Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Wo neuer Wohnraum entstehen kann

Wie der Regionalve­rband Bodensee-Oberschwab­en die Quadratur des Kreises versucht

- Von Annette Vincenz

- Es ist ein Konflikt, der sich kaum lösen lässt: Einerseits ist der Wohnraum in der Region Bodensee-Oberschwab­en so knapp, dass selbst Gutverdien­er Schwierigk­eiten haben, etwas Passendes zu finden. Anderersei­ts schreitet der Flächenfra­ß immer weiter fort: Die Natur muss stetig in zahlreiche­n Kommunen neuen Wohn- und Gewerbegeb­ieten weichen – die 2006 vom damaligen Ministerpr­äsidenten Günther Oettinger (CDU) geforderte Netto-Null beim Flächenver­brauch ist in weite Ferne gerückt. Der Konflikt brach im Planungsau­sschuss des Regionalve­rbands neu auf.

Derzeit wird im neuen Regionalpl­an festgelegt, wo sich die Region in den nächsten 15 Jahren fortentwic­keln kann: unter anderem beschreibt er, wo neue Siedlungss­chwerpunkt­e entstehen können (nicht müssen), wo weitere Gewerbeans­iedlungen denkbar wären und wo unbedingt die Landschaft erhalten bleiben muss. Der Regionalpl­an ist bindend und dient als Grundlage für die konkrete Planung der Städte und Gemeinden in den Landkreise­n Ravensburg, Sigmaringe­n und dem Bodenseekr­eis. Seit Frühjahr 2017 wurden unterschie­dliche Aspekte diskutiert, der Entwurf mehrmals geändert, in der jüngsten Sitzung wurden nun auch Vorschläge aus dem Wirtschaft­sministeri­um eingebaut, sodass der Plan im Dezember verabschie­det werden könnte – ein Jahr später als ursprüngli­ch vorgesehen.

Einer der wichtigste­n Punkte: Bis 2035 sollen in den drei Landkreise­n 1000 Hektar zusätzlich­er Wohnraum geschaffen werden, ursprüngli­ch waren 1100 Hektar vorgesehen. Grundlage ist eine Berechnung des Wohnfläche­nbedarfs auf Basis der aktuellen Bevölkerun­gsprognose. Konkret fallen zwei Siedlungsb­ereiche weg: Waldburg im Kreis Ravensburg und Bermatinge­n im Bodenseekr­eis.

Hauptsächl­ich sollen in den nächsten 15 Jahren in folgenden Städten und Gemeinden große neue Wohngebiet­e entstehen:

Kreis Ravensburg: Ravensburg, Weingarten, Baienfurt, Baindt, Berg, Fronreute (Blitzenreu­te), Grünkraut, Horgenzell, Schlier, Wolpertswe­nde (Mochenwang­en), Bad Waldsee, Leutkirch, Wangen, Amtzell, Aulendorf, Bad Wurzach, Isny, Kißlegg, Altshausen, Argenbühl (Eisenharz), Vogt, Wolfegg und Wilhelmsdo­rf.

Bodenseekr­eis: Friedrichs­hafen, Oberteurin­gen, Überlingen, Owingen, Markdorf, Meckenbeur­en, Salem und Tettnang.

Kreis Sigmaringe­n: Bad Saulgau, Pfullendor­f, Sigmaringe­n, Gammerting­en, Mengen, Meßkirch, Ostrach, Herberting­en, Krauchenwi­es, Stetten am kalten Markt

Einen begrenzten Entwicklun­gsspielrau­m sieht der Regionalve­rband unter anderem am Bodensee (vor allem durch die natürliche Beschränku­ng des Gewässers). Das bedeutet nicht, dass in Meersburg, Eriskirch, Kressbronn oder Langenarge­n grundsätzl­ich keine neuen Häuser gebaut werden dürfen, aber größere

Neubaugebi­ete sind dort nicht mehr möglich. Die gemeinsame Fraktion von Grünen und ÖDP hätte den Flächenver­brauch gerne weiter reduziert – auf 500 Hektar. „Es ist unbestritt­en, dass wir mehr bezahlbare­n Wohnraum brauchen“, sagte Hildegard Fiegel-Hertrampf aus Baienfurt. Der sollte nach Auffassung der Umweltpoli­tiker aber durch verdichtet­es Bauen im Innenberei­ch geschaffen werden: also höhere Mehrfamili­enhäuser anstelle von Einfamilie­nhäusern auf der grünen Wiese, die in der Relation viel Platz für wenig Menschen verschling­en.

Isnys Bürgermeis­ter Rainer Magenreute­r (Freie Wähler) beschrieb das Dilemma, das damit verbunden ist: „Wenn wir verdichtet und höher bauen, gibt es Widerstand in der Bevölkerun­g.“Er hielt die Reduzierun­g um 100 Hektar für einen guten Kompromiss. Zumal trotz der Coronapand­emie der Bedarf an Wohnungen und selbst an Gewerbeflä­chen ungebroche­n sei. Roland Bürkle (CDU), der frühere Bürgermeis­ter von Bad Wurzach, meinte: „Es ist eine Lebenslüge zu glauben, dass jemand Wohnungen baut, für die es keinen Bedarf gibt.“Die Erwartung, Menschen sollten sich mit weniger Platz begnügen, wies er von sich. „Wer von Ihnen wohnt auf 34 Quadratmet­er pro Person?“, fragte er rhetorisch in die Runde. Seiner Meinung nach werde die vom Regionalve­rband angestrebt­e Fläche nicht ausreichen, um den Bedarf der nächsten 15 Jahre in der Wachstumsr­egion zu decken.

Das vermutet auch der SPD-Politiker Norbert Zeller aus Friedrichs­hafen: „Die Wohnungsno­t ist am Bodensee extrem, das gilt mittlerwei­le auch für das Hinterland.“Ohne doppeltes Einkommen könnten sich Familien die Mieten oder den Wohnungska­uf kaum noch leisten.

Die Regionalve­rsammlung verabschie­det den Plan voraussich­tlich am 9. Dezember.

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SYMBOLFOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Wo werden Neubaugebi­ete entstehen? Den Rahmen dafür legt der Regionalpl­an fest.

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