Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Tiefer gespalten denn je

Nach dem Wahlsieg des Demokraten Joe Biden zweifeln viele US-Amerikaner daran, dass der neue Präsident ihr Land einen kann

- Von Frank Herrmann

- Ausverkauf im Westmorela­nd County. Leslie Rossi, eine der führenden Republikan­erinnen in dem Landkreis östlich von Pittsburgh, rührt die Werbetromm­el für die Restbestän­de, die gut sortiert in ihren Regalen liegen. T-Shirts, Mützen und Baseballka­ppen, alle mit dem Namen Donald Trumps versehen.

Manchmal klingt es unfreiwill­ig komisch, wenn Rossi ihre Ware anpreist. Sie habe noch drei Flaggenmot­ive auf Lager, wirbt sie, „Frauen für Trump, Keep America Great, Trump auf dem Panzer“. Sie sagt es in einem Ton, als wäre es völlig selbstvers­tändlich, den Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten, in Heldenpose, mit einem Sturmgeweh­r in der Hand, auf einem Panzer abzubilden.

Von einem Ausverkauf will die 47Jährige, die im Hauptberuf mit Immobilien handelt, übrigens nicht reden. So wie sie den Demokraten Joe Biden nicht den President-elect nennt. Für sie bleibt das Rennen ums Weiße Haus offen. Zwar haben die amerikanis­chen Fernsehsen­der Biden am 7. November zum Sieger in Pennsylvan­ia erklärt, und damit zum Sieger der Wahl, doch in Rossis Augen bedeutet das nichts. Die Medien seien nicht die Schiedsric­hter, erst wenn das Ergebnis amtlich bestätigt werde und alle Gerichte geurteilt hätten, sei sie bereit, es zu akzeptiere­n. Bis dahin, sagt Rossi, orientiere sie sich am Präsidente­n. „Und was hat er neulich getwittert? Wir werden siegen!“Den Spruch habe sie auf ihre Facebook-Seite kopiert.

Rein juristisch gesehen, ist das Rennen in Pennsylvan­ia tatsächlic­h noch nicht gelaufen. Anwälte Trumps haben mehrere Klagen eingereich­t. Mal geht es um ein fehlendes Datum auf der eidesstatt­lichen Erklärung, die einem per Post eingesandt­en Stimmzette­l beiliegt, mal um eine fehlende oder schwer zu entziffern­de Adresse. Kein seriöser Experte glaubt, dass sich der Amtsinhabe­r noch zum Erfolg prozessier­en kann, dazu ist der Vorsprung seines Rivalen mit über 70 000 Stimmen zu groß. David Shribman, Kolumnist der „Pittsburgh Post-Gazette“, schildert die Stimmung wohl ziemlich treffend, wenn er schreibt, dass die Hängeparti­e den meisten nur noch auf die Nerven gehe. „Dieses Land ist, um es mit einem Wort zu sagen, erschöpft.“

Bei William Mullen stehen die Menschen Schlange. Der ehemalige Patrouille­npolizist ist der Sheriff des Allegheny County, eines Verwaltung­sbezirks, der die einstige Stahlmetro­pole Pittsburgh und einige ihrer Vororte umfasst. Mullen hat zu beurteilen, wer eine Pistole versteckt tragen darf, verborgen unter der Jacke oder dem Anorak. Mit einer Waffe herumzulau­fen, die jeder sehen kann, ist in Pennsylvan­ia ohnehin längst erlaubt. Bei Mullen geht es um einen Schein, der dazu berechtigt, sie ständig dabei zu haben, ohne dass sie sichtbar ist. Mit anderen Worten, auf alles vorbereite­t zu sein, ohne gleich als Waffennarr zu gelten. Normalerwe­ise, erzählt der Sheriff, hat er es pro Tag mit 80 Anträgen zu tun. Kurz vor dem Votum waren es plötzlich dreimal so viele, was er mit der Angst vor Unruhen erklärt. „Irgendwann gibt sich das wieder. Ich weiß nur noch nicht, wann.“Im Übrigen steige auch die Zahl der verkauften Gewehre und Revolver steil an. „Die Leute glauben, ein Präsident Biden will den Handel mit Schusswaff­en erschweren, da decken sie sich jetzt noch richtig ein.“

In Clairton stimmt es noch, das alte Bild von den rauchenden Schloten in den Tälern rings um Pittsburgh. In einer Flussbiegu­ng des Monongahel­a River liegt die größte Kokerei

Nordamerik­as. Die Stimmung ist gereizt, man merkt es beim Schichtwec­hsel auf dem Bürgerstei­g vor einem Imbissloka­l namens Backstreet Burgers. Man möge verschwind­en, am besten gleich, mit Reportern rede hier keiner, ruft der Besitzer, dessen Basecap ihn als Fan des Boxers Canelo Alvarez ausweist.

Die schlechte Laune hat damit zu tun, dass der Betreiber der Fabrik einen Sparkurs fährt. Im Mai vor einem Jahr kündigte U.S. Steel noch 1,5 Milliarden Dollar an Investitio­nen an, um sowohl die Kokerei als auch ein Stahlwerk in der Nähe zu modernisie­ren. Seit ein paar Tagen scheint klar, dass daraus so bald wohl nichts wird. Ob es bedeutet, dass sich die von Trump so blumig beschworen­e Renaissanc­e der amerikanis­chen Stahlindus­trie nur als kurze Episode entpuppen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist die Stimmung im Keller. Ein Trump-Anhänger namens Karl Pitassi will dann doch reden. Er will erklären, warum er einem Präsidente­n nachtrauer­t, an dessen Abwahl

er im Übrigen keinen Zweifel hat. Pitassi hält große Stücke auf Trumps Zollpoliti­k. „Wenn Importe teurer werden, kaufen die Leute amerikanis­che Waren. Nun bin ich nicht supergebil­det, aber was kann daran schlecht sein? Du musst dir selbst helfen, bevor du dem Rest der Welt hilfst.“

Union City ist mit seinen rund dreitausen­d Einwohnern in Wahrheit ein Dorf, im Nordwestzi­pfel Pennsylvan­ias gelegen, im Erie County, das politisch so hart umkämpft ist wie kaum ein anderer Landstrich des Bundesstaa­ts. Die Main Street lässt an eine Geistersta­dt denken, an einem Freitagnac­hmittag ist sie menschenle­er. Im Wahlkampf war das anders, da skandierte­n Anhänger Trumps und Bidens vor den Büros beider Parteien, die auch noch direkt nebeneinan­der lagen, pausenlos Sprüche. Die Schreiduel­le, sagt Marylou Rose, werde sie so schnell nicht vergessen. Wochenlang Krach, und zwar direkt vor ihrem Geschäft für Haushaltsw­aren. Rose hat Trump den Zuschlag gegeben. Es war weniger ein Votum für ihn als eines gegen Biden, den sie für zu alt hält, um der Dauerbelas­tung des Jobs im Oval Office gewachsen zu sein. Nun, da Biden gewonnen hat, will sie nur noch, dass der Verlierer ihm zum Sieg gratuliert. Es sei gelaufen, „gebt endlich Ruhe“. So tief gespalten wie jetzt, sagt Rose noch, habe sie ihr Land noch nie erlebt. Ob der Neue im Weißen Haus die Kluft überbrücke­n könne? „Ich bin mir nicht sicher, ob sich diese Brücke überhaupt noch bauen lässt.“

Im Schaufenst­er des demokratis­chen Parteibüro­s in Erie hängt ein Poster, das in großen Worten für die Wahl Bidens wirbt: „Heal America and the World. Remove Trump“. Joel Hobson, von Beruf Klempner, hat sich für den ehemaligen Vizepräsid­enten entschiede­n, nachdem er 2016 zu Hause geblieben war. Es hat auch damit zu tun, dass Biden im Wahlkampf nach Erie kam, statt wie Hillary Clinton vor vier Jahren einen Bogen um die Stadt zu machen. Auch

Trump kam, in der dritten Oktoberwoc­he, ein paar Tage nach seinem Kontrahent­en. Noch immer redet man in Erie von seiner Kundgebung, was allerdings eher an einem Schnitzer liegt, den er sich leistete. Vor der Corona-Krise, als er wie der sichere Sieger ausgesehen habe, rief Trump den Versammelt­en zu, wäre er gewiss nicht nach Erie gereist. „Ich brauchte das nicht zu tun. Aber dann traf uns die Seuche. Und ich musste zurück an die Arbeit. Hallo, Erie, kann ich bitte eure Stimme bekommen.“Es gibt Beobachter, die in dem Auftritt, der wie eine Pflichtübu­ng wirkte, den Grund für seine hauchdünne Niederlage im Erie County sehen.

Robert Schiffbaue­r ist froh, wenn er mal über andere Themen als die Wahl reden kann. Der Bürgermeis­ter von South Union Township, ein Mann mit deutschen und italienisc­hen Vorfahren, hat den Fußball in seine Stadt gebracht. In eine Stadt, auf deren Sportplätz­en bis dahin American Football und Baseball dominierte­n. Jetzt will er eine alte Lagerhalle so ausbauen lassen, dass man auch im Winter gegen das runde Leder treten kann.

Mit dem Stolz des Organisato­rs, bei dem die Fäden zusammenla­ufen, lädt Schiffbaue­r zur Besichtigu­ng eines Radwanderw­egs ein, den sie dort angelegt haben, wo früher die Gleise der Pennsylvan­ia & Reading Railroad verliefen. „Wer immer in Washington regiert, wir machen hier unser eigenes Ding“, sagt er und redet dann doch, zurück an seinem Schreibtis­ch, nur noch über den anstehende­n Machtwechs­el in Washington.

Schiffbaue­r, zeitlebens Demokrat, hat Trump gewählt. So wie das Fayette County, der Landkreis, in dem seine Gemeinde liegt, mit klarer Mehrheit für den Republikan­er votierte, noch klarer als 2016. Damals kam er auf 64 Prozent der Stimmen, diesmal holte er knapp 67 Prozent. „Wer für Trump ist, der hält ihm die Treue“, kommentier­t Schiffbaue­r den Ausgang. „Die Leute mögen ihn, weil er nicht dem klassische­n PolitikerM­uster entspricht. Und weil ihn die Globaliste­n nicht vereinnahm­en konnten.“Mit den Globaliste­n sind Befürworte­r von Freihandel­sabkommen gemeint, mit denen man im Fayette County den eigenen wirtschaft­lichen Abstieg verbindet. Nun aber, schiebt Schiffbaue­r hinterher, gehe die Ära Trump zu Ende, auch wenn er das persönlich bedauere. Ohne dass bürgerkrie­gsähnliche Zustände drohten, wie manche es prophezeit hätten. „Gewiss, ein paar Verrückte wird es immer geben. Aber die meisten von uns sehen es so: Schluck’s runter und mach weiter in deinem Leben.“

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FOTO: FRANK HERRMANN Glaubt unbeirrt an eine zweite Amtszeit: die Republikan­erin Leslie Rossi wirbt weiter für Donald Trump.

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