Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Dritte Pandemiewelle erfasst den Kreis Ravensburg
Gesundheitsamtschef schätzt Anteil der britischen Mutante auf 70 Prozent
- Die britische Mutante des Coronavirus breitet sich auch im Kreis Ravensburg immer weiter aus. Nach Angaben von Gesundheitsamtsleiter Michael Föll macht die ansteckendere und gefährlichere Variante von Sars-CoV-2 mittlerweile 70 Prozent der Infektionen aus. Das deckt sich eins zu eins mit den Beobachtungen in der Oberschwabenklinik (OSK): „Laut unseren Ärzten haben 70 Prozent der Patienten die britische Variante B.1.1.7“, sagt OSK-Pressesprecher Winfried Leiprecht auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gibt den Anteil der sogenannten „Variants of concern“(besorgniserregende Varianten) in Deutschland mit 72 Prozent an, also in derselben Größenordnung. Die wieder stark ansteigenden Inzidenzzahlen lassen nach Meinung der Wissenschaftler keinen Zweifel daran, dass die dritte Pandemiewelle schon anrollt, bevor die zweite ganz vorüber ist.
Dabei waren sowohl die Inzidenzzahlen als auch die Belegung der Krankenhäuser als auch die Todeszahlen im Zusammenhang mit dem Coronavirus während des Lockdowns im Kreis deutlich zurückgegangen, bevor es seit Anfang März wieder zu einem Anstieg kam. Zunächst bei der Inzidenz und mit einer Zeitverzögerung von ein paar Tagen bei der Krankenhausbelegung. Auch an den Todeszahlen ist das Auf- und Abflauen der Wellen gut abzulesen. Die ersten beiden Covid-19-Patienten im Kreis Ravensburg starben im März 2020. Im April gab es vier Sterbefälle, im Mai noch einen, dann fünf Monate keinen einzigen. Die zweite Welle schlug dann deutlich härter zu, genau wie im restlichen Land. Im November starben im Landkreis elf
Menschen an einer Corona-Infektion, im Dezember 24, im Januar 49, im Februar 15. Im März scheinen die Zahlen nicht weiter zurückzugehen, bis 18. März starben schon wieder zehn Menschen. Die Fallsterblichkeit liegt dabei im Kreis Ravensburg mit 116 Toten und 7374 nachweislich Infizierten (Stand Donnerstagabend) bei 1,57 Prozent, was sich aber noch stark verändern kann, wenn immer mehr Menschen geimpft werden. Fallsterblichkeit (Case fatality rate) ist dabei auch nicht zu verwechseln mit dem Infizierten-Verstorbenen-Anteil, der die Dunkelziffer einbezieht, die in Deutschland aber immer noch nicht abschließend erforscht ist und bei Antikörperstudien zwischen Faktor 2 und Faktor 6 schwankte.
Zwischen der Neuinfektion und dem Tod steht meist der Krankenhausaufenthalt als Indikator dafür, wie schlimm die Pandemie gerade wütet. Die Zahl der Covid-Patienten in den OSK-Häusern in Ravensburg und Wangen ist laut Pressesprecher Leiprecht nach einem drastischen Rückgang von Mitte Januar bis Ende Februar seit Anfang März wieder leicht gestiegen. Am Donnerstag lagen im Elisabethenkrankenhaus und im WestallgäuKlinikum 27 bestätigte und zehn Verdachtsfälle, was bei Weitem nicht mit der Situation um Dreikönig vergleichbar sei, so Leiprecht – zu dem Zeitpunkt lagen 80 Covidfälle und 26 Verdachtsfälle gleichzeitig auf den Stationen. „Auffällig ist, dass die Patienten jetzt jünger geworden sind, so zwischen 40 und 80. Nur noch wenige sind über 80, aber die kommen nicht aus Pflegeheimen. Das zeigt schon, dass die Impfung der Hochaltrigen in den Heimen funktioniert hat“, erklärt der Pressesprecher. Mindestens 70 Prozent der jetzigen Patienten hätten die britische Variante, die nach verschiedenen Studien aus Großbritannien und Dänemark zwischen 51 und 68 Prozent tödlicher als der Wildtyp sein soll. Das Sterberisiko steigt also in etwa um die Hälfte. Auch die OSK-Ärzte haben laut Leiprecht den Eindruck, dass jetzt mehr Patienten auf der Intensivstation landen und beatmet werden müssen. „Aber eine generelle Aussage lässt sich wegen der geringen Fallzahlen insgesamt mit der Mutante noch nicht treffen“, sagt der Pressesprecher. Positiv sei immerhin, dass mittlerweile knapp die Hälfte der 2900 OSK-Beschäftigten geimpft sei. „Ausfälle beim Personal haben wir so gut wie keine mehr.“
Gesundheitsamtsleiter Föll hält die aktuelle Entwicklung für „äußerst beunruhigend“, weil die britische Mutante nicht nur ansteckender, sondern auch gefährlicher sei. Er und seine Kollegen beobachten bei der Kontaktverfolgung, dass die Bereitschaft mancher Menschen, alle Kontaktpersonen korrekt zu benennen – was für diese ja eine unangenehme Quarantäne nach sich zieht –, gesunken sei. Zumal man sich als Kontaktperson bei der Infektion mit einer Mutante auch nicht nach fünf Tagen freitesten kann. „Das alles“, sagt er, „lässt nichts Gutes erwarten.“