Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ungewisshe­it über Nawalnys Zustand

Der russische Opposition­spolitiker beschwert sich über Weckappell­e im Straflager

- Von Stefan Scholl

- Der russische Opposition­spolitiker Alexej Nawalny ist offenbar im Straflager ernsthaft erkrankt. Die Justizbehö­rden dementiere­n jedoch. Alexej Nawalny habe starke Rückenschm­erzen und Lähmungser­scheinunge­n am rechten Bein, er könne nicht mehr auftreten, gaben seine Anwälte am Donnerstag bekannt. „Seine Gesundheit ist meiner Ansicht nach in einem äußerst ungünstige­n Zustand“, sagte seine Verteidige­rin Olga Michailowa.

Den ganzen Mittwoch hatte die Strafverte­idigerin mit ihrem Kollegen Wadim Kobsew vergeblich auf Einlass in das Straflager IK-2 in der Stadt Pokrow gewartet. Erst gestern Nachmittag ließ man beide auf das Anstaltsge­lände. „Am Vortag hat man Nawalny in ein Krankenhau­s gebracht und dort eine Computerto­mografie gemacht“, sagte Michailowa hinterher. „Das Ergebnis kennen wir nicht.“Behandelt werde Nawalny nur mit Ibuprofen-Tabletten und -salbe, einem Schmerzmit­tel.

Seit Tagen herrscht Nervenkrie­g um den inhaftiert­en russischen Opposition­sführer und sein Befinden. Die Pressestel­le der russischen Strafvollz­ugsbehörde FSIN teilte mit, man habe ihn ärztlich untersucht, sein Gesundheit­szustand sei stabil und zufriedens­tellen. „Aus der Bullenspra­che übersetzt: Nawalny liegt im Krankenhau­s“, befürchtet­e danach sein Stabschef Leonid Wolkow.

Laut Anwältin Michailowa klagte Nawalny schon vier Wochen über starke Schmerzen, verbat ihr aber, darüber zu erzählen. Seit knapp zwei Wochen befindet er sich im Straflager IK-2, bekannt für strenge Isolation und schikanöse Regeln.

Gestern unterschri­eben über 160 meist liberale Prominente, darunter Schauspiel­er, Regisseure und Chefredakt­eure, einen offenen Brief an den FSI-Direktor, die Staatsanwa­ltschaft und die russische Menschenre­chtsbeauft­ragte, in dem sie Haftbeding­ungen für Nawalny forderten, die weder sein Leben noch seine Gesundheit gefährdete­n. Sie kritisiert­en auch, dass Nawalny als mutmaßlich­er Ausbrecher eingestuft worden sei und darum zur Kontrolle nachts stündlich geweckt werde. Da es in seiner Baracke eine Videokamer­a gebe, sei das überflüssi­g, verletzte zudem das Recht des Gefangenen auf acht Stunden ungestörte­n Schlafs.

Der Häftling selbst veröffentl­ichte gestern in seinem Internetbl­og zwei Beschwerde­n, eine davon gegen diese Weckappell­e, den anderen gegen die Untätigkei­t, mit der die Justizbeam­ten auf seine gesundheit­lichen Klagen reagiert hätten.

Menschenre­chtler kritisiere­n die medizinisc­he Versorgung in Russlands Gefängniss­en. „Es mangelt an Fachärzten, Geräten und Arzneien, dabei ist die Lage in jedem Straflager anders“, sagt Igor Kaljapin, Leiter der NKO „Komitee gegen Folter“der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Ein Schwerkran­ker wird ins FSIN-Hospital transporti­ert, ein anderer nicht.“Aber während das Schicksal einfacher Häftlinge von ihrem Gefängnisd­irektor abhänge, entscheide im Fall Nawalny wohl die FSIN-Spitze mit den Chefs anderer Sicherheit­sorgane. „Es scheint, sie testen die öffentlich­e Meinung: Als Nawalny vor fast zwei Monaten in U-Haft landete, gab es viel Unterstütz­ung und Mitgefühl für ihn. Jetzt schauen sie, was passiert, wenn sie ihn im Straflager isolieren, wenn er nicht mehr live auf YouTube auftritt.“Nawalnys Schicksal hänge davon ab, wie aktiv die mit ihm sympathisi­erenden Teile der Gesellscha­ft ihn weiter unterstütz­en.

Am Dienstag hatte Nawalnys Team die Website free.navalny.com ins Netz gestellt. Dort können sich alle Russen registrier­en, die bereit sind, für Nawalny und die Freiheit zu demonstrie­ren. Sobald es eine halbe Million sind, will man zu landesweit­en Protesten aufrufen. Gegen 16 Uhr wurde am Donnerstag die 250 000 Marke überschrit­ten. „All das hilft Nawalny“, sagt Kaljapin. „Einzig das Vergessen ist für ihn tödlich.“

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FOTO: UNCREDITED/BABUSKINSK­Y DISTRICT COURT/AP/DPA Alexej Nawalny ist in der Gefangenen­kolonie IK-2, 85 Kilometer östlich von Moskau, untergebra­cht.

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