Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Den Einzelhändlern platzt der Kragen
Reaktionen auf die Entscheidung des Landratsamts – Wut und Enttäuschung
- Um 11.01 Uhr am Donnerstag gibt das Landratsamt per E-Mail die Entscheidung bekannt, die seit Tagen erwartet worden war. Die Landrätin bittet um Verständnis für die neuerliche Vollbremsung, doch das Verständis der von der Schließung betroffenen Händler, Kosmetikbetriebe oder Kulturschaffenden hält sich in Grenzen.
Bad Saulgaus Kulturamtsleiter
hat sich so gefreut – auf die erste Ausstellung „Oh Captain, my Captain“ab Sonntag, 21. März, nach über vier Monaten Zwangspause in der Galerie Fähre im Alten Kloster. „Die Exponate hängen schon. Die Beschilderung wäre als nächstes dran gewesen“, sagt Ruess. Allein der Aufbau der Ausstellung sei wie eine Therapie gewesen. Die Notbremse bremst auch Ruess aus. „Dabei hätte die Ausstellung uns allen so gut getan“, sagt Ruess. „Kein Wunder, dass das die Menschen in den Wahnsinn treibt“, ergänzt er und erwartet, dass die Frage nach dem Inzidenzwert neu diskutiert werden müsse. „Wir können doch die Lockerungen nicht anhand der Zahlen festmachen.“Weitere Planungen, so Ruess, seien unter diesen Umständen unmöglich.
Andreas Ruess Sylvia Weber,
Inhaberin des Schuhhauses Weber in der Bad Saulgauer Fußgängerzone, ist auf 180. „Der Einzelhandel hat einfach keine Lobby“, sagt sie. „Offenbar gibt es das Virus nur in der Innenstadt, aber nicht in Discountern und Supermärkten“, sagt Weber über „das Trauerspiel“, das zur Folge hat, dass sie ihre private Altersvorsorge in ihr Geschäft stecken muss. „Die Leute werden dazu gezwungen, ihre Ware bei Amazon zu bestellen.“Die Politik nehme dem Einzelhandel durch solche Maßnahmen leider jede Überlebenschance weg. „Der Staat hat alles kaputt gemacht“, ergänzt Weber, die frustriert ist.
„Mir fehlen die Worte“, sagt
Vorsitzender der Fachgruppe Einzelhandel im Gewerbeverein Unser Bad Saulgau. Eine Woche lange hatte er mit Kunden für sein Modegeschäft „Punkt Männersache“25 Termine vereinbart. Ab Samstag ist damit wieder Schluss. „Mir fehlen die Worte“, sagt Ünal, der kurz Luft holt und dann zum Rundumschlag ausholt. „Ich bin schwer enttäuscht – vor allem von der Politik“. Die Politik habe von A
Ünal, Baykal
bis Z versagt. Es komme ihm so vor, als ob die Einzelhändler die Pandemietreiber seien. „Dabei setzen wir alle Hygienemaßnahmen um. Wir sind achtsam und passen auf“, sagt Ünal, bei dem sich die Wut aufgestaut hat. Er musste erst einmal eine Runde laufen, als er vom Beschluss des Landratsamts erfahren hatte. „Wir haben gerade wieder die Füße ein bisschen auf den Boden bekommen. Und dann so was.“Baykal Ünal ist sauer darüber, dass er seinen Beruf nicht mehr ausüben darf. „Wir werden entmündigt“, ergänzt der Geschäftsmann. „Die Politik sollte sich dafür schämen. Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland“, ergänzt Ünal, der nach seiner Schelte trotzdem versucht, den Blick nach vorne zu richten. „Ich lasse mir den Spaß am Leben nicht nehmen.“
von Sport Dietsche in Mengen mit einer Filiale in Bad Saulgau ist frustriert von der Machtlosigkeit der Einzelhändler. „Wir können nur noch reagieren, es lässt sich nichts mehr planen“, sagt er direkt nach der Ankündigung der Notbremse. Noch in diesen Tagen bekamen Dietsche-Kunden Post mit der Nachricht, dass das Sportgeschäft wieder geöffnet hat. Doch statt Öffnung geht es jetzt wieder einen Schritt zurück: von Click & Meet zu Click & Collect. Die steigenden Infektionszahlen seien schlimm, so Dietsche. Nicht nachvollziehen kann der Sportfachhändler die Unterschiede, die von der Politik zwischen dem Lebensmittelhandel und dem Nonfood-Bereich gemacht werden. „Wir können Abstände einhalten, wir tun alles, damit nichts passiert und können mehr Fläche pro Kunde anbieten“, so Dietsche. Seit vergangener Woche lässt Dietsche sogar seine Mitarbeiter im Betrieb testen. Dennoch würden Geschäfte wie seines abermals von der Notbremse betroffen. „Wir machen alles, was möglich ist, und bekommen dann wieder die Genickschläge.“
Marcel Dietsche Ivonne Ksiazek-Schaffer
vom Kosmetikstudio Hautsache in Sigmaringen muss ihren Betrieb ebenfalls wieder komplett schließen. Doch nicht nur das: Die Kosmetikerin hat in Werbung, in neue Produkte investiert. „Diese Entscheidung raubt mir die Zuversicht“, sagt Ksiazek-Schaffer. Sie könne sich nicht vorstellen, dass die Inzidenz schnell wieder sinke, zumal sie fünf Tage nacheinander unter 100 liegen muss. Statt dem Hin und Her ist sie der Meinung, dass die Gesellschaft mit dem Virus leben müsse.