Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ein Rettungsschirm ist dringend nötig
Saatkornhof bietet Ferien für Menschen mit Behinderung – Wirtschaftliche Lage ist angespannt
- In der Nähe des Pfrunger Rieds, umgeben von weiten Feldern und einen Steinwurf entfernt vom Ilmensee, liegt der Saatkornhof in Ruschweiler. Ein idyllisches Kleinod, das ganzjährig Ferien für Menschen mit Behinderung anbietet und somit gleichzeitig den Angehörigen etwas Zeit zum Auftanken und Durchatmen ermöglicht. Doch wie viele andere Einrichtungen hat auch der Saatkornhof mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie hart zu kämpfen.
Ohne Navigationsgerät ist der Saatkornhof kaum zu finden - zumindest, wenn man erstmalig anreist. Diesen ersten Besuch haben jedoch viele der Gäste längst hinter sich gelassen, sie sind mittlerweile Stammgäste. Auch wenn sie vielleicht andere Einrichtungen getestet haben, kommen sie gern wieder zurück, „weil sie es hier am schönsten finden“, sagt Emil Brandenburg, Bereichsleiter Wohnen bei den Oberschwäbischen Werkstätten für Behinderte (OWB). Er ist stolz auf diese „Perle“, wie er den Saatkornhof nennt, und er will um ihn kämpfen. Denn auch wenn die Einrichtung ein Aushängeschild ist und bis zum vergangenen Jahr betriebswirtschaftlich immer „haarscharf mit einer schwarzen Null rausgekommen ist“, so stehen dem Bereichsleiter in diesem Jahr tiefe Sorgenfalten auf der Stirn.
Pandemiebedingt brachen der Einrichtung die stark belegten Sommermonate weg, zwei Monate war komplett geschlossen. Mittlerweile können in reduzierter Zahl wieder Gäste betreut werden, jedoch nur wochenweise. Freitags Anreise, donnerstags Abreise – dann wird desinfiziert. „Ein abgestuftes Hygienekonzept minimiert das Ansteckungsrisiko erheblich, aber es gibt derzeit nirgendwo eine hundertprozentige Sicherheit“, sagt Brandenburg.
Der Saatkornhof wurde 1982 gegründet, seit 2003 ist er in Trägerschaft der OWB. Mehr als 20 Jahre lang leitete Bertram Rist die Geschicke der Einrichtung, im vergangenen Jahr übergab er sein Amt in wesentlich jüngere Hände.
Sarah Lang hätte sich ihren Start als Heimleitung durchaus entspannter vorstellen können, aber bis jetzt hat sie aus Sicht Brandenburgs „die Situation super im Griff“. Und die junge Frau bleibt optimistisch. „Wir hoffen, dass wir bald wieder individueller auf die Wünsche der Familien eingehen können“, sagt Lang und spricht damit von den circa 400 Familien, die die Ferien- und Freizeitangebote nutzen. Die Einrichtung ist stark frequentiert und „erfährt von allen Beteiligten sowie vom Landratsamt eine große Wertschätzung“, zeigt sich Brandenburg dankbar für die gute Zusammenarbeit, „aber das muss sich auch in Zahlen ausdrücken“.
Die wirtschaftliche Situation ist prekär, das erhebliche Defizit schultert momentan allein die OWB. Aus Brandenburgs Sicht fehle es an Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten, „einen Rettungsschirm wie im SGB XI gibt es für uns bisher nicht“.
Der Wohlfahrtsverband habe sich bereits im Juli mit einem Brief an den Sozialminister Manne Lucha gewandt. „Es wäre nicht zu verstehen, wenn beispielsweise für die Lufthansa Rettungspakete geschnürt werden, aber so kleine und so wichtige soziale Einrichtungen zur Entlastung von Familien wie der Saatkornhof auf der Strecke bleiben“, sagt Brandenburg. Aber der Bereichsleiter ist bekannt für seine Beharrlichkeit und insgeheim hofft er am Ende auch ein wenig auf „das Glück des Tüchtigen“.
Hoffnung, die auch von den Gästen des Saatkornhofes und ihren Angehörigen getragen wird. Denn es gibt immer weniger Einrichtungen zur Kurzzeitunterbringung für geistig und körperlich behinderte Menschen, das bestätigt auch Hubert Schneider, der ehrenamtlich im Verwaltungsrat der OWB tätig ist und selbst Vater eines behinderten Kindes ist. „Die Notwendigkeit ist vorhanden, aber es gibt immer weniger Plätze. Sie sind aber so wichtig für unsere Kinder, dass auch sie eine Auszeit haben und Ferien machen können in einer anderen, familiären Umgebung“, sagt Schneider am Telefon, während er sich bereits wieder um seinen Sohn kümmert. „Und das ist auch für uns Angehörige sehr wichtig, eine Art Quelle, um wieder auftanken zu können.“