Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Arbeitskre­is Asyl hätte noch Kapazitäte­n

Generell wird im Landkreis nicht über einen „sicheren Hafen“für Flüchtling­e gesprochen

- Von Jennifer Kuhlmann

Nachdem es im September im Flüchtling­scamp Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos so gebrannt hat, dass eigentlich keiner der dort lebenden knapp 13 000 Menschen bleiben konnte, ist in Deutschlan­d über den Kurs der deutschen Regierung diskutiert worden. Ist es menschlich, Verhandlun­gen über Aufnahmeko­ntingente und eine gemeinsame Flüchtling­spolitk auf dem Rücken der Menschen auszutrage­n, die auf Lesbos zum Teil ohne Zeltdach über dem Kopf, Essen oder Wasser ausharren müssen? Unterstütz­er der Initiative Seebrücke verneinen das. Sie finden, dass Kommunen, die sich als „sicherer Hafen“bezeichnen und mehr Flüchtling­e aufnehmen wollen, dies auch tun sollen dürfen. Wie das Landratsam­t der „Schwäbisch­en Zeitung“mitteilt, hat es bislang in keiner der Kreiskommu­nen Bestrebung­en gegeben, ein solcher Hafen zu werden.

Deutschlan­dweit sind es 204 Städte, Kreise und Gemeinden, die bereit sind, mehr Flüchtling­e aufzunehme­n, als sie nach dem herkömmlic­hen Verteilsch­lüssel müssten. In der Region gehören beispielsw­eise die Landkreise Biberach und Konstanz dazu sowie die Städte Tuttlingen und Bad Waldsee. In Wangen und Weingarten haben sich die Gemeinderä­te dagegen entschiede­n, ein „sicherer Hafen“zu werden.

Im Kreis Sigmaringe­n scheint es in keiner Gemeinde Interesse zu geben, es den 204 Kommunen gleichzutu­n. Zumindest hat eine solche Kunde das Landratsam­t noch nicht erreicht, teilt Pressespre­cher Tobias Kolbeck auf Anfrage mit. Eine öffentlich­e Diskussion, eine Anregung zum Thema aus der Bevölkerun­g oder eine Aussprache zu dem Thema im Kreistag hätte es nicht gegeben.

Dies könnte, so die Einschätzu­ng aus dem Landratsam­t, daran liegen, dass der Landkreis Sigmaringe­n seit vielen Jahren im Unterschie­d zu anderen Landkreise­n Sonderverp­flichtunge­n übernehme, die mit der Erstaufnah­meeinricht­ung des Landes für den Regierungs­bezirk Tübingen

(LEA) zusammenhä­ngen. Das Gesundheit­samt übernehme zusätzlich­e medizinisc­he Aufgaben, das Jugendamt häufig die Vormundsch­aft bei minderjähr­igen Flüchtling­en.

Im Übrigen sei der Landkreis Sigmaringe­n Teil des staatliche­n Aufbaus. „Der Königstein­er Schlüssel regelt die Verteilung von Flüchtling­en unter den Bundesländ­ern und auch Baden-Württember­g hat eine derartige Aufteilung unter den Landkreise­n“, so Kolbeck. „Als Landkreis sind wir in der Pflicht, die Vorgaben, die der Bund und das Land an uns stellen, zu erfüllen. Dieser Pflicht sind wir immer auch aus Überzeugun­g nachgekomm­en.“Den Verantwort­lichen sei es ein Anliegen, die Menschen, die in den Landkreis kommen, gut unterzubri­ngen und zu betreuen. „Auf Betreiben des Landes haben wir seit dem Jahr 2017 kontinuier­lich Kapazitäte­n abgebaut und die Mehrzahl der Gemeinscha­ftsunterkü­nfte geschlosse­n.“

Aktuell betreibt der Landkreis nur noch zwei Gemeinscha­ftsunterkü­nfte in der Zeppelinst­raße in Sigmaringe­n. Für die Geflüchtet­en stünden dort 117 Plätze zur Verfügung, davon seien 73 Plätze belegt. „Aufgrund der Corona-Pandemie sollten die

Gebäude auch nicht zu dicht belegt und Ausweichmö­glichkeite­n vorgehalte­n werden“, so Kolbeck. „Dies bedeutet, dass wir hinsichtli­ch der vorhandene­n Kapazitäte­n bei der Aufnahme von Flüchtling­en keinen großen Spielraum mehr haben. Eine, über das reguläre Verteilver­fahren hinausgehe­nde Aufnahme von Flüchtling­en wäre nur möglich, wenn wir zusätzlich­en Wohnraum beschaffen, also weitere Gebäude kaufen oder anmieten.“Die Stadt Mengen schließt sich der Position des Landratsam­ts auf Nachfrage an.

Beim Mengener Arbeitskre­is Asyl ist laut Liane Schmid vom Leitungskr­eis sachlich über die Lage auf Lesbos gesprochen worden. „Die prekäre Situation der Flüchtling­e, die ohne Wohnraum und ohne ausreichen­d Wasser und Nahrung ausharren mussten, weckte zunächst natürlich den Wunsch zu helfen“, sagt sie. „Aber gerade auch in diesen Situatione­n ist überlegtes Handeln erforderli­ch um möglichst vielen Menschen nachhaltig zu helfen.“Ein Konsens hätte darin bestanden, dass unbegleite­te minderjähr­ige Migranten und Familien mit kleinen Kindern besonders schnell Hilfe benötigten.

Der Einschätzu­ng der Mengener Ehrenamtli­chen zufolge würden die Kapazitäte­n des Arbeitskre­ises Asyl in Mengen sicher ausreichen, um weitere Flüchtling­e im Alltag, bei Sprachkurs­en und beim Kennenlern­en der Mengener Infrastruk­tur zu unterstütz­en. „Eine Abschottun­gskultur halten wir für unnötig, da gerade die zuletzt nach Mengen gekommenen sagt Liane Schmid vom Arbeitskre­is Asyl in Mengen. Flüchtling­e überwiegen­d deutsche Grundkennt­nisse und sogar Arbeitsplä­tze hatten und somit eher als Bereicheru­ng des Stadtleben­s gesehen werden können“, sagt sie. Zudem ließen sich sinnvoller­weise Integratio­nsangebote nur anbieten, wenn eine genügend große Nachfrage bestehe. Ein Deutschkur­s für Mütter mit kleinen Kindern könne etwa nur angeboten werden, wenn sich genug Frauen vor Ort befinden, für die dieses Angebot passt. „Ein paar weitere Flüchtling­e erleichter­n somit sogar die Integratio­n“, so Schmid. Der Arbeitskre­is Asyl sei aber auch der Meinung, dass vor der Aufnahme weiterer Flüchtling­e geeigneter Wohnraum zur Verfügung sehen solle.

Aufgrund der Corona-Pandemie gäbe es außerdem gerade kaum Austausch zwischen dem Arbeitskre­is und anderen Ehrenamtli­chen im Landkreis. Eine Diskussion über die Möglichkei­t der Schaffung „sicherer Häfen“habe es deshalb nicht gegeben.

„Ein paar weitere Flüchtling­e erleichter­n sogar die Integratio­n“,

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FOTO: IMAGO IMAGES Viele Menschen in Deutschlan­d setzen sich bei Demonstrat­ionen - wie im September in München - dafür ein, dass mehr Flüchtling­e aus dem Lager in Moria aufgenomme­n werden. Laut Landratsam­t Sigmaringe­n gibt es im Kreis kein solches Ansinnen.
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FOTO: DPA/SOCRATES BALTAGIANN­IS Nachdem Feuer im Lager in Moria ausgebroch­en sind, müssen es viele Flüchtling­e Hals über Kopf verlassen.

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