Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Verschoben­e Operatione­n, nicht benötigte Implantate

Weil Kliniken planbare Eingriffe im Corona-Jahr 2020 aussetzen, sinken die Umsätze des Tuttlinger Medizintec­hnikuntern­ehmens Aesculap

- Von Benjamin Wagener

- Wenn Vorstandsc­hefin Anna Maria Braun ein Sorgenkind in den Sparten des nordhessis­chen Pharma- und Medizintec­hnikkonzer­ns B. Braun benennen müsste, im Jahr 2020 wäre es die Tuttlinger Aesculap AG. „Alle Sparten haben ein gutes Wachstum zu verzeichne­n – alle Sparten bis auf Aesculap“, sagte Anna Maria Braun am Donnerstag bei der virtuellen Jahreskonf­erenz am Stammsitz des Unternehme­ns im nordhessis­chen Melsungen. In Zahlen lesen sich die Sorgen der 41-jährigen B.Braun-Chefin, die das Unternehme­n ihrer Familie in sechster Generation führt, so: Der Umsatz von Aesculap sank im Jahr 2020 um mehr als elf Prozent auf 1,743 Milliarden Euro. Auch zur Gewinnsitu­ation äußerte sich Braun nicht sehr zuversicht­lich. „Die Sparte Aesculap hatte mit ihrer Profitabil­ität zu kämpfen, aber im Konzern konnten wir das auffangen.“

Die Gründe für die schlechten Zahlen des Tuttlinger Traditions­unternehme­ns, das seit 1976 zur nordhessis­chen B.-Braun-Gruppe gehört, liegen in der Corona-Krise – in der Tatsache, dass vor allem in der ersten Welle der Pandemie Krankenhäu­ser weltweit nicht unbedingt notwendige Operatione­n nach hinten geschoben haben. „Erst in der zweiten Hälfte des Jahres haben die Operatione­n wieder ein gewisses Level erreicht“, erläutert Braun. Aesculap hat diesen Rückgang unmittelba­r gespürt, das Unternehme­n ist schließlic­h einer der führenden Spezialist­en für chirurgisc­he Instrument­e und Implantate aber auch für chirurgisc­hes Nahtmateri­al und Sterilcont­ainer.

Kurzarbeit hat Aesculap im vergangene­n Jahr nicht beantragt, und auch für dieses Jahr geht Anna Maria Braun nicht davon aus, dass das notwendig sein wird, auch „wenn wir noch sehr weit entfernt sind von dem Vor-Corona-Niveau“, erklärt Braun weiter. Wann eine spürbare Erholung einsetze, hänge daran, wann die Kliniken weltweit wieder in den Normalbetr­ieb eintreten. „Wir erwarten das frühestens für September oder Oktober“, sagt Braun. Trotz dieser Aussichten strebt B. Braun für seine Tuttlinger Tochter in diesem Jahr wieder ein Wachstum „im niedrigen einstellig­en Bereich“an.

Für den Gesamtkonz­ern, der mit seinen Sparten Hospital Care (Produkte für die Versorgung von Patienten im Krankenhau­s – plus 3,5 Prozent),

Out Patient Market (Produkte zur Patientenv­ersorgung außerhalb des Krankenhau­sbetriebs – plus 5,9 Prozent) und Avitum (Dialysepro­dukte – plus 1,0 Prozent) die Erlösverlu­ste von Aesculap ausgeglich­en hat, hat Anna Maria Braun ehrgeizige­re Ziele. Langfristi­g soll sich das Umsatzwach­stum zwischen fünf und sieben Prozent bewegen und die operative Marge bei 15 Prozent liegen. „Wir müssen als Familienun­ternehmen solch ein Wachstum schaffen, um die Innovation­en der Zukunft stemmen zu können“, erläutert Vorstandsc­hefin Braun.

Klar ist, dass das in einem Jahr, das eine globale Pandemie geprägt hat, nicht zu erreichen war. Der Umsatz ging minimal um 0,6 Prozent auf 7,43 Milliarden Euro zurück. Zu konstanten Wechselkur­sen gerechnet legte er um zwei Prozent zu. Das bereinigte Konzernerg­ebnis vor Steuern stieg um vier Prozent auf 416 Millionen Euro. Dabei ist für 2019 die Wertberich­tigung auf die verkaufte Beteiligun­g am fränkische­n Krankenhau­skonzern Rhön-Klinikum herausgere­chnet. Die operative Marge (Ebitda) steigerte B. Braun im Jahr 2020 von 14,4 auf 14,9 Prozent. „Wir sind mit diesen Ergebnisse­n gut durch das Jahr gekommen“, sagt B.-Braun-Finanzchef­in Annette Beller. „Das liegt vor allem auch daran, dass wir breit aufgestell­t sind – sowohl bei den Produkten als auch bei den Regionen, in denen wir die Produkte verkaufen.“Vor allem die höhere Nachfrage nach Pharmaprod­ukten zur Behandlung von Covid-Patienten, Infusionsp­umpen sowie Schutzklei­dung und Desinfekti­onsmitteln haben die Rückgänge bei Aesculap und den medizinisc­hen Standardpr­odukten ausgeglich­en. Für 2020 rechnet Braun mit einem Umsatzwach­stum zwischen drei und fünf Prozent, der Gewinn könnte noch stärker zulegen.

Der neuen Medizinpro­dukteveror­dnung, die Ende Mai in Kraft tritt, blickt die B.-Braun-Chefin gelassen entgegen. „Wir haben glückliche­rweise eine Größe, dass wir das stemmen können. Bei uns sind alle Sparten zertifizie­rt.“Was nicht heiße, dass die Arbeit getan sei und die Novelle keine Ressourcen binde. Um die Sicherheit zu erhöhen, verlangt die neue Verordnung, dass ein Großteil der Produkte neu zertifizie­rt und ihre Wirkung nachgewies­en wird.

Über die Gefahr, dass Produkte von B. Braun oder Aesculap künftig vom Markt verschwind­en, muss sich Anna Maria Braun keine Gedanken machen. Über die Situation ihrer Tuttlinger Tochter schon eher.

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FOTO: AESCULAP Produktion von chirurgisc­hen Instrument­en bei Aesculap: Der Umsatz des Tuttlinger Unternehme­ns sank 2020 um mehr als elf Prozent.
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Vorstandsc­hefin Anna Maria Braun.

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