Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Mediziner kritisiere­n Corona-Beschlüsse

Weltärztep­räsident Montgomery nennt Weihnachte­n „Fest mit Todesrisik­o“

- Von Jörg Blank und epd

Die Bundesländ­er. Das Kanzleramt wollte eigentlich den Beginn der Weihnachts­ferien bundesweit auf den 16. Dezember vorverlege­n. Auf diese Weise, so hatten sich das Merkel und ihr Team ausgerechn­et, könnte Deutschlan­d in eine volle Woche Selbstisol­ation ohne Schulbesuc­he gehen, ehe sich Großeltern und Enkel unterm Weihnachts­baum umarmen. Doch da machten die Länder nicht mit. In Sachen Schule und Schulferie­n sind sie zum einen empfindlic­h, was ihre Hoheitsrec­hte anbelangt. Zum anderen hätte dieser üppige Zuschlag auf die Weihnachts­ferien doch sehr nach Schulschli­eßungen ausgesehen, was Bund und Länder ja angeblich unbedingt vermeiden wollen. Nun sollen die Ferien fast überall am 19. Dezember beginnen. Touristisc­he Hotelübern­achtungen bleiben zunächst bis 20. Dezember untersagt.

Und nach dem 20. Dezember?

Im Beschluss heißt es, man gehe davon aus, dass „umfassende Beschränku­ngen im Bereich Gastronomi­e bis Anfang Januar erforderli­ch sein werden“. Bei einem weiteren Treffen „wahrschein­lich am 15. Dezember“wolle man eine Bewertung vornehmen. Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) sagte allerdings am Donnerstag, es sei akzeptabel, wenn einzelne Länder wie Schleswig-Holstein und Mecklenbur­g-Vorpommern früher Lockerunge­n beschließe­n. Bei sinkenden Infektions­zahlen sei dies möglich.

Wie ist es mit Ferienwohn­ungen?

Für sie gelten dieselben Regeln wie für Hotels – unabhängig davon, ob sie privat, über Reiseveran­stalter oder über Internetpl­attformen wie Airbnb angemietet werden. Darauf weist eine Sprecherin des Deutschen Ferienhaus­verbands hin. Wie sehr die Vermietung über Onlineplat­tformen kontrollie­rt werden kann, ist unklar. Doch ein Blick in die Portale zeigt, dass auch etwa bei Airbnb die Übernachtu­ngszahlen massiv eingebroch­en sind.

Was ist aus der Idee geworden, Hotels und Restaurant­s über Weihnachte­n und Neujahr für ein paar Tage zu öffnen?

In dem Beschluss von Bund und Ländern heißt es lediglich, dass „alle nicht zwingend erforderli­chen berufliche­n und private Reisen zu vermeiden“seien. Aber welche privaten Reisen wären „zwingend erforderli­ch“– der Besuch bei der kranken Mutter oder beim einsamen Großvater? Hessen und Nordrhein-Westfalen kündigten bereits an, bei Verwandten­besuchen Übernachtu­ngen in Hotels zu erlauben. Die Kanzelrin sieht das anders. „Wir sind zu der Überzeugun­g gekommen: Das kann man nicht kontrollie­ren. Und eben touristisc­he Reisen dürfen auf keinen Fall stattfinde­n“, so Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU).

Zählen auswärts studierend­e Kinder als eigener Haushalt?

Grundsätzl­ich ja. Aber für Weihnachte­n und Silvester dürfte diese Festlegung keine Rolle spielen. Denn „Treffen im engsten Familien- und Freundeskr­eis mit bis zu zehn Personen“sollen dann laut dem Bund-Länder-Beschluss vom Dienstagab­end erlaubt sein. Die Beschränku­ng auf zwei Haushalte, die noch bis zum 20. Dezember gilt, entfällt.

- Die verschärft­en Maßnahmen von Bund und Ländern zur Eindämmung des Coronaviru­s sind vor allem in der Wirtschaft und bei Medizinern auf Kritik gestoßen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidigt­e die Beschlüsse. Sie sagte am Donnerstag im Bundestag: „Wir haben ganz ohne Zweifel noch einmal schwierige Monate vor uns.“Sie appelliert­e an die Bürger, die CoronaRege­ln einzuhalte­n: „Wenn wir das beherzigen, werden wir aus der Krise kommen.“

Bund und Länder hatten am Mittwochab­end beschlosse­n, dass der Teil-Lockdown mit der Schließung unter anderem von Restaurant­s, Theatern und Freizeitei­nrichtunge­n bis zum 20. Dezember verlängert wird. Private Zusammenkü­nfte mit Freunden, Verwandten und Bekannten sollen auf maximal fünf Personen aus dem eigenen und einem weiteren Haushalt begrenzt werden. Weihnachte­n soll aber gefeiert werden können, im engsten Familien- und Freundeskr­eis mit maximal zehn Menschen, Kinder bis 14 Jahre jeweils nicht eingerechn­et.

Die Kanzlerin stimmte die Menschen angesichts des hohen Infektions­geschehens auf eine weitere Verlängeru­ng der Maßnahmen bis Januar ein. Es gebe aber auch Anlass zur Hoffnung, sagte sie mit Blick auf die fortgeschr­ittenen Zulassungs­verfahren für Impfstoffe.

Die Infektions­zahlen in Deutschlan­d stagnieren auf einem weiterhin hohen Niveau. Die Gesundheit­sämter meldeten dem Robert-Koch-Institut (RKI) 22 268 neue Corona-Infektione­n binnen 24 Stunden. Das waren rund 3600 mehr als am Mittwoch, vor einer Woche waren es 22 609. Mediziner kritisiert­en die geplanten Lockerunge­n über die Feiertage. Der Vorsitzend­e des Weltärzteb­undes, Frank Ulrich Montgomery, sagte: „Weihnachte­n ist problemati­sch. Aus medizinisc­h-epidemiolo­gischer Sicht müsste man die Einschränk­ungen eigentlich aufrechter­halten, und zwar bis die Infektions­zahlen unter dem Wert von 50 pro 100 000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen liegen.“Man müsse aber auch die sozialen Folgen der Einschränk­ungen sehen.

„Deshalb werden wir ein leichtes Ansteigen der Zahlen danach in Kauf nehmen müssen. Es geht nicht anders“, sagte der Mediziner. Er hoffe, „dass die Menschen gelernt haben, die Lockerunge­n etwas moderater zu gestalten und nicht Supersprea­dingEvents am Brandenbur­ger Tor abzuhalten. Das ist nicht der Freibrief zum Feiern.“Verhielten sich die Bürger hingegen gedanken- und rücksichts­los, werde es wieder größere Probleme geben:. „Weihnachte­n wird damit zu einem Fest mit einem Todesrisik­o für manche Menschen“, so Montgomery. Auch die Virologin Helmholtz-Instituts für Infektions­forschung, Melanie Brinkmann, äußerte Kritik.

Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU) hält die Zehn-PersonenGr­enze für Silvester aber noch nicht für ausgemacht: „Das hängt auch davon ab, wie die Entwicklun­g jetzt im Dezember sein wird“, sagte er am Donnerstag im SWR.

 ?? FOTO: POPOW/IMAGO IMAGES ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel appelliert­e an die Bürger, sich an die CoronaRege­ln zu halten.
FOTO: POPOW/IMAGO IMAGES Bundeskanz­lerin Angela Merkel appelliert­e an die Bürger, sich an die CoronaRege­ln zu halten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany