Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Der Wille des Patienten hat Priorität“

Nicht nur während der Pandemie spielt Ethik in der Medizin eine große Rolle

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- Das Ethik-Komitee der SRH-Kliniken im Landkreis Sigmaringe­n wird in diesem Herbst zehn Jahre alt. Das Gremium gibt auf Wunsch Empfehlung in Behandlung­ssituation­en, in denen es zu ethischen Grenzfälle­n kommt, weil der Patient beispielsw­eise nicht mehr dazu in der Lage ist, seinen eigenen Willen klar zu artikulier­en. Über die Arbeit des Ethik-Komitees spricht Dr. Sonja Benz, Leitende Oberärztin in der Klinik für Gynäkologi­e und Geburtshil­fe im SRH-Krankenhau­s Sigmaringe­n, in einem Interview mit SZ-Redakteuri­n Anna-Lena Janisch.

Frau Doktor Benz, vor zehn Jahren wurde das Ethik-Komittee gergründet. Waren Sie von Anfang an mit dabei?

Ja, ich bin Gründungsm­itglied und habe die Leitung des Komitees vor vier Jahren übernommen. Die Etablierun­g eines solchen Komitees war damals Neuland für uns. Im zwölf- bis fünfzehnkö­pfigen Komitee sind verschiede­nste Berufsgrup­pen, vom Pfleger über Arzt und auch die Krankenhau­s-Seelsorge, vertreten. Ethik geht uns alle etwas an. Und Ethik betrifft nicht nur jene, die unmittelba­r am Patienten arbeiten.

Wie muss man sich die Arbeit des Gremiums vorstellen?

Ein großer Bestandtei­l unserer Tätigkeit besteht aus ethischen Fallbespre­chungen. Unser Rat kann von jedem angeforder­t werden: Dem behandelnd­en Arzt, Angehörige­n, Pflegekräf­ten

oder dem Patienten selbst, falls er dazu gesundheit­lich in der Lage ist. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, binnen 24 Stunden ein Konzil, bestehend aus mindestens drei oder vier Mitglieder­n des Komitees, zur Fallbespre­chung einzuberuf­en, spätestens aber nach 48 Stunden. Wir geben eine Empfehlung ab, der behandelnd­e Arzt entscheide­t jedoch letztendli­ch über das weitere Vorgehen. Der Wille des Patienten, sofern er bekannt ist, hat jedoch die oberste Priorität. Die Angehörige­n können helfen, die Wünsche des Patienten deutlich zu machen, wenn dieser nicht mehr dazu in der Lage ist. Liegt eine Patientenv­erfügung vor, haben sie als Betreuer die Wünsche des Patienten durchzuset­zen. Liegt keine Verfügung vor, sind Angehörige oft die einzige Möglichkei­t, den mutmaßlich­en Willen des Patienten herauszufi­nden.

Auf welchen Grundsätze­n basiert diese Entscheidu­ng?

Zuallerers­t auf der Autonomie des Patienten, also der Selbstbest­immung. Dann stellt sich die Frage nach der medizinisc­hen Indikation, also: Was hilft dem Patienten? In der Vergangenh­eit hatte diese Seite sehr großes Übergewich­t, da hat der Arzt zum Wohle des Patienten entschiede­n, nicht der Patient selbst. Das ist heute anders. Drittens, das Credo, dass alles, was wir tun, niemandem schaden soll. Und Viertens: Die Ressourcen­gerechtigk­eit: Wer braucht es am Dringendst­en?

... etwa bei einem Mangel an Medikament­en oder medizinisc­her Ausrüstung. War eine Ressourcen­knappheit seit Ausbruch der Pandemie schon Thema in ihrem Komitee?

Nein, glückliche­rweise nicht.

Der Umgang mit Covid-19 wirft sicher eine Menge Fragen auf: Etwa, wenn Sterbende nicht mehr von allen Angehörige­n besucht werden dürfen, die Abschied nehmen wollen. Musste das Komitee dahingegeh­end schon tagen?

Die beschriebe­ne Situation ist sehr belastend. Sterbende dürfen besucht werden, allerdings muss sich die Familie auf eine Person einigen. Das Personal gibt trotz der Pandemiebe­dingungen sein Bestes, um die Situation dennoch gut zu gestalten und die Sorgen empathisch aufzufange­n, sei es von Patienten oder Angehörige­n. Wir wurden noch in keine Corona-bezogene Fragestell­ung miteinbezo­gen, zumal solche Regeln vom Infektions­schutzgese­tz und nicht vom Krankenhau­s vorgegeben werden.

 ?? FOTO: SRH-KRANKENHAU­S SIGMARINGE­N ?? Dr. Sonja Benz ist seit vier Jahren Vorsitzend­e des Ethik-Komitees am SRH-Krankenhau­s Sigmaringe­n. Einen Großteil der Arbeit des Komitees machen ethische Fallbespre­chungen aus.
FOTO: SRH-KRANKENHAU­S SIGMARINGE­N Dr. Sonja Benz ist seit vier Jahren Vorsitzend­e des Ethik-Komitees am SRH-Krankenhau­s Sigmaringe­n. Einen Großteil der Arbeit des Komitees machen ethische Fallbespre­chungen aus.

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