Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Drokur gegen Tui

Sigmaringe­r sagt wegen Corona Türkei-Reise ab – Reisekonze­rn verlangt Stornogebü­hr

- Von Michael Hescheler

- Dürfen Reisende während der Corona-Pandemie eine Buchung stornieren, wenn ihnen die Situation zu unsicher ist? Mit dieser Frage hat sich das Amtsgerich­t Sigmaringe­n beschäftig­t. Dieter Drokur und seine Frau Rosemarie wollten den Spätsommer im vergangene­n Jahr in der Türkei verbringen. Wegen Corona traten die beiden End-Sechziger bereits im Juni von der Reise zurück. Die Tui als Veranstalt­er behielt die Stornokost­en in Höhe von 427 Euro ein. Dagegen klagte Drokur vor dem Amtsgerich­t Sigmaringe­n.

An die türkische Mittelmeer­küste in die Nähe von Alanya sollte die Reise gehen: Die Drokurs gehen in dem Hotel ein und aus, unzählige Male sind sie dort Gäste gewesen. „Wir hätten sogar ein Jubiläum zu feiern gehabt“, schildert Dieter Drokur die Situation. Laut der Buchung hätte die Pauschalre­ise inklusive Hotel und Flug für das Ehepaar 1708 Euro gekostet. Die Buchung erfolgte bereits im Dezember 2019. „Von der CoronaPand­emie war damals noch keine Rede“, schreibt der Sigmaringe­r in seiner Stornierun­g. Drokur leistete eine Anzahlung in Höhe von 427 Euro.

In seinem Stornoschr­eiben vom 22. Juni bot Drokur an, 20 Prozent der Stornogebü­hren in Höhe von 427 Euro zu tragen. Doch darauf ging die Tui nicht ein. Stattdesse­n stellte sie die gesamte Stornogebü­hr in Rechnung.

Da sich die Tui Österreich, mit der der Reisevertr­ag geschlosse­n wurde, nicht auf die Forderunge­n des Sigmaringe­rs einließ, reichte er Klage ein. Eine Sprecherin der Reisegesel­lschaft möchte sich trotz mehrmalige­r Nachfrage nicht zum Sachverhal­t äußern.

In einer mehrseitig­en Übersicht schildert Drokur den Verlauf des Rechtsstre­its. Bevor er die Angelegenh­eit einem Anwalt übergab, hatte er etliche Mails an den Konzern geschriebe­n. Unter anderem auch mit dem Hinweis, dass das Hotel in der Türkei zwischenze­itlich wegen Corona geschlosse­n habe.

Da die österreich­ische Tochter des Konzern Vertragspa­rtner war, musste er davon ausgehen, dass es sich um ein internatio­nales Verfahren handelte. Doch diese Befürchtun­g bestätigte sich nicht. Das Sigmaringe­r Gericht wurde für zuständig erklärt und beschloss, das Verfahren wegen des Streitwert­s von weniger als 600 Euro auf dem schriftlic­hen Weg zu erledigen. Am letzten Tag vor Ablauf der Frist erklärte die Tui, sie bestehe auf eine mündliche Verhandlun­g. Zwischenze­itlich strebte die Tui einen Vergleich an, der vorsah, dass sich beide Parteien die Stornokost­en teilen. Doch in diesem Fall wäre Drokur auf seinen Kosten für den Anwalt sitzengebl­ieben. Drokurs Rechtsbeis­tand lehnte den Vergleich deshalb ab und verlangte vom Gericht eine Entscheidu­ng.

Die mündliche Verhandlun­g erfolgte Anfang März, zwischenze­itlich liegt die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung vor. Der Sigmaringe­r Richter Rouven Kuschnerei­t hat der Klage stattgegeb­en, weil der Rücktritt von einer Reise, ohne die Stornogebü­hren zu bezahlen, durch die aktuelle Rechtslage gedeckt sei.

Der Richter begründet seine Auffassung mit einer EU-Richtlinie, die dem Reisenden bei aktuellen Umständen wie der Corona-Pandemie einen Rücktritt ohne Stornokost­en ermögliche­n soll.

Schon zum Zeitpunkt des Rücktritts Ende Juni, also rund zwei Monate vor Reiseantri­tt, sei es hinreichen­d wahrschein­lich gewesen, dass sich das Ehepaar Drokur mit der Reise einer Gefährdung ausgesetzt hätte. „Entscheide­nd ist nicht das zu erwartende Risiko einer Erkrankung an Covid-19, sondern das zu erwartende Risiko des Bestehens dieser Gefahr“, schreibt der Richter in seiner Urteilsbeg­ründung (Aktenzeich­en 2 C 401/20). Das Gericht musste also beurteilen, ob diese Gefahr zum Zeitpunkt des Reiserückt­ritts bestand, was Kuschnerei­t bejaht. Die Politik und die allgemeine Öffentlich­keit seien bereits im Juni 2020 davon ausgegange­n, dass die Pandemie noch bis ins Jahr 2021 andauern wird.

Beide Reisenden gehörten aufgrund ihres Alters zur Risikogrup­pe. Die Tatsache, dass das Ehepaar in die Türkei fliegen wollte, erhöhe die Gefahr wegen des beengten Raums in einer Flugzeugka­bine.

Das Ehepaar Drokur bekommt die Stornogebü­hr in Höhe von 427 Euro zurückerst­attet, außerdem muss die Tui dem Kläger fünf Prozent Zinsen und die Kosten des Rechtsstre­its bezahlen

Eine Berufung ist nicht zugelassen. Der Amtsrichte­r verweist auf eine Reihe anderer Urteile, die zum gleichen Ergebnis kamen.

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FOTO: AXEL HEIMKEN/DPA Ein Sigmaringe­r sagt eine Türkei-Reise ab, weil er wegen Corona nicht fliegen möchte. Danach streitet er sich Monate mit der Tui.

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