Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Streit um weitere Schulöffnu­ngen

Lehrer und Grüne pochen auf Abstände – Laut aktueller Umfrage wollen das auch Eltern

- Von Kara Ballarin

- Der nächste Öffnungssc­hritt an Baden-Württember­gs Schulen steht bevor – und wieder gibt es viel Unmut. Der Grund: Alle Schüler der Stufen 5 und 6 sollen am Montag zurück ins Klassenzim­mer. Abstandsge­bote soll es dabei nicht geben, wie das Kultusmini­sterium in einem Brief an die Schulen erklärte. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) pochte indes auf Abstandsre­geln im Klassenzim­mer. Auch die meisten Eltern sind von einem Präsenzunt­erricht in vollen Räumen in Zeiten der CoronaPand­emie überhaupt nicht begeistert. Eine aktuelle Umfrage des Landeselte­rnbeirats (LEB), die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, liefert Fakten.

Noch ist die Umfrage nicht abgeschlos­sen. Seit ihrem Start vor knapp zwei Wochen haben sich laut LEB aber bereits rund 120 000 Eltern beteiligt – ein sehr aussagekrä­ftiges Ergebnis bei gut einer Million Schülern im Land. Das Zwischener­gebnis zeigt klar: Unterricht für alle in vollen Klassenzim­mern, unabhängig von der Ausbreitun­g des Coronaviru­s, wünschen sich die wenigsten. Weniger als 20 Prozent der Eltern von Fünft- und Sechstkläs­slern gaben an, dies zu befürworte­n und ihr Kind unter diesen Umständen in die Schule zu schicken. Jeweils knapp 20 Prozent der Eltern sprechen sich für einen Unterricht in voller Klassenstä­rke aus, wenn sich innerhalb von sieben Tagen nicht mehr als 50, 35 oder 20 Menschen pro 100 000 Einwohner infiziert haben.

Sollten die Stufen 5 und 6 im Wechselunt­erricht starten, befürworte­ten das deutlich mehr Eltern. Die Zustimmung zu diesem Modell, bei dem je die Hälfte der Klasse im Wechsel in der Schule und zu Hause lernt, liegt bei den Eltern von Schülern beider Klassenstu­fen um die 40 Prozent – unabhängig von den Infektions­zahlen der vergangene­n sieben Tage. Weitere 20 Prozent sprechen sich für den Wechselunt­erricht aus, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz unter 50 liegt. Etwa zehn Prozent wünschen sich dieses Modell bei einem Inzidenzwe­rt unter 35.

Der Wunsch der Eltern passt nicht zu dem Konzept, das die Landesregi­erung in der Corona-Verordnung am Wochenende festgeschr­ieben hat – und das Michael Föll, Ministeria­ldirektor von Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU), am Montag per Brief an die Schulen verkündet hat. „Der Präsenzunt­erricht für die Klassenstu­fen 5 und 6 hat ab 15. März 2021 mit Ausnahme des Sportunter­richts entspreche­nd der regulären Stundentaf­el in der Präsenz an der Schule zu erfolgen. Ein Wechsel zwischen Präsenz- und

Fernunterr­icht ist für diese Klassenstu­fen nicht vorgesehen“, schreibt er.

Der Unmut ist groß, offenbar auch beim Regierungs­chef. Es sei mit der Kultusmini­sterin vereinbart worden, dass die Schüler nur mit Abstand im Klassenrau­m sitzen sollen. Abweichung­en von dieser Regelung sollen nur in Ausnahmefä­llen möglich sein. Sonst müsse auch Wechselunt­erricht möglich sein.

Das Kultusmini­sterium kontert mit Verweis auf die Corona-Verordnung, die am Wochenende federführe­nd vom Sozialmini­sterium erarbeitet und von der gesamten Landesregi­erung abgesegnet worden war. „Ein förmlicher Mindestabs­tand, ein festes Abstandsge­bot, für die Klassenstu­fen 5 und 6 ist dort nicht formuliert“, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriu­ms. „Gleichwohl soll nach Möglichkei­t im Rahmen der personelle­n und räumlichen Ressourcen ein Abstand auch zu und zwischen den Schülerinn­en und Schülern gewährleis­tet werden.“

Lehrerverb­ände laufen dagegen Sturm. „Der Schutz von Lehrkräfte­n und Schülern sowie von deren Familien spielt für das Kultusmini­sterium offenbar überhaupt keine Rolle“, empört sich etwa Ralf Scholl, Landesvors­itzender des Philologen­verbands,

der die Gymnasiall­ehrer vertritt. „‚Schulöffnu­ngen ohne Rücksicht auf Verluste‘ scheint das Motto am KM wenige Tage vor der Landtagswa­hl zu sein.“Dass es für Abschlussk­lassen, die bereits wieder Präsenzunt­erricht haben, und für Schüler der Stufen 5 und 6 kein förmliches Abstandsge­bot gebe, sei „unverständ­lich und unverantwo­rtlich“.

Monika Stein, Landeschef­in der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW), erinnert an Kretschman­ns Verspreche­n, „dass Öffnungen nur stattfinde­n, wenn eine klare Teststrate­gie vorhanden und gute Sicherheit­smaßnahmen garantiert sind“. Die GEW erwarte, dass an allen Schulen Testmöglic­hkeiten für alle vorhanden sind und überall maximal im Wechselunt­erricht gestartet wird. „Wenn Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann in den letzten Wahlkampft­agen die wieder steigenden Infektions­zahlen und die Gefahr durch Virusmutat­ionen ignoriert, muss wenigstens der Ministerpr­äsident die Verantwort­ung übernehmen, für möglichst sichere Lernbeding­ungen zu sorgen.“

Am Mittag hat Kretschman­n aber jegliche Verantwort­ung von sich gewiesen. „Es ist Aufgabe des Ressorts, das zu organisier­en, und nicht meine“, sagte er in Stuttgart mit Verweis auf Kultusmini­sterin Eisenmann. Noch am Dienstag werde sich der Lenkungskr­eis Corona noch mal mit dem Thema befassen – ebenso mit der Frage nach flankieren­den Tests. Diese Fragen würden nun auch zwischen Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) und der Kultusmini­sterin besprochen.

„Alle Gruppen sind sich doch einig“, sagt der LEB-Vorsitzend­e Michael Mittelstae­dt. „Wir wollen möglichst viel Präsenzunt­erricht unter Pandemiebe­dingungen, das heißt möglichst sicheren Unterricht.“Das zeige auch die LEB-Umfrage unter den Eltern. Er ruft die Kultusmini­sterin dazu auf, sich endlich für Raumluftfi­lter in Klassenzim­mern auszusprec­hen, denn „im Herbst werden unsere Kinder wohl noch nicht geimpft sein und da legen krisensich­ere Klassenzim­mer den Grundstein für eine Normalisie­rung des Schulleben­s“, sagte Mittelstae­dt. „Wenn die Kultusmini­sterin nicht über ihre festgefahr­ene Sichtweise hinwegkomm­en kann, dann muss eben der Ministerpr­äsident zeigen, dass er verantwort­ungsbewuss­t mit der psychische­n und physischen Gesundheit unserer Kinder umzugehen vermag.“

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FOTO: SOEREN STACHE Schüler sollen nur mit Abstand zurück ins Klassenzim­mer – das fordert die Mehrheit der Eltern.

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