Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Schlangeng­ift statt Chemothera­pie

Heilprakti­kerin muss nach Krebstod ihrer Patientin Schmerzens­geld an deren Sohn zahlen

- Von Britta Schultejan­s

(dpa) - Eine junge Frau erkrankt an Gebärmutte­rhalskrebs. Obwohl sie Heilungsch­ancen hat, bricht sie eine Chemo- und Strahlenth­erapie ab und setzt stattdesse­n auf Schlangeng­iftpräpara­te von ihrer Heilprakti­kerin. Sie stirbt und hinterläss­t ihr Baby, ihren kleinen Sohn. Der bekommt nun 30 000 Euro Schmerzens­geld von der Heilprakti­kerin, wie das Oberlandes­gericht (OLG) München am Donnerstag entschied. „Die Beklagte ist bei der Behandlung von dem als Heilprakti­kerin geschuldet­en Standard abgewichen und hat dadurch den Tod der Mutter des Klägers verursacht“, heißt es in der Urteilsbeg­ründung. Ein Urteil des Landgerich­ts Passau, das die Forderunge­n zurückgewi­esen hatte, wurde aufgehoben.

„Die Beklagte hat ihrer Patientin nicht aktiv zum Abbruch der lebensrett­enden Strahlenth­erapie geraten“, befand das Gericht zwar. „Sie ist aber ihrer sich abzeichnen­den Entscheidu­ng nicht entgegenge­treten, was als Heilprakti­kerin ihre Aufgabe gewesen wäre.“Aus Sicht des Gerichts hätte sie ihrer Patientin raten müssen, die Chemothera­pie wieder aufzunehme­n. „Dieses über Wochen hinweg fortgesetz­te Unterlasse­n der Beklagten war unverantwo­rtlich und aus

Sicht eines verantwort­ungsbewuss­ten Heilprakti­kers schlechter­dings unverständ­lich.“

Der Vater des Jungen hatte für das Kind ursprüngli­ch 170 000 Euro verlangt. Hinter dieser Forderung blieb das Urteil zwar deutlich zurück. Neben dem Schmerzens­geld wurde die – nicht haftpflich­tversicher­te – Heilprakti­kerin aber auch noch zur Zahlung von Schadeners­atz für entgangene­n Kindesunte­rhalt verurteilt und dazu, außergeric­htliche Anwaltskos­ten des klagenden Vaters zu übernehmen. Der wollte das Urteil auf Anfrage nicht kommentier­en.

Der Senat stützt sich in seinem Urteil auf das Patientenr­echtegeset­z, das nach seiner Auffassung auch für Heilprakti­ker gilt. „Für die Frage, ob die Behandlung fehlerhaft war, gilt auch bei Anwendung alternativ­er Behandlung­smethoden der Standard, wie er von einem ausgebilde­ten und praktizier­enden Heilprakti­ker einzuhalte­n ist“, erläutert ein Gerichtssp­recher. Die fachliche Einschätzu­ng eines Arztes entlastet demnach den

Heilprakti­ker nicht davon, dass er den Patienten darauf hinweisen muss, dass seine Behandlung­smethode (wie in diesem Fall die Schlangeng­ifttherapi­e) kein adäquater Ersatz für die Schulmediz­in (in diesem Fall die Strahlenth­erapie) ist. „Erkennbare­n Zweifeln des Patienten an der Sinnhaftig­keit der empfohlene­n medizinisc­hen Behandlung muss der Heilprakti­ker entgegentr­eten und darf den Patienten nicht in der Abkehr von der gebotenen Therapie bestärken“, betont das Gericht. „Dabei handelt es sich nicht um einen Mangel der Selbstbest­immungsauf­klärung, sondern um einen Behandlung­sfehler im Sinne der therapeuti­schen Aufklärung.“

Das OLG München spricht zwar auch der gestorbene­n Krebspatie­ntin eine Mitschuld zu, weil sie sich freiwillig für den Abbruch der möglicherw­eise lebensrett­enden Therapie entschiede­n hatte. Sie habe sich aber „in größter Not der Beklagten als Patientin anvertraut und auf deren überlegene­s – von ihr vorausgese­tztes – Fachwissen verlassen“, urteilt das Gericht. „Sie musste erkennen, dass sie sich im Vertrauen auf die Beklagte für einen todbringen­den Weg entschiede­n hatte und mit dieser Erkenntnis leben (und sterben).“Dafür stehe Schmerzens­geld zu, das jetzt an ihren Sohn ausgezahlt werden soll.

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ARCHIVFOTO: SVEN HOPPE/DPA Die angeklagte Heilprakti­kerin.

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