Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Am Bodensee für die Sportpolitik ausgebildet
Die Situation ist mental ganz schwer. Ich spüre das auch an mir selber, es ist ein dauerndes Auf und Ab. Es gibt Wochen, in denen ich mich voll aufs Training konzentrieren kann und Spaß habe. Und es gibt Wochen, in denen ich besorgt und pessimistisch bin. Dazu kommt, dass viele Sportler noch gar nicht für Olympia qualifiziert sind und nun vor der Frage stehen, welchem Risiko sie sich mit Reisen zu Quali-Wettkämpfen – falls diese überhaupt stattfinden – aussetzen in der Hoffnung, dann im Sommer dabei sein zu können, ohne zu wissen, ob die Spiele überhaupt stattfinden. Für mich geht es demnächst nach Budapest, und ich mache mir natürlich auch Sorgen, dass ich mich anstecke. Das ist nicht einfach.
Glauben Sie persönlich daran, dass Olympia in diesem Jahr stattfindet?
Ich finde es sehr schwer, das im Moment zu beurteilen. Es hängt sicherlich stark davon ab, was in Japan los ist, wie die Bevölkerung und die Behörden zu der Austragung stehen. Und es wird auch viel davon abhängen, wie die Impfungen weltweit voranschreiten. Das sind zwei entscheidende Parameter, die ich nur sehr schwer einschätzen kann. So lange bereite ich mich weiter vor, in der Hoffnung, dass die Spiele stattfinden.
Laut aktuellen Umfragen gibt es in Japan große Bedenken gegen eine Austragung der Spiele – sowohl von der Bevölkerung als auch von vielen Sportlern. Halten Sie es für richtig, dass man dem Land die Veranstaltung dennoch aufdrängt?
Das Ausrichterland sollte von der Ausrichtung der Olympischen Spiele profitieren. In der Regel kommen Menschen aus der ganzen Welt und erleben eine außergewöhnliche Atmosphäre. Meiner Meinung nach wird viel davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage bis zur Eröffnung entwickelt und ob Zuschauer zugelassen sein werden. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Stimmung mit einer verbesserten Situation wieder aufhellt.
Zuletzt gab es auch zahlreiche Diskussionen, ob Profisportler bevorzugt geimpft werden sollen, damit die Spiele stattfinden können. IOC-Präsident Bach versicherte, dass der Großteil der Olympioniken geimpft anreisen wird. DOSBPräsident Alfons Hörmann sprach sich dafür aus, dass die Athleten im zweiten Quartal „möglichst bald an die Reihe kommen“sollten. Wie stehen Sie dazu?
Das Feedback der Athleten ist eindeutig: Wir sind der Meinung, dass die Risikogruppen, das medizinische Personal und die Angestellten in der Daseinsvorsorge auf jeden Fall Priorität haben sollten. Wenn diese Gruppen durch sind oder die Impfbereitschaft niedriger ist, als Dosen da sind, würde ich mich natürlich sehr freuen, wenn schon bald die Sportler an die Reihe kommen. Das würde viele unserer Sorgen nehmen.
Auf diesen Zeitpunkt warten aber auch Millionen andere Menschen.
Inwiefern wäre es gerechtfertigt, dass Sportler vor einem normalen Arbeitnehmer geimpft werden?
Ich möchte damit argumentieren, dass einige wenige Sportler, die extrem viel Mühe und Herzblut aufgewendet haben, als Repräsentanten der Bundesrepublik zu Wettkämpfen fahren sollen. Und diese Wettkämpfe – insbesondere in Sportarten, in denen auch Kontakt notwendig ist – können nicht so ausgerichtet werden, dass man die Infektionsrisiken ohne Impfungen so gut senken kann, wie das in vielen anderen Berufen möglich ist.
Bei aller Kritik wird häufig übersehen, dass die Profisportler wie die meisten Menschen nur ihrer Arbeit nachgehen wollen. Im Gegensatz zu Fußballern verdienen die meisten Athleten auch nicht Millionen und sind von den Antrittsund Preisgeldern abhängig. Was bedeutet die Corona-Krise finanziell für die Profis?
Das hat schon zu Einbußen geführt. Insbesondere Wettkampfprämien und neue Werbeverträge sind ausgeblieben. Glücklicherweise helfen die Zahlungen der Deutschen Sporthilfe sowie von Bundeswehr und Polizei, bei denen viele Sportler angestellt und abgesichert sind. Was aber wirklich fehlt, ist der eigentliche Drehund Angelpunkt mit internationalen Wettkämpfen. Das ist das, was einen antreibt im Training und für schöne Momente sorgt. Stattdessen sind wir seit einem Jahr nur auf Abruf – das
Maximilian Hartung ist die wichtigste Stimme der Spitzensportler in Deutschland. Der gebürtige Aachener ist Vorsitzender der Athletenkommission im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und Gründungspräsident von Athleten Deutschland. Der Verein setzt sich seit 2017 für die Interessen der deutschen Kaderathleten ein und fordert vehement mehr Mitspracherecht in sportpolitischen Themen. Das Rüstzeug für seine Position an der Spitze dieser Bewegung hat sich Hartung am Bodensee geholt, besser gesagt an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Hier hat er von 2012 bis 2017 Politik, Soziologie und Wirtschaft studiert. „Das Studium in Friedrichshafen hat mich persönlich sehr geprägt und mir sehr viel mitgegeben an Ideen und theoretischem Wissen, um mich dann auch in der Sportwelt zu engagieren“, sagt er. Der 31-Jährige würde sich wünschen, dass sich noch mehr Athleten politisch engagieren, auch wenn man niemanden dazu drängen dürfe. „Ich wünsche mir aber, dass Sportler keine Repressalien fürchten müssen, wenn sie ihre Meinung äußern möchten. Sportler sind Mitglieder unserer Zivilgesellschaft und es sollte anerkannt werden, wenn sie sich trauen, Haltung zu zeigen, und sich für ein Thema einsetzen.“(md)
schmerzt mehr als die finanziellen Einbußen.
Als Präsident des Vereins Athleten Deutschland haben Sie zuvorderst den Spitzensport im Blick. Dennoch kennen Sie sicher auch die Sorgen des Amateur- und Breitensports. Reichen die zuletzt beschlossenen Lockerungen Ihrer Meinung nach aus?
Ich betrachte das Ganze mit sehr gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite sehe ich Modellrechnungen, die vorhersagen, dass sich die Lage vermutlich noch mal verschlechtern wird und die Fallzahlen wieder steigen. Auf der anderen Seite kenne ich viele junge Fechter, die seit Monaten zu Hause sitzen und ihren Sport nicht mehr betreiben können. Das tut einem richtig weh, wenn man mitbekommt, wie wenig sich die Kids bewegen können und wie sehr wichtige soziale Kontakte fehlen. Deshalb wünsche ich mir für die Kinder, dass sie zumindest wieder auf die Sportanlagen draußen zurückkehren können.
Was bedeutet die lange CoronaPause für die Entwicklung der Spitzensportler von morgen?
Ich mache mir da, ehrlich gesagt, weniger Sorgen um den Spitzensport als vielmehr um die jungen Menschen, die jetzt wichtige Erlebnisse in ihren sportlichen Karrieren und in ihrer Persönlichkeitsentwicklung verpassen. Für die tut es mir leid, nicht für künftige Medaillenspiegel.