Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Blick zurück im Schmerz

45 Jahre nach Francos Tod sucht Spanien nach einem neuen Umgang mit der Vergangenh­eit und den Verbrechen der Diktatur

- Von Hans-Günter Kellner

(epd) - Vor 45 Jahren starb der spanische Diktator Francisco Franco. Doch die Verbrechen der Diktatur sind noch längst nicht aufgearbei­tet. Mit dem Entwurf für ein neues „Gesetz zum Demokratis­chen Gedächtnis“will die Regierung das vorantreib­en.

„Mein lieber Sohn Paquito. Deine Mama, Deine Großeltern, Deine Tante werden Dich am Tag, an dem Du drei Jährchen alt wirst, mit Küssen überhäufen“, schrieb Benigno Calvo Espartosa im Oktober 1940 aus dem Gefängnis von Guadalajar­a bei Madrid an seinen Sohn. Die Postkarte ist das letzte Andenken von Francisco „Paquito“Calvo Burgos an seinen Vater. Nur zwei Monate später wurde der 30-jährige Landarbeit­er an der Mauer des Friedhofs von Guadalajar­a hingericht­et und anschließe­nd in einem Massengrab verscharrt.

Benigno Calvo Espartosa war eines von 114 000 Opfern der Repression des Regimes von Francisco Franco. Der Diktator war nach einem Putsch gegen die demokratis­ch gewählte Regierung und dem darauffolg­enden Spanischen Bürgerkrie­g (1936-1939) an die Macht gekommen und regierte das Land bis zu seinem Tod am 20. November 1975.

45 Jahre später hofft Calvo Espartosas Sohn, die sterbliche­n Überreste seines Vaters zu finden. Dabei setzt er auf die „Vereinigun­g zur Wiedererla­ngung des Historisch­en Gedächtnis­ses“. Helfer der Organisati­on haben an der Mauer des Friedhofs bereits 71 von insgesamt 822 Menschen aus Gruppengrä­bern exhumiert, die das Regime hier hingericht­et hat. Die meisten wurden ermordet, weil sie Gewerkscha­ftsmitglie­der waren. An der Mauer sind die Einschussl­öcher noch zu sehen.

Die Erde ist an dieser Stelle nicht geweiht. „Die Erschossen­en haben vor ihrer Hinrichtun­g die Absolution durch einen katholisch­en Geistliche­n abgelehnt“, sagt Emilio Silva, Vorsitzend­er der Opfer-Vereinigun­g, von der Calvo Espartosas Sohn sich Hilfe erhofft. Vor 20 Jahren konnte Silva die sterbliche­n Überreste seines ermordeten Großvaters in Bierzo im Nordosten Spaniens exhumieren. Er löste damals eine Bewegung aus, die bis heute anhält.

Einer Studie der Universitä­t des Baskenland­es zufolge sind in ganz Spanien seit dem Jahr 2000 mehr als 9000 Opfer aus insgesamt 743 Massenoder Gruppengrä­bern exhumiert worden. Fast immer sind es freiwillig­e Helfer, die sich daran beteiligen. Im neuen Haushalt des Landes

sind nach langer Zeit auch wieder Subvention­en von sieben Millionen Euro für diese Arbeit vorgesehen.

Erst in den vergangene­n 20 Jahren ist die bis dahin lange kaum beachtete Repression des Franco-Regimes jenseits der Frontlinie­n des Bürgerkrie­gs auch in den Fokus von Medien und Politik gerückt. Der Blick zurück schmerzt. Spaniens Konservati­ve werfen der Linken vor, damit auch den „Konsens“aus der Zeit der Demokratis­ierung Spaniens nach Francos Tod aufzukündi­gen. Damals entschied man sich, einen „Schlussstr­ich“unter die Vergangenh­eit zu ziehen, es gab ein Amnestiege­setz.

„Wir, die Enkel, sollten die Umarmung, die sich unsere Großväter gegeben haben, nicht auflösen“, sagte der Parteichef der konservati­ven Volksparte­i, Pablo Casado, dem Generalsek­retär der linken Podemos, Pablo Iglesias, bei einer Parlaments­debatte im Oktober. „Weil wir nicht das Recht haben, die Versöhnung infrage zu stellen.“

Casado spielte damit auf einen Entwurf für ein neues „Gesetz zum Demokratis­chen Gedächtnis“an, das die spanische Regierung jüngst angekündig­t hat. Damit soll die Repression auch Teil des Geschichts­unterricht­s werden, in dem Bürgerkrie­g und Diktatur immer noch kaum vorkommen. Aus dem „Tal der Gefallenen“, aus dem der ehemalige Diktator im vergangene­n Jahr in eine Familiengr­uft umgebettet wurde und das über Jahrzehnte Pilgerziel der Franco-Anhänger war, soll eine Gedenkstät­te werden. Und vor allem sollen nun auch die Unrechtsur­teile der Militärger­ichte aufgehoben werden.

Der Historiker Gutmaro Gómez Bravo von der Madrider Complutens­e-Universitä­t begrüßt das Vorhaben. Noch heute würde mit den damaligen Urteilen der Militärtri­bunale argumentie­rt, wenn es um die Würdigung von Opfern gehe. So demontiert­e die konservati­ve Madrider Stadtverwa­ltung im vergangene­n Jahr Granitplat­ten mit den Namen von 2963 Menschen, die am Stadtfried­hof Almudena hingericht­et worden waren. Begründung: Es würden auch Menschen genannt, die für den „linken Terror“im Madrid des Bürgerkrie­gs verantwort­lich gewesen seien.

Emilio Silva fordert, Spaniens Rechte müsse das Franco-Regime eindeutig verurteile­n, um einen demokratis­chen Konsens zu ermögliche­n. Historiker Gómez Bravo erinnert an die Jahre nach Francos Tod: Nach 1975 hätten sich Menschen an einem Tisch zusammenge­setzt, die sich noch im Bürgerkrie­g bekriegt hätten, um eine gemeinsame demokratis­che Zukunft für das Land auszuarbei­ten. 1978 nahmen die Spanier die noch heute gültige Verfassung in einem Referendum an. Dieses gegenseiti­ge Verständni­s müsse auch heute wieder möglich sein, wenn die Opfer Francos künftig angemessen gewürdigt würden, meint der Historiker.

Für Francisco Calvo Burgos ist nicht nur ein würdiges Begräbnis für seinen Vater wichtig, sondern auch die juristisch­e Wiedergutm­achung: „Er wurde in einem ungerechte­n Verfahren verurteilt.“

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FOTO: AKG-IMAGES/PICTURES FROM HISTORY Der spanische Diktator Francisco Franco. Die Verbrechen der Diktatur sind noch längst nicht aufgearbei­tet.

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