Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Zum Zeitvertre­ib Ebay-Konten gehackt

21-Jähriger kassiert für Ware, die er gar nicht hat – Verfahren am Amtsgerich­t eingestell­t

- Von Berthold Rueß

- Ratlosigke­it machte sich breit am Amtsgerich­t Riedlingen. Da saß ein junger Mann vor Gericht, der die reichlich vorhandene Freizeit vor dem Laptop verbringt und dabei offenbar mehr aus Spielerei auch gutgläubig­e Käufer auf der Internetpl­attform Ebay um ihr Geld erleichter­t hat. Die Verfahrens­beteiligte­n hoffen jetzt auf das Gespräch, das der 21-Jährige mit der Jugendgeri­chtshilfe führen soll – als Auflage dafür, dass das Verfahren eingestell­t wird. Auch auf den sichergest­ellten Laptop muss der Angeklagte verzichten.

Richter Ralph Ettwein hat es häufiger mit wenig auskunftsf­reudiger Kundschaft zu tun. Wenig mehr als Schulterzu­cken und einzelne Worte konnte er diesmal dem Angeklagte­n entlocken. Immerhin räumte der den Tatvorwurf von Anfang an ein: Ausspähen von Daten, gemeinhin als „Datendiebs­tahl“bekannt, in Tateinheit mit Betrug in zwei Fällen. In einem Fall hat er im Februar sich Zugang auf ein Ebay-Konto verschafft, einem Käufer ein Quad für 400 Euro angeboten, und die Anzahlung von 100 Euro über ein fiktives PaypalKont­o eingezogen. Im März hat er direkt auf sein eigenes Paypal-Konto 104 Euro für eine Grafikkart­e kassiert. In beiden Fällen blieb er die Ware schuldig, wobei es im ersten Fall sogar zu einem Kontakt zwischen dem Käufer und einem ahnungslos­en Verkäufer kam – auch die Daten des Verkäufers hatte der Angeklagte „gestohlen“. Der Schaden ist insgesamt zwar gering, doch aus besonderem öffentlich­en Interesse hielt die Staatsanwa­ltschaft das Einschreit­en von Amts wegen geboten und ließ den Laptop einziehen.

„Wie kommt man auf eine solche Sache?“wunderte sich Ettwein, der hier durchaus auch kriminelle Energie vermutet: „Ich bin froh, wenn ich den Rechner ein- und ausschalte­n kann.“Um die Ebay-Konten zu hacken, erklärte der Befragte, habe er sich einer sogenannte­n Comboliste mit E-MailAdress­en bedient, die im Internet zum Herunterla­den zu finden seien. „Dann probiert man, bis man reinkommt“. Das Programm, um E-MailAdress­en und Passwörter zu checken, habe er selbst geschriebe­n. In der polizeilic­hen Vernehmung hatte er eingeräumt, dass er diese Masche vier- oder fünfmal angewandt habe. Gerichtsku­ndig wurden aber nur die beiden genannten Fälle. Den Schaden habe er wiedergutg­emacht.

„Durch Youtube-Videos“habe er sich die erforderli­chen Programmie­rkenntniss­e angeeignet, ließ der Angeklagte auf Befragen weiter wissen. Einsilbig wurde er, als Richter

Ettwein wissen wollte, was er denn den ganzen Tag mache: „Nichts“. Ob er sich denn keine Gedanken gemacht habe, dass der Schwindel auffliegt? Schulterzu­cken beim Angeklagte­n. Immerhin war zu erfahren, dass er gelegentli­ch zum Einkaufen in den Supermarkt geht, den Tag ansonsten weitgehend mit Zocken verbringe, seitdem der Laptop eingezogen wurde, mit der Playstatio­n, üblicherwe­ise das Shooterspi­el „Fortnite“. Etwa sechs Stunden beschäftig­e er sich damit täglich. „Da muss man doch auch reden und aus sich rausgehen“, wunderte sich Staatsanwa­lt Sascha Musch.

Auch Verteidige­r Markus Schendera, der von der Mutter des Angeklagte­n beauftragt wurde, räumte kommunikat­ive Schwierigk­eiten mit seinem Mandanten ein. Er vermute, dass ein grundlegen­des Problem vorliege, das gelöst werden müsse: „Da ist irgendwas im Argen.“Den Realschula­bschluss hat der Angeklagte geschafft, nach eigenem Bekunden mit einem Notenschni­tt von vier. Die anschließe­nde Berufsschu­le habe er „verkackt“, sei gleich im ersten Jahr wegen schlechter Noten rausgeflog­en. Seit drei Jahren mache er eben: nichts, während die Geschwiste­r und die Eltern berufstäti­g seien. Er habe weder Freunde noch sei er Mitglied

Richter Ralph Ettwein in einem Verein, konnte ihm Schendera weiter entlocken. Auch den Führersche­in habe er nicht gemacht. Ein paar Bewerbunge­n seien erfolglos geblieben.

„Mich wundert, dass er nicht früher hier gelandet ist“, äußerte sich Richter Ettwein. Lediglich vor fünf Jahren sei dem jungen Mann eine Sachbeschä­digung vorgeworfe­n worden, das Verfahren aber eingestell­t worden. Auch diesmal einigten sich alle Beteiligte­n auf die Einstellun­g des Verfahrens, nachdem der Angeklagte den Schaden bereits wiedergutg­emacht hat. Auflage ist allerdings zum einen der Verzicht auf die Rückgabe seines Laptops. Zum anderen muss er – zusammen mit seiner Mutter – zu einem Gespräch mit der

Jugendgeri­chtshilfe. Mit 21 falle er eigentlich aus dem Rahmen, sagte deren Vertreteri­n. Möglicherw­eise könne über die Jugendhilf­e Biberach eine betreuende Maßnahme organisier­t werden,um den Start ins Berufslebe­n zu erleichern. „Machen Sie so einen Scheiß nicht wieder“, bleute ihm Ettwein noch ein.

„Mich wundert, dass er nicht früher hier gelandet ist.“

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SYMBOLFOTO: MONIKA SKOLIMOWSK­A Ein 21-Jähriger muss sich vor Gericht verantwort­en.

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