Dessen Amtszeit als katholischer Geistlicher liegt bereits länger zurück: Ab 1891 war er Pfarrer in Ostrach und ab 1898 erzbischöflicher Dekan. „Außerdem war er Mitglied des Deutschen Reichstags, Lehrer und Hilfsgeistlicher an verschiedenen Orten, später Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses und hatte noch weitere Ämter inne“, so Fetscher. Da sei es kaum verwunderlich, dass der Herr an einem Herzleiden verstorben sei. „Und dies auch noch am ersten Tag seines Erholungsurlaubs“, so Fetscher. Zeit seines Lebens habe er sich für Ostrach eingesetzt. Einmal sei der Dekan auf einer Fahrt von Berlin nach Ostrach auf eine Weihnachtskrippe aufmerksam geworden, die er für die Ortschaft erwerben wollte. Der Verkäufer habe ihn darauf hingewiesen, die Krippe sei für einen Dom gedacht. „Dann ist sie für Ostrach gerade recht“, habe Bumiller geantwortet und das Stück für 800 Reichsmark erworben.
Weitere Geschichten führten quer durch die Ortschaft. Die Gäste lauschten still oder vertieften sich im Gehen untereinander in eigene historische Episoden, die plötzlich dem Gedächtnis entstiegen. „Es gibt zahlreiche Erzählungen von Auswärtigen, die in Ostrach gewirkt haben und von Ostrachern, die ausgezogen waren, um außerhalb zu wirken“, so Fetscher, der sich selbst als historisch interessierter Physiker bezeichnet. Früher konnten historische Begebenheiten gar nicht seine Aufmerksamkeit gewinnen, erzählte er der Schwäbischen Zeitung. „Schlussendlich kann man Geschichte nicht nachweislich messen“, sagt er, was er als Physiker voraussetze. Auf dem Friedhof entstand aus dem heiteren Geplauder dann eine stille Betroffenheit. Fetscher zeigte das Gedenkgrab der KZ-Häftlinge, die in Ostrach ihre ewige Ruhe gefunden haben, nachdem sie auf einen der grausamen Todesmärsche Richtung Oberschwaben geschickt worden waren. „1945 erreichte ein Teil einer Kolonne Ostrach, wo die ausgemergelten Häftlinge aufgrund der nahenden feindlichen Truppen von ihren Bewachern verlassen wurden und die Freiheit erlangten“, erzählt Fetscher. Zeugnisse dieses Todesmarsches sind Gräber, zwei davor auch im Wald um Ostrach, in denen an Entkräftung und Hunger verstorbene oder erschossene Häftlinge begraben sind.
„Diese Geschichte ist noch nicht ganz erschlossen“, so Fetscher. Aktuell forsche wieder ein Heimatforscher an den Hintergründen. Den Häftlingen haben die Ostracher Kartoffeln und Brot zugesteckt. „Manche sind umgekommen, da sie das Essen extrem heruntergeschlungen haben“, sagte Fetscher.
Etwas heller im Gemüt wurde es den Gästen wieder nach dem Besuch der Gedächtniskapelle auf dem Friedhof. Erinnerungen um berühmte Ostracher und deren Bekanntschaftsund Verwandtschaftsverhältnisse wurden beim Gang in Richtung Albert-Reis-Straße ausgetauscht. Über Albert Reis sei nicht viel zu lesen, so Fetscher. Auf seine Frage in die Runde, ob jemand aus dem Publikum wisse, was Reis zu Lebzeiten unternommen habe, kam die Antwort: „Alles!“. Der sozial engagierte Landwirt und Kommunalpolitiker sei an mehr als 30 Institutionen beteiligt gewesen, habe sich einen Namen in der landwirtschaftlichen Ausbildung des Nachwuchses und in der Viehzucht gemacht. Bereits im Alter von 48 Jahren erhielt Reis das Bundesverdienstkreuz.
Zum Abschluss der Führung ging es hinauf zum Buchbühldenkmal, einem um 1900 erbauten Wahrzeichen zum Gedenken an die im Jahr 1799 in der Schlacht bei Ostrach gefallenen Soldaten. Fetscher öffnete den Blick ins üblicherweise verschlossene Innere des Gebäudes und gab somit die Sicht frei auf die Mariendarstellung und die sternübersäte Kuppel.