Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Drokur gegen Tui
Sigmaringer sagt wegen Corona Türkei-Reise ab – Reisekonzern verlangt Stornogebühr
- Dürfen Reisende während der Corona-Pandemie eine Buchung stornieren, wenn ihnen die Situation zu unsicher ist? Mit dieser Frage hat sich das Amtsgericht Sigmaringen beschäftigt. Dieter Drokur und seine Frau Rosemarie wollten den Spätsommer im vergangenen Jahr in der Türkei verbringen. Wegen Corona traten die beiden End-Sechziger bereits im Juni von der Reise zurück. Die Tui als Veranstalter behielt die Stornokosten in Höhe von 427 Euro ein. Dagegen klagte Drokur vor dem Amtsgericht Sigmaringen.
An die türkische Mittelmeerküste in die Nähe von Alanya sollte die Reise gehen: Die Drokurs gehen in dem Hotel ein und aus, unzählige Male sind sie dort Gäste gewesen. „Wir hätten sogar ein Jubiläum zu feiern gehabt“, schildert Dieter Drokur die Situation. Laut der Buchung hätte die Pauschalreise inklusive Hotel und Flug für das Ehepaar 1708 Euro gekostet. Die Buchung erfolgte bereits im Dezember 2019. „Von der CoronaPandemie war damals noch keine Rede“, schreibt der Sigmaringer in seiner Stornierung. Drokur leistete eine Anzahlung in Höhe von 427 Euro.
In seinem Stornoschreiben vom 22. Juni bot Drokur an, 20 Prozent der Stornogebühren in Höhe von 427 Euro zu tragen. Doch darauf ging die Tui nicht ein. Stattdessen stellte sie die gesamte Stornogebühr in Rechnung.
Da sich die Tui Österreich, mit der der Reisevertrag geschlossen wurde, nicht auf die Forderungen des Sigmaringers einließ, reichte er Klage ein. Eine Sprecherin der Reisegesellschaft möchte sich trotz mehrmaliger Nachfrage nicht zum Sachverhalt äußern.
In einer mehrseitigen Übersicht schildert Drokur den Verlauf des Rechtsstreits. Bevor er die Angelegenheit einem Anwalt übergab, hatte er etliche Mails an den Konzern geschrieben. Unter anderem auch mit dem Hinweis, dass das Hotel in der Türkei zwischenzeitlich wegen Corona geschlossen habe.
Da die österreichische Tochter des Konzern Vertragspartner war, musste er davon ausgehen, dass es sich um ein internationales Verfahren handelte. Doch diese Befürchtung bestätigte sich nicht. Das Sigmaringer Gericht wurde für zuständig erklärt und beschloss, das Verfahren wegen des Streitwerts von weniger als 600 Euro auf dem schriftlichen Weg zu erledigen. Am letzten Tag vor Ablauf der Frist erklärte die Tui, sie bestehe auf eine mündliche Verhandlung. Zwischenzeitlich strebte die Tui einen Vergleich an, der vorsah, dass sich beide Parteien die Stornokosten teilen. Doch in diesem Fall wäre Drokur auf seinen Kosten für den Anwalt sitzengeblieben. Drokurs Rechtsbeistand lehnte den Vergleich deshalb ab und verlangte vom Gericht eine Entscheidung.
Die mündliche Verhandlung erfolgte Anfang März, zwischenzeitlich liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor. Der Sigmaringer Richter Rouven Kuschnereit hat der Klage stattgegeben, weil der Rücktritt von einer Reise, ohne die Stornogebühren zu bezahlen, durch die aktuelle Rechtslage gedeckt sei.
Der Richter begründet seine Auffassung mit einer EU-Richtlinie, die dem Reisenden bei aktuellen Umständen wie der Corona-Pandemie einen Rücktritt ohne Stornokosten ermöglichen soll.
Schon zum Zeitpunkt des Rücktritts Ende Juni, also rund zwei Monate vor Reiseantritt, sei es hinreichend wahrscheinlich gewesen, dass sich das Ehepaar Drokur mit der Reise einer Gefährdung ausgesetzt hätte. „Entscheidend ist nicht das zu erwartende Risiko einer Erkrankung an Covid-19, sondern das zu erwartende Risiko des Bestehens dieser Gefahr“, schreibt der Richter in seiner Urteilsbegründung (Aktenzeichen 2 C 401/20). Das Gericht musste also beurteilen, ob diese Gefahr zum Zeitpunkt des Reiserücktritts bestand, was Kuschnereit bejaht. Die Politik und die allgemeine Öffentlichkeit seien bereits im Juni 2020 davon ausgegangen, dass die Pandemie noch bis ins Jahr 2021 andauern wird.
Beide Reisenden gehörten aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe. Die Tatsache, dass das Ehepaar in die Türkei fliegen wollte, erhöhe die Gefahr wegen des beengten Raums in einer Flugzeugkabine.
Das Ehepaar Drokur bekommt die Stornogebühr in Höhe von 427 Euro zurückerstattet, außerdem muss die Tui dem Kläger fünf Prozent Zinsen und die Kosten des Rechtsstreits bezahlen
Eine Berufung ist nicht zugelassen. Der Amtsrichter verweist auf eine Reihe anderer Urteile, die zum gleichen Ergebnis kamen.