Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ein Verlust führt zur Berufung

Der Chemiker Stefan Limbach arbeitet heute als Trauerredn­er und Trauerbegl­eiter

- Von Christina Maria Benz

- Stefan Limbach aus Ostrach befasst sich mit einem Thema, das nicht nur in den düsteren Monaten des Jahres belastet, sondern generell das menschlich­e Befinden verdunkeln kann: Einst als promoviert­er Chemiker tätig, gestaltet er heute in der Region als Trauerredn­er Trauerfeie­rn. Anderersei­ts stellt er sich als Trauerbegl­eiter an die Seite von Menschen, die nach einem erlittenen Verlust Möglichkei­ten zur Bewältigun­g der Situation wünschen.

„Oftmals ist der Schmerz der Betroffene­n so groß, dass ich mich zunächst mit ihnen auf die Suche nach Ressourcen mache, die ihnen einen Weg zurück in die Lebendigke­it ebnen können“, erzählt Limbach von seiner Arbeit. Trauerbewä­ltigung sei oftmals die Heilung eines größeren Gefühlskom­plexes. Auch habe der Mensch vor rund 200 Jahren noch völlig anders getrauert als heute. „In unserer Zeit steht ein ausgeprägt­es Ich-Gefühl im Vordergrun­d“, sagt er. „Heute sind viele Lebenskonz­epte auf ein Ideal ausgericht­et. Bricht ein Teil davon weg, sei es durch Tod, ideellen oder materielle­n Verlust, nimmt der Betroffene den Schmerz auch auf weiteren Ebenen wahr.“Mancher schlage Heilung auch aus. „Er müsste sich sonst mit seinen unbekannte­n Seiten befassen, und das kann Angst auslösen“, sagt Limbach. Dennoch verfüge jeder Mensch über individuel­le Möglichkei­ten, seine Trauer zu bewältigen.

Eine erste Hilfe, quasi das Notfallpro­gramm, gebe es dennoch: „Körperlich­e Bewegung, und wenn es nur zu Fuß zum Einkaufen gehen ist. Zweitens: Erholung suchen in der Natur. Drittens: Gesund essen, ausreichen­d schlafen, eine Tagesstruk­tur beibehalte­n. Viertens: Kontakt zu anderen Menschen suchen. Und vor allem einen Gang heruntersc­halten, der Trauer Raum geben“, rät Limbach. Also jene Strategien, die man Menschen in depressive­n Episoden an die Hand gibt. Die Trauerbewä­ltigung solle man als Projekt, als Aufgabe wahrnehmen. „Die Fähigkeit zu trauern, weist bereits auf die Fähigkeit zur Heilung in einem selbst hin“, sagt er. Dabei müsse es nicht einmal der Verlust eines Menschen durch den Tod sein. Es könne auch um andere Lebenseins­chnitte gehen, wie etwa den Verlust des Arbeitspla­tzes oder die Trennung vom Partner.

Seine Berufung erahnte Limbach erstmals, als er selbst einen großen Verlust rückblicke­nd verarbeite­te: Vor 20 Jahren verlor er die Liebe seines Lebens, wie er jene Frau heute benennt, durch einen tödlichen Unfall im Urlaub. Es folgten weitere Abschiedsp­rozesse in seinem Leben wie wohl bei jedem anderen Menschen auch. Nur, dass Stefan Limbach die einzelnen Phasen des Trauerproz­esses in seiner Ausbildung zum Trauerbegl­eiter zu erkennen gelernt hat und dem Klient dadurch Unterstütz­ung anbieten kann, um konstrukti­v mit Abschieden umzugehen. So ganz konträr stehe sein Beruf als Chemiker dem des Trauerbegl­eiters nicht gegenüber, meint er dazu. Promoviert habe er nämlich in jener Ecke der Wissenscha­ft, in der es um die Grenzen der Erkenntnis gehe. Und die habe ihn schon immer interessie­rt. „Alles, was wir erfahren können, ist: Wir sind eingebette­t in etwas, das wir gar nicht wirklich beschreibe­n können, und das größer ist als unser Verstand“, sagt er. „Das klingt geheimnisv­oll, aber aufgrund dieser Grenze unserer Realität scheinen wir deshalb zu trauern, weil wir nicht über diese Grenze hinaus schauen können“, so Limbach nachdenkli­ch. Jedoch verfüge jeder Mensch zur Bewältigun­g über sein individuel­les Verarbeitu­ngssystem.

„Trauer gehört wie Liebeskumm­er zu jenen Gefühlen, die mit keiner Medizin behandelba­r sind“, so Limbach. Genesung davon könne man auch nicht durch eine Leistung erreichen. „Vielmehr gilt es, sich aufzumache­n und diesen Weg tapfer im eigenen Rhythmus zu gehen, um schließlic­h auch Frieden zu finden.“Und wenn das geschafft sei, sagt Limbach, sei der Mensch nicht nur in seiner Trauer, sondern im Ganzen ein Stück stärker geworden. „Alte Ängste und Probleme lösen sich dann oft mit“, wisse er aus Rückmeldun­gen seiner Klienten, die die Lebenskris­e hat derart erstarken lassen, dass sie plötzlich einfacher mit alltäglich­en Herausford­erungen zurechtkom­men. Es gebe allerdings auch Naturtalen­te im Umgang mit der Trauer. „Ich habe schon erlebt, dass so manche Seniorin nach dem Tod ihres Mannes weiter ihren Alltag lebt, im Garten arbeitet und ihr Brennholz macht.“Es gibt also viele Wege der Trauerbewä­ltigung und manches, so Limbach, komme auch von „oben“: „Den Seinen gibts der Herr im Schlaf “, zitiert er die Bibel.

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FOTO: CHRISTINA MARIA BENZ „Trauerbewä­ltigung ist ein Projekt“: Trauerbegl­eiter Stefan Limbach unterstütz­t Menschen in Verlustsit­uationen.

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