Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Bitterer Beigeschmack
Alle großen Gourmetführer haben trotz Corona ihre Urteile gefällt – Lockdown und Schließungen trüben jedoch die Freude der Spitzenköche
seit 2020. Der junge Österreicher schafft es, eine moderne und effektvolle Küche mit alpenländischen Akzenten zu erden, etwa wenn er seine Schlutzkrapfen einer eleganten Veredelung mit Trüffel unterzieht. Der Gault-Millau findet, dass Piebers Ambitionen 15 Punkte wert sind. In Lindau hat Toni Neumann im Villino einmal mehr den Michelin-Stern verteidigt, ebenso die 16 Punkte im Gault-Millau. Dieser frohlockt in der aktuellen Ausgabe über „zupackend und dabei sehr ausbalanciert“gewürzte Teigtaschen Bao Bun, Schweinebauch und Paprikaspaghetti.
Im Restaurant Schattbuch in Amtzell hat das Team heuer gewiss besonders gespannt auf das Erscheinen des Michelin gewartet. Anfang 2020 hat nämlich Christian Grundl seinen Posten als Küchenchef geräumt – und die spannende Frage nach so einem Weggang ist immer: Kann sein Nachfolger – im konkreten Fall Sebastian Cihlars – den Stern halten? Er kann. Und auch die 16 Punkte im Gault-Millau für eine einerseits modern-edle, aber auch regionalverbundene Küche mit Bodenhaftung.
Zwei Restaurants in Ulm – der Seestern und das Siedepunkt – vervollständigen den Reigen aus Sternerestaurants in der Region. Wobei der Seestern laut GaultMillau mit einer Steigerung von 15 auf 17 Punkte einen bemerkenswerten Sprung hingelegt hat – und damit eine „überfällige deutliche Aufwertung“erfährt, wie die Tester schreiben. Besonders freuen dürfte sich Peter Ebbinghaus vom gleichnamigen Restaurant in Burgrieden, der für seine langjährige konstante Arbeit vom Gault-Millau endlich 15 Punkte und damit zwei Hauben verliehen bekommen hat.
Doch auch knapp unterhalb der Sterne-Grenze, von der niemand so ganz genau weiß, wo sie eigentlich gezogen wird, gibt es Erfreuliches zu berichten. Gleich eine ganze Reihe von Restaurants taucht erstmals als Empfehlung im GaultMillau auf, im Einzelnen sind das: die Hofwirtschaft Löwen in Eglofs, wo Familie Ellgass tolles Fleisch von Rindern aus eigener Weidehaltung auftischt. Außerdem empfohlen der Löwen in Frickingen, das Restaurant Imhof in Illertissen, endlich auch das kontinuierlich delikat aufkochende Lamm in Maselheim, das Haus am See in Nonnenhorn,
der Landgasthof Hirsch in Ostrach, das Restaurant Esszimmer im Oberschwäbischen Hof in Schwendi, das Restaurant Treibgut in Ulm und schließlich die Alte Kanzlei in Wangen im Allgäu.
Im Jahr 2020 hat der Guide Michelin erstmals den sogenannten grünen Stern aufgelegt, der Restaurants mit besonders nachhaltigem Konzept auszeichnet. Pionier der Region mit dem grünen Stern war das Biohotel Mohren im Deggenhausertal. Außerdem Simon Tress von der Schwäbischen Alb. Der darf sich jetzt neben dem grünen Stern für die Rose in Hayingen zusätzlich über einen neuen für das Bio-Fine-Dining-Restaurant 1950 unterm gleichen Dach freuen. Das Ulmer Restaurant Treibgut hat diese Ehrung für Nachhaltigkeit heuer zum ersten Mal bekommen.
Einen nennenswerten Abstieg in der kulinarischen Landschaft unserer Region hat keines der ambitionierten Häuser hinnehmen müssen. Und – Stand heute – hat Corona keines dieser gehobenen Restaurants zu Fall gebracht. Was allerdings auffällt – und zwar bereits seit Jahren – dass gerade die wirtschaftlich sehr starken Zentren wie Friedrichshafen und Ravensburg, die auch aufgrund vieler Firmensitze internationales Publikum anziehen, keine kulinarischen Fixsterne beherbergen. Sodass die großen Führer kaum Notiz von diesen großen Städten nehmen. Einzige Ausnahme ist der Lumperhof in Ravensburg, der es immerhin auf eine Empfehlung ohne weitere Wertung im GaultMillau bringt. Warum das so ist? Ein Unternehmer, der seine Aussage schon damals auf keinen Fall in der Zeitung lesen mochte, sagte schon vor Jahren hinter vorgehaltener Hand: „In Schwaben ist es immer noch unüblich, ja verpönt, seinen Erfolg öffentlich zu zeigen.“Ein Benz in der Garage, das gehe gerade noch. Aber damit vor einem Restaurant zu parken, von dem die Leute wüssten, dass das Menü 150 Euro koste, gehe gar nicht. Da esse man halt lieber auswärts.
Ob diese Einschätzung wirklich stimmt und ein Spitzenrestaurant in Friedrichshafen oder Ravensburg aus Wohlstandsscham tatsächlich keinen Erfolg hätte, kann freilich nicht überprüft werden. Denn weder da noch dort ist im Augenblick ein Stern in Sicht.