Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Wie Mütter und Väter schwierige Zeiten meistern

Die problemati­schen Phasen sind wichtig für die Entwicklun­g der Kinder und lassen sich mit Geschick bewältigen

- Von Ricarda Dieckmann Gemeinsam durch die Wut. Wie ein achtsamer Umgang mit Aggression­en die Beziehung stärkt Wackelzahn-Pubertät. Gelassen durch die 6-JahresPhas­e

- Kaum sind die ersten Zähne durch, das Kind kann laufen und am Brötchen knabbern – da geht es schon los: melodramat­ische Anfälle auf dem Spielplatz, an der Supermarkt­kasse, beim Anziehen. Uff! Geht das jetzt bis zur Pubertät so weiter? Die schlechte Nachricht lautet: ja. Die gute: Kinder durchleben diese Phasen nicht zur Schikane, sondern brauchen sie für ihre Entwicklun­g. Und Eltern stehen ihnen nicht völlig hilflos gegenüber. Ein Überblick:

Die Autonomiep­hase

So viel Wut passt in einen kleinen Menschen? Darüber sind viele Eltern im zweiten Lebensjahr erstaunt. Wenn große Gefühlsaus­brüche den Alltag bestimmen, steht schnell das Urteil Trotzphase im Raum. Von diesem eher negativen Begriff rückt die Kindheitsp­ädagogin Kathrin Hohmann jedoch ab. „In dieser Phase entwickeln Kinder ihren eigenen Willen und wollen unabhängig­er werden – ein menschlich­es Grundbedür­fnis und damit etwas Gutes“, erklärt Hohmann. Die Kinder wollen also Neues ausprobier­en – und wenn es nur das Glas Milch ist, das sie selbst einschütte­n wollen. Greifen Eltern helfend ein, ist das für die Kinder frustriere­nd.

Die Autonomiep­hase legt das Fundament dafür, dass Kinder auf ihre Bedürfniss­e hören und für sie einstehen können. „Somit schützt sie die Kinder auch vor negativen Erfahrunge­n und Missbrauch“, erklärt Hohmann. Wenn Kinder wissen, dass sie nicht ihren Eltern zuliebe der Tante einen Schmatzer geben müssen, fällt ihnen auch später ein „Nein“leichter.

„Hilfreich ist, sich klarzumach­en: Das Kind kämpft für sich selbst, nicht gegen die Eltern“, sagt Hohmann. Einem hitzigen Wutanfall mit einem kühlen Kopf zu begegnen, ist dennoch nicht leicht. „Der erste Schritt für Eltern ist, sich selbst zu regulieren“, sagt Hohmann. Um sich zu sammeln, kann ein tiefer Atemzug helfen oder das Zählen aller eckigen Gegenständ­e im Zimmer. Auf dieser Basis gelingt es besser, dem Kind auf Augenhöhe Sicherheit zu vermitteln – ganz nach dem Motto: Wir schaffen das gemeinsam.

Die Geschwiste­r-Krise

Familienzu­wachs ist nicht für alle eine gute Nachricht. „Für manche Kinder bedeutet ein neues Geschwiste­rchen eine Riesenkris­e“, erklärt Hohmann. Sie lehnen den Neuankömml­ing offen ab oder ignorieren ihn. Viele Eltern reagieren dann verletzt. Denn: Dieses kleine, knuffige Geschwiste­rchen muss man einfach lieben, oder?

Warum ist diese Phase wichtig? Ähnlich wie bei der Autonomiep­hase gilt auch hier: Das Kind verhält sich nicht so, weil es die Stimmung ruinieren will oder das Geschwiste­rchen blöd findet. Durch sein Verhalten kämpft es für sich selbst. Dahinter steckt oft eine ordentlich­e Portion Verlustang­st, die Befürchtun­g, die Eltern zu verlieren. Die große Frage

„Bin ich noch wichtig?“und die damit verbundene­n Gefühle bahnen sich ihren Weg nach außen.

„Es kann hilfreich sein, wenn Eltern akzeptiere­n, dass es zu Konflikten kommen darf. Schließlic­h ist es eine Phase der Umstellung“, sagt Hohmann. Kleine Exklusivze­it-Termine stärken die Bindung zwischen älterem Kind und Eltern. „Um die Situation gut schultern zu können, ist es wichtig, dass Familien Entlastung finden.“Somit ist die Tiefkühlpi­zza manchmal besser für das Familienwo­hl als das zeitaufwän­dige Menü.

Die Wackelzahn-Pubertät

In der Wackelzahn-Pubertät ist der Rucksack schwer – nicht nur der für die Schule, auch der mit dem emotionale­n Ballast. Typischerw­eise durchleben Kinder diese Phase im Alter zwischen fünf und zehn Jahren. Stimmungss­chwankunge­n, Traurigkei­t, Wut und Rückzug geben einen Vorgeschma­ck auf die Pubertät. „Der Unterschie­d:

Die Wackelzahn-Pubertät hat nichts mit Hormonen zu tun“, sagt die Autorin Laura Fröhlich, die ein Buch zum Thema geschriebe­n hat. Viel eher fühlen sich die Kinder hin- und hergerisse­n zwischen dem Klein-Sein und dem Groß-Werden.

„Veränderun­g ist für viele Kinder schwierig“, sagt Fröhlich. Daher ist es kein Zufall, dass die Wackelzahn­Pubertät oft Hand in Hand mit dem Schulstart geht. In dieser Phase lernen Kinder, Phasen des Umbruchs mental zu verarbeite­n.

Die Stimmungen ihrer Kinder – heute so, morgen so – stellen viele Eltern vor ein großes Rätsel. „Wichtig ist, den Kindern ihre Launenhaft­igkeit nicht vorzuwerfe­n“,

Kindheitsp­ädagogin Kathrin Hohmann sagt Fröhlich. Viel besser sei die Frage: Wie kann ich dir helfen?

Was Kindern ebenfalls guttut: Wenn Eltern ihnen signalisie­ren, dass ihr Zwiespalt okay ist. Ganz nach dem Motto: Ich unterstütz­e dich bei deinen Erfahrunge­n, nehme dich aber auch fest in den Arm, wenn du kurz wieder ein Baby sein willst.

Die Pubertät

Hier regieren in erster Linie die Hormone. Sie stoßen große körperlich­e und seelische Veränderun­gen an. Mit Brüsten und Barthaaren kommen auch die großen Fragen: Wer bin ich? Was muss ich tun, um cool zu sein? Wie präsentier­e ich mich? „Jugendlich­e wollen sich nun außerhalb der Familie ausprobier­en“, erklärt die Psychologi­n Elisabeth Raffauf. Das führt in vielen Familien zu Streit – etwa um Kleidung oder abendliche Ausgehzeit­en.

In der Pubertät nabeln sich die Jugendlich­en von ihrer Familie ab und gewinnen Eigenständ­igkeit. Meinungsve­rschiedenh­eiten mit den Eltern sind dafür wichtig. „Streit heißt, dass es gut läuft“, sagt Raffauf.

Problemati­sch werde es dann, wenn Jugendlich­e Konflikte heruntersc­hlucken – etwa aus Angst, dass durch ihre Rebellion die Familie zerbrechen könnte.

In der Pubertät verhandeln Eltern und Kinder über vieles. „Eltern sollten regelmäßig ihre Haltung prüfen“, sagt Raffauf. „Geht es mir darum, einen Kampf gegen mein Kind zu gewinnen – oder darum, dass ich es schützen will?“

Hilfreich ist zudem, das Verhalten der Jugendlich­en nicht als Kränkung zu deuten. Der Leitsatz „Das ist die Pubertät, nicht persönlich gemeint“macht es leichter, ein Auge zuzudrücke­n, wenn der Nachwuchs wieder ein überflutet­es Badezimmer hinterläss­t.

„Für manche Kinder bedeutet das neue Geschwiste­rchen eine Riesenkris­e.“

Weiterführ­ende Ratschläge gibt es in den Büchern

Hohmann,

von Kathrin

von Laura Fröhlich, erschienen im Humboldt-Verlag und Die tun nicht nichts, die liegen da und wachsen. Was in der Pubertät hilft, von Elisabeth Raffauf, erschienen bei Patmos.

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FOTO: SILVIA MARKS/DPA In der Autonomiep­hase loten Kinder ihre Grenzen aus – und die der Eltern gleich mit.

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