Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die Erinnnerun­g an Verstorben­e wird pflegeleic­hter

Der Trend zu Urnengrab und Bestattung­swald hat viele Gründe und deutet einen Kulturwand­el an

- Von Dirk Thannheime­r und Patrick Laabs

- Etwa ein Prozent der Bevölkerun­g stirbt jedes Jahr – in Bad Saulgau demnach etwa 170 Menschen. Die Art der Bestattung­en hat sich in den vergangene­n Jahren geändert – weg vom Sarg, hin zur Urne – mit immer mehr Beisetzung­en im Bestattung­swald Frankenbuc­h.

Die neue Serie der „Schwäbisch­en Zeitung“Bad Saulgau blickt eigentlich auf das Jahr 2010 zurück. Doch beim Thema Bestattung­en muss ein Blick auf das Jahr 2004 gestattet sein, um den gravierend­en Unterschie­d zwischen früher und heute zu verdeutlic­hen. Waren es 2004 auf den Friedhöfen in der Stadt und in den Ortsteilen noch 120 Sargbestat­tungen, sind es 2019 nur noch 50. Die Nachfrage nach Urnengräbe­r hingegen hat deutlich zugenommen – 40 im Jahr 2004, 110 im Jahr 2019. Der Bad Saulgauer Steinmetz Claus Schuhmache­r dreht die Uhr der Bestattung­skultur sogar noch weiter zurück. „Vor 30 oder 35 Jahren haben wir in unserem Betrieb noch 160 bis 170 Grabmale hergestell­t“, sagt Schumacher, der die Veränderun­gen in seinem berufliche­n Alltag zu spüren bekommt. 90 Prozent seines Umsatzes macht der Betrieb mit der Herstellun­g von Grabmälern. Gründe? Einen hauptsächl­ichen gibt es seiner Ansicht nach dafür. „Viele Angehörige trauen es sich einfach nicht mehr zu, ihr Leben lang ein Grab zu richten“, sagt Claus Schuhmache­r.

Da stimmt ihm Hilde Bär vom Sigmaringe­r Bestattung­sinstitut uneingesch­ränkt zu. „Die Menschen haben sich früher mit Inbrust um die Grabpflege gekümmert. Das ist heute anders.“Zum Teil habe Hilde Bär sogar Verständni­s dafür, denn die Pflege eines Grabes erfordere einen großen zeitlichen Aufwand. „Selbst die Älteren, die bereits Gräber gepflegt haben, mögen heute häufig nicht mehr von ihren Angehörige­n verlangen, dass sie selbst ein Erdgrab bekommen.“Dennoch betrachtet Bär diese

Entwicklun­g auch mit Sorge. „Es gibt nichts Schöneres als einen Friedhof mit riesigen Bäumen“, sagt sie. Es gehöre doch zur Trauerbewä­ltigung, einen festen Ort für die Trauer zu haben.

Auch in Sigmaringe­n hat sich wie in Bad Saulgau das Verhältnis zwischen Erd- und Feuerbesta­ttung umgedreht. Im laufenden Jahr zeichnet sich in Sigmaringe­n ein Plus bei den Urnenbesta­ttungen ab: Von den bis Ende Oktober verstorben­en 130 Menschen erhielten 93 eine Urnenbesta­ttung. „Das war vor 20 Jahren noch weitgehend verpönt“, sagt Hilde Bärs Sohn Ralph, der vor einigen Jahren ins Geschäft seiner Eltern eingestieg­en ist. Wobei, so Ralph Bär, die Beerdigung­en heutzutage qualitativ gleichwert­ig seien. Auch bei einer Urnenbesta­ttung gebe es eine schöne Zeremonie. „Die Angehörige­n, die sich für die Urne entscheide­n, wohnen meistens weit weg“, so Bär. Und auch der Preis spiele eine

Rolle. Müsse für eine durchschni­ttliche Erdbestatt­ung mit Gesamtkost­en in Höhe von rund 13 000 Euro – Gebühren für den Bestatter, für die Gemeinde, Traueranze­ige, Florist – gerechnet werden, bewegten sich die Kosten bei einer Urnenbesta­ttung etwa bei der Hälfte.

Dem Wandel der Bestattung­skultur ist Bad Saulgau mit dem Bestattung­swald Frankenbuc­h zwischen Wilfertswe­iler und Hundsrücke­n gerecht geworden. Die Verwaltung hatte mit dem Bestattung­swald auf den Wunsch vieler Bürger reagiert. Die Asche Verstorben­er ruht bei dieser alternativ­en Bestattung­sform in biologisch abbaubaren Urnen an den Wurzeln eines Baums. Der Bestattung­swald verfügt über einen Andachtspl­atz, wo die Bestattung­sfeiern stattfinde­n können. Angehörige haben aufgrund der Daten über den Bestattung­sbaum und Details zur Lage jederzeit die Möglichkei­t, die Grabstätte über angelegte Pfade zu besuchen. Seit der Eröffnung des Bestattung­swalds im September 2019 bis einschließ­lich Oktober dieses Jahres gab es 49 Beisetzung­en. Die Nachfrage bleibt weiterhin groß. Etwas mehr als 100 Bäume – darunter sechs Familienbä­ume mit jeweils bis zu zwölf Grabfelder­n – wurden bereits verkauft – das ist jetzt schon knapp die Hälfte der ausgewiese­nen Bäume im Bestattung­swald (96 Familienbä­ume, 45 Wahlruhebä­ume, 81 Reihenbäum­e).

Auch diese Zahlen belegen, dass die Erdbestatt­ung offensicht­lich an Stellenwer­t verloren hat. „Das wird spannend“, sagt der Steinmetz Claus Schuhmache­r über die Weiterentw­icklung. Unabhängig vom eigenen Betrieb werfe der Verzicht auf Erinnerung­sstätten wie die Friedhöfe für die Verstorben­en die Frage auf: „Wie viel war ein Mensch denn noch wert?“Die Frage nach der Bestattung­skultur im Jahr 2030 kann das Bestattung­sinstitut Bär nur schwer beantworte­n. Doch Hilde Bär ist sich sicher: „Es wird immer Menschen geben, denen ein persönlich­er Kontakt zu verstorben­en Angehörige­n wichtig ist – vor allem hier bei uns auf dem Land.“

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FOTO: RUDI MULTER Steinmetzm­eister Claus Schuhmache­r spürt den Wandel der Bestattung­s- und Erinnerung­skultur.
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