Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ein Verlust führt zur Berufung
Der Chemiker Stefan Limbach arbeitet heute als Trauerredner und Trauerbegleiter
- Stefan Limbach aus Ostrach befasst sich mit einem Thema, das nicht nur in den düsteren Monaten des Jahres belastet, sondern generell das menschliche Befinden verdunkeln kann: Einst als promovierter Chemiker tätig, gestaltet er heute in der Region als Trauerredner Trauerfeiern. Andererseits stellt er sich als Trauerbegleiter an die Seite von Menschen, die nach einem erlittenen Verlust Möglichkeiten zur Bewältigung der Situation wünschen.
„Oftmals ist der Schmerz der Betroffenen so groß, dass ich mich zunächst mit ihnen auf die Suche nach Ressourcen mache, die ihnen einen Weg zurück in die Lebendigkeit ebnen können“, erzählt Limbach von seiner Arbeit. Trauerbewältigung sei oftmals die Heilung eines größeren Gefühlskomplexes. Auch habe der Mensch vor rund 200 Jahren noch völlig anders getrauert als heute. „In unserer Zeit steht ein ausgeprägtes Ich-Gefühl im Vordergrund“, sagt er. „Heute sind viele Lebenskonzepte auf ein Ideal ausgerichtet. Bricht ein Teil davon weg, sei es durch Tod, ideellen oder materiellen Verlust, nimmt der Betroffene den Schmerz auch auf weiteren Ebenen wahr.“Mancher schlage Heilung auch aus. „Er müsste sich sonst mit seinen unbekannten Seiten befassen, und das kann Angst auslösen“, sagt Limbach. Dennoch verfüge jeder Mensch über individuelle Möglichkeiten, seine Trauer zu bewältigen.
Eine erste Hilfe, quasi das Notfallprogramm, gebe es dennoch: „Körperliche Bewegung, und wenn es nur zu Fuß zum Einkaufen gehen ist. Zweitens: Erholung suchen in der Natur. Drittens: Gesund essen, ausreichend schlafen, eine Tagesstruktur beibehalten. Viertens: Kontakt zu anderen Menschen suchen. Und vor allem einen Gang herunterschalten, der Trauer Raum geben“, rät Limbach. Also jene Strategien, die man Menschen in depressiven Episoden an die Hand gibt. Die Trauerbewältigung solle man als Projekt, als Aufgabe wahrnehmen. „Die Fähigkeit zu trauern, weist bereits auf die Fähigkeit zur Heilung in einem selbst hin“, sagt er. Dabei müsse es nicht einmal der Verlust eines Menschen durch den Tod sein. Es könne auch um andere Lebenseinschnitte gehen, wie etwa den Verlust des Arbeitsplatzes oder die Trennung vom Partner.
Seine Berufung erahnte Limbach erstmals, als er selbst einen großen Verlust rückblickend verarbeitete: Vor 20 Jahren verlor er die Liebe seines Lebens, wie er jene Frau heute benennt, durch einen tödlichen Unfall im Urlaub. Es folgten weitere Abschiedsprozesse in seinem Leben wie wohl bei jedem anderen Menschen auch. Nur, dass Stefan Limbach die einzelnen Phasen des Trauerprozesses in seiner Ausbildung zum Trauerbegleiter zu erkennen gelernt hat und dem Klient dadurch Unterstützung anbieten kann, um konstruktiv mit Abschieden umzugehen. So ganz konträr stehe sein Beruf als Chemiker dem des Trauerbegleiters nicht gegenüber, meint er dazu. Promoviert habe er nämlich in jener Ecke der Wissenschaft, in der es um die Grenzen der Erkenntnis gehe. Und die habe ihn schon immer interessiert. „Alles, was wir erfahren können, ist: Wir sind eingebettet in etwas, das wir gar nicht wirklich beschreiben können, und das größer ist als unser Verstand“, sagt er. „Das klingt geheimnisvoll, aber aufgrund dieser Grenze unserer Realität scheinen wir deshalb zu trauern, weil wir nicht über diese Grenze hinaus schauen können“, so Limbach nachdenklich. Jedoch verfüge jeder Mensch zur Bewältigung über sein individuelles Verarbeitungssystem.
„Trauer gehört wie Liebeskummer zu jenen Gefühlen, die mit keiner Medizin behandelbar sind“, so Limbach. Genesung davon könne man auch nicht durch eine Leistung erreichen. „Vielmehr gilt es, sich aufzumachen und diesen Weg tapfer im eigenen Rhythmus zu gehen, um schließlich auch Frieden zu finden.“Und wenn das geschafft sei, sagt Limbach, sei der Mensch nicht nur in seiner Trauer, sondern im Ganzen ein Stück stärker geworden. „Alte Ängste und Probleme lösen sich dann oft mit“, wisse er aus Rückmeldungen seiner Klienten, die die Lebenskrise hat derart erstarken lassen, dass sie plötzlich einfacher mit alltäglichen Herausforderungen zurechtkommen. Es gebe allerdings auch Naturtalente im Umgang mit der Trauer. „Ich habe schon erlebt, dass so manche Seniorin nach dem Tod ihres Mannes weiter ihren Alltag lebt, im Garten arbeitet und ihr Brennholz macht.“Es gibt also viele Wege der Trauerbewältigung und manches, so Limbach, komme auch von „oben“: „Den Seinen gibts der Herr im Schlaf “, zitiert er die Bibel.