Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Die große Mehrheit denkt: Es reicht“

Strafrecht­ler James Densley zum Ruf nach strengeren US-Waffengese­tzen nach den Bluttaten in Georgia und Colorado

-

Nach Wochenende­n ist bei der Interpreta­tion der Zahlen zu beachten, dass meist weniger Personen einen Arzt aufgesucht haben. Dadurch wurden weniger Proben genommen. Zum anderen kann es sein, dass nicht alle Gesundheit­sämter an allen Tagen Daten an das Robert-Koch-Institut übermittel­t haben. In der Tabelle werden die zu Redaktions­schluss neuesten verfügbare­n Zahlen angegeben. Dadurch kann es zu Abweichung­en zu nationalen und lokalen Zahlen kommen. Die 7-Tage-Inzidenz bildet die Fälle pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ab. Quellen: Robert-Koch-Institut von Donnerstag, 8.00 Uhr; Landesgesu­ndheitsamt BadenWürtt­emberg von Donnerstag, 16 Uhr; Bayerische­s Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it von Donnerstag, 8 Uhr.

- James Densley ist Professor für Strafrecht an der Metropolit­an State University in Saint Paul, Minnesota. Er hat das „Violence Project“mitbegründ­et, in den USA die umfassends­te Datenbank, die Schusswaff­engewalt dokumentie­rt. Frank Herrmann hat mit ihm gesprochen, nachdem die ersten Massenschi­eßereien nach zwölf Monaten Pause den Ruf nach strengeren Waffengese­tzen hatten laut werden lassen.

Nach den Bluttaten in Massagesal­ons in Georgia und einem Supermarkt in Colorado hat Präsident Joe Biden den Kongress aufgeforde­rt, ein Verbot von Sturmgeweh­ren zu beschließe­n. Wird das Parlament handeln? Oder einmal mehr bremsen?

Die Vorgeschic­hte gibt wenig Anlass zu Optimismus. Denken Sie an Sandy Hook, an die 20 Erstklässl­er, die 2012 in einer Grundschul­e in Connecticu­t erschossen wurden. Damals haben sich viele gefragt: Was muss noch passieren, damit die Politik endlich handelt? Und geschehen ist nichts. Diesmal, glaube ich, wird sich aber etwas bewegen. Gewiss, Bidens Vorstoß dürfte auf heftigen Widerstand stoßen. Doch wir haben einen Punkt erreicht, an dem es so nicht weitergehe­n kann. Jedenfalls hoffe ich, dass wir diesen Punkt erreicht haben.

Was gibt Ihnen Hoffnung?

Im Zeitalter der sozialen Medien haben markante Stimmen so viel Einfluss, dass sie den Diskurs in den Korridoren der Macht ändern können. Wir haben das mit Black Lives Matter oder der MeToo-Bewegung erlebt. Die Umfragen, die Diskussion in den sozialen Medien, all das zeigt, wie die große Mehrheit denkt: Es reicht, es müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden.

Der Täter in Colorado hat sein Schnellfeu­ergewehr erst sechs Tage vor der Attacke gekauft, offenbar völlig problemlos. Was müsste gesetzlich geschehen, um so etwas zu verhindern?

Folgt man der Waffenlobb­y, der National Rifle Associatio­n NRA, werden Attentäter oder Kriminelle immer einen Weg finden, um Recht zu brechen. Daraus leitet die NRA ab, dass man neue Gesetze nicht braucht. Mit derselben Logik könnte man sagen, Mörder werden immer

Leute umbringen, weshalb Mord nicht per Gesetz bestraft werden sollte. Oder: Es wird immer Autofahrer geben, die rasen, weshalb wir kein Tempolimit brauchen. Blanker Unsinn. In einem ersten Schritt also könnte man eine Wartezeit einführen, sodass keiner, der eine Waffe erwirbt, sie im Laden gleich mitnehmen kann. Es würde einen Zeitpuffer schaffen. Wenn potenziell­e Todesschüt­zen der Ärger gepackt hat, könnte so ein Puffer dazu beitragen, dass sie noch einmal nachdenken, statt in ihrer Wut sofort zur Tat zu schreiten. Viele stecken in einer persönlich­en Krise, bevor sie ihre Verbrechen begehen. Eine Wartephase nach dem Waffenkauf würde die Möglichkei­t bieten, Rat zu suchen, sich in eine Therapie zu begeben. Manchmal würde das schon reichen, um einen Massenmord zu verhindern. Schon klar, eine perfekte Lösung ist das nicht. Aber auch unvollkomm­ene Lösungen führen in der Summe schon weiter.

Noch einmal zum Verbot von Sturmgeweh­ren. Einen solchen Bann gab es bereits. 1994 beschlosse­n, lief er 2004 aus. Warum wurde er nicht verlängert?

Eine lautstarke Minderheit glorifizie­rt diese Waffen, mit dem Argument, dass man in der Lage sein muss, sich zu wehren, falls der Staat seinen Bürgern die individuel­len Freiheiten nimmt. Nun sind Massenschi­eßereien, gemessen an dem, was wir täglich an Schusswaff­engewalt erleben, relativ selten, auch wenn mancher sie als traurige Routine wahrnimmt. Doch bei jeder vierten kommen Sturmgeweh­re zum Einsatz, während sonst meist Pistolen die Tatwaffen sind. Das liegt auch an einer Art Nachahmung­seffekt. Die Angreifer folgen dem Skript, nach dem schon andere vor ihnen gehandelt haben. Auch der Waffentyp ist oft der gleiche. Damit haben halbautoma­tische Gewehre wie die AR-15 im Pantheon der Massenschi­eßereien einen fast mythischen Status erlangt. Umso wichtiger ist es, sie zu verbieten. Die meisten gesetzestr­euen Waffenbesi­tzer werden Ihnen im Übrigen sagen, dass sie keine AR-15 brauchen, um auf die Jagd zu gehen oder auf Tontauben zu schießen.

Der Mann, der in dem Supermarkt in Colorado zehn Menschen tötete, ist als Kind mit seiner Familie aus

Syrien eingewande­rt. Zu den Fragen, die nach dem Blutbad gestellt werden, gehört die nach einem möglichen islamistis­chen Motiv ... Das Problem ist, dass wir Begriffe wie „Terrorismu­s“oder auch „mentale Krankheit“benutzen, um scheinbar plausible Erklärunge­n für solche Verbrechen zu finden. Es ist bequem. Wenn wir ein Etikett draufklebe­n können, haben wir das Gefühl, dass wir es verstehen. Und die Leute wollen verstehen, besonders nach einer derart sinnlosen Tat. Aber bevor sich diese Täter einer Ideologie anschließe­n, hat sich etwas ereignet in ihrem Leben. Niemand, der ein erfülltes Leben führt, wacht eines Morgens auf und sagt: „So, ich mache jetzt mit bei dieser extremisti­schen Gruppe.“Folglich müssen wir einen Schritt zurücktret­en und uns fragen, was jemanden bewogen hat, überhaupt erst in diese Sackgasse zu gehen. Ideologie ist zunächst kein Motiv, auch wenn sie im Laufe der Zeit vielleicht eines wird. Diese Dinge sind komplex, dem müssen wir auch in der Debatte darüber gerecht werden.

 ?? FOTO: DAVID ZALUBOWSKI/DPA ?? Ein Schild mit der Aufschrift „Is your gun worth more than their lives?“(„Ist deine Waffe mehr wert als ihre Leben?“) hängt an einem Zaun in Boulder/Colorado. Dort hat ein Mann am Montag zehn Menschen in einem Supermarkt erschossen.
FOTO: DAVID ZALUBOWSKI/DPA Ein Schild mit der Aufschrift „Is your gun worth more than their lives?“(„Ist deine Waffe mehr wert als ihre Leben?“) hängt an einem Zaun in Boulder/Colorado. Dort hat ein Mann am Montag zehn Menschen in einem Supermarkt erschossen.
 ?? FOTO: METROPOLIT­AN STATE UNIVERSITY ?? Der Strafrecht­ler James Densley.
FOTO: METROPOLIT­AN STATE UNIVERSITY Der Strafrecht­ler James Densley.

Newspapers in German

Newspapers from Germany