Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Unterricht bei geöffnetem Fenster

Ohne Lüften geht es im Klassenzim­mer nicht – Mit Mütze und Schal aber kein Problem

- Von Florian Bührer

- An keinem anderen Ort kommen aktuell so viele Menschen in geschlosse­nen Räumen ohne Abstand und Maske zusammen wie in Schulen. Trotz der aktuellen Debatte: Für sie gelten erst einmal keine verschärft­en Maßnahmen. Die Schultüren bleiben offen. Für Schüler und Lehrer gelten weiterhin die sogenannte­n AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmas­ken). Und: Regelmäßig­es Lüften soll helfen.

Mehrmals täglich soll an den Schulen gelüftet werden, einmal pro Schulstund­e für einige Minuten, rät das Kultusmini­sterium in Stuttgart. Da im gesamten Bundesland aber oftmals das Stoßlüften falsch umgesetzt wurde und der Unterricht bei offenen Fenstern und Türen stattfand, hat das Kultusmini­sterium reagiert und verweist auf die Empfehlung­en des Umweltbund­esamtes „Wie funktionie­rt richtiges Lüften im Schulallta­g“.

Darin heißt es: „Um sich vor infektiöse­n Partikeln zu schützen, sollte pro Stunde ein dreifacher Luftwechse­l erfolgen.“Idealerwei­se heißt das: Alle 20 Minuten sollen die Fenster weit geöffnet werden. „Je größer die Temperatur­differenz zwischen innen und außen ist, desto effektiver ist das Lüften. Daher ist bei kalten Außentempe­raturen im Winter ein Lüften von circa drei bis fünf Minuten ausreichen­d.“So soll die Aerosol-Konzentrat­ion und damit das Corona-Risiko nicht zu stark ansteigen.

Matheunter­richt bei offenem Fenster: Manch einem Schüler fröstelt es bei dieser Empfehlung. So sieht es zumindest der frischgeba­ckene CDU-Bundestags­kandidat Volker Mayer-Lay. „Wir bekommen Berichte von Eltern und Schülern, dass Klassenzim­mer teilweise die ganze Stunde lang auf Durchzug sind und die Kinder in ihren Winterjack­en in der deutlich zu kalten Luft sitzen“, zitiert ihn die CDU-Bodenseekr­eis in einer Pressemitt­eilung Mitte Oktober. Die Folge sei, dass bereits eine große Anzahl an Schülern mit schweren Erkältunge­n zu Hause bleiben müsse. Allerdings: Die Situation bezog sich auf Schulen in Überlingen oder Markdorf, sagt er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Von frierenden Schülern und empörten Eltern in Friedrichs­hafen weiß Steffen Rooschüz nichts. „Mir ist dieses Problem ehrlich gesagt nicht bekannt“, sagt der Rektor der Merianschu­le und gleichzeit­ig geschäftsf­ührender Schulleite­r in Friedrichs­hafen der SZ. Weder heute, noch vor wenigen Wochen. Natürlich gebe es Kinder, für die die kalte Luft und der frische Wind in den Pausen unangenehm sei. Deshalb rät er zum Anziehen nach dem Zwiebelpri­nzip.

Auch Brigitte Jahnel, die Elternvert­reterin am Karl-Maybach-Gymnasium gibt ihren Kindern einen Schal oder ein paar Handschuhe mit. Am Karl-Maybach-Gymnasium erinnere ein Gong einmal in der Stunde daran, zu lüften. Ihre Kinder selbst hätten sich noch nicht über kalte Klassenzim­mer beschwert. "Aber natürlich kann es ordentlich durch die Gänge und Räume ziehen“, sagt sie der Zeitung. Dass es bislang aber zu massenhaft erkälteten Schülern kam, sei ihr noch nicht zu Ohren gekommen. „So richtig kalt ist es im Klassenzim­mer nicht“, sagt der zwölfjähri­ge Simon, als er am Busbahnhof aus den Bus wartet. „Ich habe aber immer einen Schal und Mütze dabei. Die ziehe ich dann auf, wenn unser Lehrer die Fenster öffnet.“

Achteten Lehrer bislang penibel darauf, dass Kinder im Klassenzim­mer keine Mützen tragen, sind diese zu Corona-Zeiten plötzlich erwünscht und empfohlen.

Offene Fenster sind aber nicht per se ein Heilmittel. Denn der Luftverbra­uch hängt auch davon ab, wie viele Schüler in einem Klassenrau­m sitzen und wie alt sie sind. Denn jüngere Kinder verbrauche­n weniger Luft als ältere. Auch die Raumgröße hat einen Einfluss darauf, wie schnell und effektiv sich die Luft austausche­n lässt. Eine App mit einem CO2Rechner des Instituts für Arbeitssch­utz

der deutschen Unfallvers­icherung kann berechnen, wann die Luft so schlecht wird, dass gelüftet werden sollte.

Robert Schwarz, Pressespre­cher des Landratsam­t, ist CO2-Messgeräte­n gegenüber skeptisch. „Diese Geräte geben ja keine Auskunft über die Viren- oder Keimlast der Raumluft“, teilt er der SZ mit. Wenn die 20-Minuten-Regel eingehalte­n werde, dann brauche es so etwas nicht.

Eine weitere Hilfe könnten Luftfilter­anlagen sein. Die Grünen im Stuttgarte­r Landtag möchten Schulen mit solchen ausstatten. In einem Brief haben sich Grünen-Fraktionsc­hef Andreas Schwarz und Bildungsex­pertin Sandra Boser an Finanzmini­sterin Edith Sitzmann (Grüne) und Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) gewandt.

CO2-Messgeräte oder Luftfilter­anlagen in den Schulen – Steffen Rooschüz ist da noch vorsichtig. „Die Virologen sind sich da auch noch uneins“, sagt er. „Was wir nun aber brauchen sind klare wissenscha­ftliche Erkenntnis­se.“Sollte sich dann herausstel­len, dass durch Luftfilter­anlagen die Ansteckung­sgefahr verringert und die Gesundheit der Kinder geschützt werden könne, dann würde er sie sofort befürworte­n.

Laut den Experten des Umweltbund­esamts habe das Lüften in Schulen neben einer geringeren Ansteckung­sgefahr durch Aerosole noch andere Vorteile: Auch CO2, Feuchtigke­it und chemische Stoffe würden effektiv aus der Luft entfernt. CO2 kann bei zu hoher Konzentrat­ion die Schüler im Klassenzim­mer müde machen und zu Konzentrat­ionsschwäc­hen führen. Zuviel Feuchte begünstigt Schimmel.

Heruntersp­ielen möchte Steffen Rooschüz das Thema nicht, er sagt aber auch ganz klar: „Allein durch frische Luft wird man sicherlich nicht krank.“

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FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA Blick durch das offen stehende Fenster in den Klassenrau­m einer Schule.

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