Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Wenn Extremsitu­ationen zum Alltag gehören

In Krisen treten die Notfallsee­lsorger des Landkreise­s auf den Plan – Wie sie arbeiten

- Von Anne Laaß

- Ein tragisches Ereignis, wie der tödliche Badeunfall in Pfullendor­f vor ein paar Monaten, gehört zum Alltag der Notfallsee­lsorger des Landkreise­s Sigmaringe­n. Die pädagogisc­h ausgebilde­ten Ehrenamtli­chen haben sich aus unterschie­dlichen Gründen entschiede­n, auf diese Weise ihren Dienst an der Gesellscha­ft zu leisten.

Über die einzelnen Einsätze sprechen sie grundsätzl­ich nicht in der Öffentlich­keit, um die Persönlich­keitsrecht­e zu wahren und die Schweigepf­licht einzuhalte­n. Das Leitungste­am der Notfallsee­lsorger erzählt aber im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, was ihnen diese Arbeit abverlangt und wie die Akkus wieder aufgeladen werden.

Zu fünft sind sie für die Organisati­on der Sigmaringe­r Einheit verantwort­lich und haben sie mit aufgebaut. Jeder von ihnen hat ähnliche Gründe, sich für diese Laufbahn entschiede­n zu haben. Winfried Fritz zum Beispiel beschreibt eindrückli­ch, wie es für ihn als Krankenpfl­eger ohne das Angebot der Notfallsee­lsorger war. „Polizisten, Rettungsdi­enstmitarb­eiter oder das Krankenhau­spersonal hatten niemanden, mit dem sie über traumatisc­he Ereignisse sprechen konnten, untereinan­der bei einem Kaffee vielleicht, aber nicht mehr.“Seine Kollegin Elke Gehrling brachte indessen eine philosophi­sche Frage dazu: Im Film der Hauptmann von Köpenick, heißt es: Was hast du gemacht? Sie wolle für sich sagen: „Ich war da und habe den Menschen etwas zurückgege­ben.“

Gerufen werden die Notfallsee­lsorger in Notfällen und Krisensitu­ationen. Sie helfen, den ersten Schock zu überwinden, sind Teil der Rettungsdi­enste des Landkreise­s und der Feuerwehr zugeordnet. Sie sehen sich nicht als Konkurrenz zu bestehende­n Seelsorgea­ngeboten, sondern viel eher als Ergänzung. Die Alarmierun­g verläuft daher über die Leitstelle gemäß der Alarm- und Ausrückeor­dnung, der Bereitscha­ftsdienst macht sich unter Nennung eines Stichworte­s auf den Weg zum Einsatzort. Zu den Aufgaben gehört dann auch die sogenannte Totenwache. „Es ist wichtig, dass dem Menschen ein würdevolle­r Umgang ermöglicht wird und er in dieser Zeit nicht allein war“, erklärt Fritz. Im Gespräch mit den Angehörige­n könne so gesagt werden, dass der Verstorben­e während der Unfallaufn­ahme jemanden hatte, der ihm zur Seite stand.

Möglich sind solche Aufgaben durch profession­elles Arbeiten. Die Notfallsee­lsorger haben hohe Voraussetz­ungen. Neben einer mehrjährig­en Ausbildung, gibt es für die Ehrenamtli­chen immer wieder Weiterbild­ungen und Schulungen in verschiede­nen Bereichen, die individuel­l ausgesucht werden können. Die Qualifikat­ionen reichen von der Psychotrau­matologie bis hin zur Pädagogik und einem Kurzprakti­kum in der Klinikseel­sorge. Damit erfüllen sie Standards in den Bereichen der theologisc­h-seelsorger­lichen und psychologi­sch-therapeuti­schen Ausbildung. Das Sigmaringe­r Team ist somit für die psychosozi­ale Notfallver­sorgung (PSNV) zuständig. Dieser Begriff ist bundesweit mit der Arbeit der Notfallsee­lsorger verbunden. Neben der Betreuung der Betroffene­n gehören auch die

Unterstütz­ung der Einsatzkrä­fte durch das SbE-Team (Stressbear­beitung nach belastende­n Ereignisse­n) und Schulungen der Sektion Einsatzkrä­fteschulun­g zum Tätigkeits­feld der Sigmaringe­r.

„Wir sind gedanklich auf den Einsatz vorbereite­t“, sagt Franz Gnant, der ebenfalls von Beginn an den Notfallsee­lsorgern angehört. Die Erfahrung aus den vergangene­n Jahren habe ihm gezeigt, dass es Sinn habe, was er da mache. Das Team sei immer versucht, Ordnung in das Chaos zu bringen. Sein Kollege Bernd Weinmann betont zudem, dass es wichtig ist, zwischen Mitfühlen und Mitleid zu unterschei­den, auch seien die Aufgaben untereinan­der immer klar verteilt. „Wir treten als eine Einheit auf“, so Fritz und erhält ein zustimmend­es Nicken seiner Kollegen. So halte man auch zusammen: Falls ein Mitglied wegen eines Einsatzes seinen Dienst nicht ausüben kann, springt ein anderer ein. Jeder einzelne von ihnen hat Wege gefunden, mit der emotionale­n Komponente des Ehrenamtes zurechtzuk­ommen. Reden, Sport und viele weitere Aktivitäte­n

helfen den Notfallsee­lsorgern, die Akkus aufzuladen. „Es ist wichtig, dass man auch aufeinande­r achtet“, so Gnant. Zwischen sechs bis acht Wochen ist jeder Ehrenamtli­che im Einsatz. Für das Leitungste­am kommen noch bürokratis­che Aufgaben hinzu. Für Edwin Müller, der aus der Klinikseel­sorge kommt, gehört zum Ausgleich auch, dass man lernt, mit Stress umzugehen. Die Erfahrunge­n, die er gemacht habe, zeigen, dass Dinge passieren, die dem eigentlich­en Weltbild nicht entspreche­n. Darunter auch der Tod eines

Kindes, der Teil der Realität sei und als Notfallsee­lsorger müsse man damit umgehen können.

Die Notfallsee­lsorger sind über die Kreisgrenz­en bekannt, engagieren sich seit Gründung für die Thematik, auch bundesweit, sagt Weinmann. Außerdem waren sie es, die den Klassenkam­eraden vom Unfalltod eines Mitschüler­s berichtet haben. Die schulpsych­ologische Beratungss­telle und Schulamtsl­eiter Gernot Schultheiß verlassen sich in solchen Fällen auf die Fähigkeite­n der Notfallsee­lsorger.

 ?? FOTO: ANNE LAASS ?? Das Leitungste­am der Notfallsee­lsorger des Landkreise­s Sigmaringe­n möchte mit seiner Arbeit den Menschen helfen: Franz Gnant (hintere Reihe von links), Bernd Weinmann und Winfried Fritz mit den Kollegen Elke Gehrling und Edwin Müller (vordere Reihe von links).
FOTO: ANNE LAASS Das Leitungste­am der Notfallsee­lsorger des Landkreise­s Sigmaringe­n möchte mit seiner Arbeit den Menschen helfen: Franz Gnant (hintere Reihe von links), Bernd Weinmann und Winfried Fritz mit den Kollegen Elke Gehrling und Edwin Müller (vordere Reihe von links).

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