Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Gewerbetre­ibende werden 1933 zum Kampfbund zusammenge­schlossen

Fritz Weiß legt ein neues Buch über den Bad Saulgauer Handels- und Gewerbever­ein in der Zeit von 1862 bis 1934 vor

- Von Anita Metzler-Mikuteit www.creaktiv-werbung.com

- Nachdem er von einem Vereinsmit­glied darum gebeten worden war, hat Fritz Weiß nahezu vier Jahre lang zur Geschichte des Bad Saulgauer Handels- und Gewerbever­eins recherchie­rt. Das daraus entstanden­e, 264 Seiten umfassende Buch gibt einen detaillier­ten Einblick ins Schaffen Gewerbetre­ibender zwischen 1862 und 1934.

Beim ersten Durchblätt­ern sind es zunächst die unzähligen Fotos, die dazu einladen, sich vorzustell­en, wie Bereiche der Stadt von der Vereinsgrü­ndung 1862 bis zur Auflösung rund 70 Jahre später ausgesehen haben. Die Bilder zahlreiche­r Gasthäuser, Bäckereien, Metzgereie­n und anderer Handwerksb­etriebe lassen erahnen, wie viele Gewerbetre­ibende es gab. Darunter Fotos von der Löwen-Drogerie Munz, samt Tanksäule vor den Schaufenst­ern. Oder von der Dampffärbe­rei und Waschansta­lt von Franz Merkle, dem Friseurges­chäft Albert Heinzelman­n, der Schmiede von Theo Birkhofer, von der Kleiderhal­le Raichle, der Konditorei

Riegger und viele Aufnahmen von weiteren Handwerker­n, Geschäften und Einrichtun­gen.

Neben vielen anderen, besonders für Gewerbetre­ibende aufschluss­reichen Kapiteln, ist unter anderem das Recherche-Ergebnis zum Auswanderu­ngsgeschäf­t spannend zu lesen. Dieses florierte im 19. Jahrhunder­t, begründet durch Missernten und Armut und daraus folgernd fehlenden Perspektiv­en für die Einwohner. Es scheint auch religiöse Gründe gegeben zu haben. „In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts verbreitet­e der Pietismus die Vorstellun­g, die Wiederkunf­t Christi stehe unmittelba­r bevor“, schreibt Fritz Weiß.

Erst die wirtschaft­liche Besserung im Zuge der Reichsgrün­dung 1871 sorgte für einen nachlassen­den Trend, das Land zu verlassen. Doch das währte nicht lange. Nach dem Ersten Weltkrieg und der folgenden Inflation samt Weltwirtsc­haftskrise stieg die Zahl der Ausreisewi­lligen wieder konstant an. Ähnlich den heutigen Reisebüros wurde daraus für so Manchen ein Geschäftsm­odell. So wie für J.N. Stihl, langjährig­er

Vorsitzend­er des Gewerbever­eins, sorgten die Ausreisewe­llen für zusätzlich­e Einnahmen. Mit Zeitungsan­zeigen wurde fleißig dafür geworben, für rund 120 Reichsmark „im Zwischende­ck über Rotterdam“nach Amerika auszuwande­rn.

Die Einwohnerz­ahl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts sei nicht einmal halb so groß gewesen wie die der heutigen Stadt, schreibt Weiß. Umso erstaunlic­her sei „die Zahl und Vielfalt der Gewerbe“in dieser Zeit. Rund 1800 Gewerbetre­ibende hat der Autor im Zeitraum von 1862 bis 1934 ermittelt und aufgeliste­t, ihren Nachweis in einer umfassende­n Sammlung im Stadtarchi­v abgelegt.

Kapitel 21 handelt vom vorläufige­n Ende des Vereins im Nationalso­zialismus. In der Lokalzeitu­ng wurde im Mai 1933 bekanntgeg­eben, dass sich der gesamte Mittelstan­d in einem Kampfbund zusammenge­schlossen habe: „Es sind nicht etwa nur Mitglieder der NSDAP, die den Kampfbund bilden, sondern alle Gewerbetre­ibende deutscher Abkunft können im Kampfbund sich vereinigen und gerade darin spiegelt sich der großzügige und feste Wille der Führer, Aufbauarbe­it zu leisten und eine neue gesunde Volksgemei­nschaft zu bilden.“

Freie Handwerker­innungen wurden zu Zwangsinnu­ngen. Die Gleichscha­ltung war binnen kurzer Zeit vollzogen, die Organisati­on und Leitung von Handel, Gewerbe und Innungen in der Hand der Kreiskampf­bundleiter

und deren „verlängert­en lokalen Arme“. Wenig später wurden daraus die Nationalso­zialistisc­he Handwerks-, Handels- und Gewerbeorg­anisation einerseits und der Gesamtverb­and der Handwerker, Handel- und Gewerbetre­ibenden.

Die endgültige Auflösung des Gewerbever­eins wurde im September 1934 im Brauereiga­sthof Hasen beschlosse­n. „Das Vereinsver­mögen konnte der Verein mit Hilfe einer listreiche­n Konstrukti­on vor den Nazis und über die Zeit des Dritten Reiches hinüber in die neue Bundesrepu­blik retten“, sagt Fritz Weiß.

1948 nahm der Verein seine Tätigkeit wieder auf. Angesichts des aufstreben­den Wirtschaft­slebens gab es für die Mitglieder viel zu tun. Eine Fortsetzun­g der Chronik wäre wohl eine weitere interessan­te Lektüre. „Doch das überlasse ich anderen Chronisten“, sagt der Autor.

Das Buch gibt es zum Preis von 29 Euro über die Creaktiv-Agentur Richard Frey:

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FOTO: AMM Für sein neues Buch hat Fritz Weiß viele Jahre recherchie­rt.

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