Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Vom Recht auf den selbstbest­immten Tod

Ferdinand von Schirachs Drama „Gott“ist ein brisantes TV-Experiment über Sterbehilf­e

- Von Barbara Waldvogel

Im Februar hat das Bundesverf­assungsger­icht das Verbot der geschäftsm­äßigen Förderung der Suizidbeih­ilfe laut § 217 StGB für nichtig erklärt. Damit wurde auch das Recht auf selbstbest­immtes Sterben und damit die freiwillig­e Hilfe Dritter anerkannt. Darauf beruft sich in dem Stück „Gott“von Ferdinand von Schirach der lebensmüde 78-jährige Richard Gärtner. Vor einem fiktiven Ethikrat wird anhand seines Falles die Frage diskutiert „Wem gehört mein Leben?“. Mit einbezogen sind – wie schon in von Schirachs Stück „Terror“von 2016 – die Zuschauer, die per Telefon oder E-Mail ihr Urteil abgeben können. Das Ergebnis verkündet dann Frank Plasberg in der anschließe­nden Sendung „Hart aber fair“, bevor er mit realen Experten über Sterbehilf­e spricht.

Zum Streitfall: Der pensionier­te Architekt Gärtner (Matthias Habich) ist gesund, hat aber nach dem Tod seiner langjährig­en Ehefrau allen Lebensmut verloren und möchte sterben. Er beantragt beim Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbi­tal. Ohne Erfolg. Auch seine Ärztin (Anna Maria Mühe) verweigert die Assistenz beim Suizid. Zusammen mit seinem Rechtsanwa­lt Biegler (Lars Eidinger) will er vor dem Ethikrat sein Recht auf Unterstütz­ung beim Suizid erstreiten.

Soweit die Konstellat­ion im Theaterstü­ck „Gott“des Strafverte­idigers und Schriftste­llers Ferdinand von Schirach. Regisseur Lars Kraume hat es nun dank einer brillanten Schauspiel­erriege in ein aufwühlend­es TV-Drama umgearbeit­et und damit einen durchaus diskussion­swürdigen Programmpu­nkt für den November mit seinen Totengeden­ken geschaffen.

Besonders heikel bei der Beurteilun­g der Situation ist die gesundheit­liche keineswegs kritische Verfassung des Klienten. Er hat keinerlei Schmerzen, ist nicht depressiv, will aber nicht mehr ohne seine langjährig­e Ehefrau leben. „Ich bin mir selbst abhandenge­kommen, sagt er. Sein einziger Wunsch: in Ruhe sterben.

Eine kompetente Sachverstä­ndigenrund­e ist geladen, um dieses Ansinnen aus verschiede­nen Blickwinke­ln zu beleuchten: die Verfassung­srechtleri­n Professor Litten (Christiane Paul), der Theologe Bischof Thiel (Ulrich Matthes) und Professor Sperling (Götz Schubert) von der Bundesärzt­ekammer. Das große Verdienst dieses intensiven, dialogstar­ken Kammerspie­ls: Ein komplexer juristisch­er Sachverhal­t wird zum einen verständli­ch dargestell­t, zum anderen kommen die vielen Argumente, sowohl pro als auch contra, zur Sprache.

Wehret den Anfängen! – so kann man die Bedenken von Ethikrat-Mitglied Dr. Keller (Ina Weisse) interpreti­eren, die an die Taktik der Nationalso­zialisten erinnert, sich mit kleinen, aber folgenschw­eren Änderungen in entspreche­nden Gesetzeste­xten die Handhabe zur systematis­chen Vernichtun­g angeblich „unwerten“Lebens zu schaffen.

„Das allgemeine Persönlich­keitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbest­immtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillig­e Hilfe Dritter zurückzugr­eifen.“

Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts vom 26.2.2020

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