Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die Erinnnerung an Verstorbene wird pflegeleichter
Der Trend zu Urnengrab und Bestattungswald hat viele Gründe und deutet einen Kulturwandel an
- Etwa ein Prozent der Bevölkerung stirbt jedes Jahr – in Bad Saulgau demnach etwa 170 Menschen. Die Art der Bestattungen hat sich in den vergangenen Jahren geändert – weg vom Sarg, hin zur Urne – mit immer mehr Beisetzungen im Bestattungswald Frankenbuch.
Die neue Serie der „Schwäbischen Zeitung“Bad Saulgau blickt eigentlich auf das Jahr 2010 zurück. Doch beim Thema Bestattungen muss ein Blick auf das Jahr 2004 gestattet sein, um den gravierenden Unterschied zwischen früher und heute zu verdeutlichen. Waren es 2004 auf den Friedhöfen in der Stadt und in den Ortsteilen noch 120 Sargbestattungen, sind es 2019 nur noch 50. Die Nachfrage nach Urnengräber hingegen hat deutlich zugenommen – 40 im Jahr 2004, 110 im Jahr 2019. Der Bad Saulgauer Steinmetz Claus Schuhmacher dreht die Uhr der Bestattungskultur sogar noch weiter zurück. „Vor 30 oder 35 Jahren haben wir in unserem Betrieb noch 160 bis 170 Grabmale hergestellt“, sagt Schumacher, der die Veränderungen in seinem beruflichen Alltag zu spüren bekommt. 90 Prozent seines Umsatzes macht der Betrieb mit der Herstellung von Grabmälern. Gründe? Einen hauptsächlichen gibt es seiner Ansicht nach dafür. „Viele Angehörige trauen es sich einfach nicht mehr zu, ihr Leben lang ein Grab zu richten“, sagt Claus Schuhmacher.
Da stimmt ihm Hilde Bär vom Sigmaringer Bestattungsinstitut uneingeschränkt zu. „Die Menschen haben sich früher mit Inbrust um die Grabpflege gekümmert. Das ist heute anders.“Zum Teil habe Hilde Bär sogar Verständnis dafür, denn die Pflege eines Grabes erfordere einen großen zeitlichen Aufwand. „Selbst die Älteren, die bereits Gräber gepflegt haben, mögen heute häufig nicht mehr von ihren Angehörigen verlangen, dass sie selbst ein Erdgrab bekommen.“Dennoch betrachtet Bär diese
Entwicklung auch mit Sorge. „Es gibt nichts Schöneres als einen Friedhof mit riesigen Bäumen“, sagt sie. Es gehöre doch zur Trauerbewältigung, einen festen Ort für die Trauer zu haben.
Auch in Sigmaringen hat sich wie in Bad Saulgau das Verhältnis zwischen Erd- und Feuerbestattung umgedreht. Im laufenden Jahr zeichnet sich in Sigmaringen ein Plus bei den Urnenbestattungen ab: Von den bis Ende Oktober verstorbenen 130 Menschen erhielten 93 eine Urnenbestattung. „Das war vor 20 Jahren noch weitgehend verpönt“, sagt Hilde Bärs Sohn Ralph, der vor einigen Jahren ins Geschäft seiner Eltern eingestiegen ist. Wobei, so Ralph Bär, die Beerdigungen heutzutage qualitativ gleichwertig seien. Auch bei einer Urnenbestattung gebe es eine schöne Zeremonie. „Die Angehörigen, die sich für die Urne entscheiden, wohnen meistens weit weg“, so Bär. Und auch der Preis spiele eine
Rolle. Müsse für eine durchschnittliche Erdbestattung mit Gesamtkosten in Höhe von rund 13 000 Euro – Gebühren für den Bestatter, für die Gemeinde, Traueranzeige, Florist – gerechnet werden, bewegten sich die Kosten bei einer Urnenbestattung etwa bei der Hälfte.
Dem Wandel der Bestattungskultur ist Bad Saulgau mit dem Bestattungswald Frankenbuch zwischen Wilfertsweiler und Hundsrücken gerecht geworden. Die Verwaltung hatte mit dem Bestattungswald auf den Wunsch vieler Bürger reagiert. Die Asche Verstorbener ruht bei dieser alternativen Bestattungsform in biologisch abbaubaren Urnen an den Wurzeln eines Baums. Der Bestattungswald verfügt über einen Andachtsplatz, wo die Bestattungsfeiern stattfinden können. Angehörige haben aufgrund der Daten über den Bestattungsbaum und Details zur Lage jederzeit die Möglichkeit, die Grabstätte über angelegte Pfade zu besuchen. Seit der Eröffnung des Bestattungswalds im September 2019 bis einschließlich Oktober dieses Jahres gab es 49 Beisetzungen. Die Nachfrage bleibt weiterhin groß. Etwas mehr als 100 Bäume – darunter sechs Familienbäume mit jeweils bis zu zwölf Grabfeldern – wurden bereits verkauft – das ist jetzt schon knapp die Hälfte der ausgewiesenen Bäume im Bestattungswald (96 Familienbäume, 45 Wahlruhebäume, 81 Reihenbäume).
Auch diese Zahlen belegen, dass die Erdbestattung offensichtlich an Stellenwert verloren hat. „Das wird spannend“, sagt der Steinmetz Claus Schuhmacher über die Weiterentwicklung. Unabhängig vom eigenen Betrieb werfe der Verzicht auf Erinnerungsstätten wie die Friedhöfe für die Verstorbenen die Frage auf: „Wie viel war ein Mensch denn noch wert?“Die Frage nach der Bestattungskultur im Jahr 2030 kann das Bestattungsinstitut Bär nur schwer beantworten. Doch Hilde Bär ist sich sicher: „Es wird immer Menschen geben, denen ein persönlicher Kontakt zu verstorbenen Angehörigen wichtig ist – vor allem hier bei uns auf dem Land.“