Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Riesenärger um Gelbe Säcke
Eine Mehrheit im Kreistag könnte die lang ersehnte Systemumstellung verhindern
- Es sieht so aus, als könnte der Verpackungsmüll der Einwohner im Kreis Ravensburg ab 2022 daheim abgeholt werden – wie im Rest der Republik. Der Landkreis hat sich nach langem Rechtsstreit mit dem Dualen System darauf geeinigt, dass ab kommendem Jahr im zweiwöchentlichen Rhythmus gelbe Tonnen entleert werden – vorausgesetzt, der Kreistag stimmt dem am kommenden Dienstag zu. Überraschend scheint es jetzt im Gremium aber starken Widerstand gegen die Systemumstellung zu geben. In einer nicht öffentlichen Abstimmung des Ausschusses für Umwelt und Mobilität (AUM) soll nach SZ-Informationen eine knappe Mehrheit dafür gewesen zu sein, alles so zu belassen, wie es jetzt ist. Zwar ist dieser Beschluss nicht bindend, aber er beunruhigt diejenigen, die jahrelang für mehr Bürgerservice gekämpft haben.
Ein Rückblick: Als Landrat Harald Sievers im Juni 2015 nach Ravensburg kam, fand er hier alles schön: Landschaft, Leute, Lebensqualität. Alles bis auf eins: die Müllabfuhr. Wie viele Zugezogene aus anderen Landkreisen Deutschlands konnte er nicht verstehen, dass Woche für Woche jeder Bürger – sogar Gehbehinderte und Senioren – den Gelben Sack selbst zu einem der Wertstoffhöfe oder zur rollenden Wertstofftonne karren muss – und beschloss, das im Rahmen von mehr Bürgerfreundlichkeit und Service zu ändern.
Nach einem Grundsatzbeschluss des Kreistages im Jahr 2018, vom Bringsystem auf ein Holsystem umzustellen, nahm der für Abfallentsorgung zuständige Kreisdezernent Franz Baur anstrengende Verhandlungen mit der Landbell AG auf, dem zuständigen Vertreter des Dualen Systems Deutschland. Dort stieß er zunächst auf Granit, weil der „Ravensburger Weg“(Raweg) für die Recycler billiger ist. Schließlich sparen die Unternehmer dadurch Personal, Fahrzeuge und Diesel, dass der Bürger einmal die Woche oder alle zwei Wochen selber zum Müllkutscher wird. Zwischenzeitlich waren die Verhandlungen so festgefahren und die Positionen so unversöhnlich, dass der Fall vor Gericht landete. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen neigte dabei in einer Eilentscheidung dazu, den Versorgungsunternehmen recht zu geben, dass der Kreis eine solche Systemumstellung nicht einfach per Rahmenvorgabe einseitig verfügen dürfe. Knackpunkte waren dabei auch zahlreiche teure Sonderwünsche des Landkreises, etwa die parallele Möglichkeit, weiterhin Wertstoffhöfe in einigen Kommunen zu betreiben, und vor allem die angestrebte Umsetzung des „Biberacher Modells“, das eine gemeinsame Nutzung der Papiertonne vorgesehen hätte und somit eine Vermischung der Privatwirtschaft mit dem öffentlich-rechtlichen Abfallsystem, die gesetzlich so gar nicht vorgesehen ist.
Daraufhin verhandelte Baur weiter hinter den Kulissen, denn im April müssen die neuen Verträge für den Zeitraum von 2022 bis 2024 unter Dach und Fach sein, sonst gilt der Status quo für mindestens drei weitere Jahre. Diesmal mit Erfolg. Die Landbell AG bot zwei Varianten an. Variante 1, die die Kreisverwaltung favorisiert, sieht die Einführung einer gelben Wertstofftonne mit 240 Liter Fassungsvolumen vor, die zweimal monatlich entleert wird. Es ist sogar grundsätzlich möglich, in Innenstadtbezirken in zusammenhängenden Sammelbezirken auch auf die kleinere 120-Liter-Tonne oder die Sacksammlung umzustellen, sofern die Gegebenheiten der Gebäude das Aufstellen der Standardtonne mit 240 Liter nicht zulassen, also zum Beispiel
in dicht besiedelten Gebieten mit vielen Mehrfamilienhäusern. Im Gegenzug werden aber die Wertstoffhöfe und rollenden Wertstoffkisten abgeschafft. Nur die Entsorgungszentren in Ravensburg-Gutenfurt und Wangen-Obermooweiler werden für die Anlieferung zwischendurch offen gehalten. Variante 2 hält am Bringsystem fest – mit geringfügigen Verbesserungen, nämlich häufigeren Besuchen der rollenden Wertstoffkiste in manchen Stadtvierteln oder Gemeinden.
Die Kreisverwaltung empfiehlt in ihrer Sitzungsvorlage für kommenden Dienstag klar Variante 1. Insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, (durch Alter, Behinderung oder fehlendem Auto) würden sonst weiterhin hohe Hürden aufgebaut. Viele werfen ihren Verpackungsmüll daher einfach in die Restmülltonne. Auch die beiden kommunalen Behindertenbeauftragten im Kreis, Selda Arslantekin und Jürgen Malcher, haben sich dementsprechend geäußert. „Für viele Menschen mit eingeschränkter Mobilität ist es nur sehr schwer möglich, ihren Raweg-Sack zur Sammelstelle zu bringen. Insbesondere dann, wenn niemand unterstützen kann. Wenn künftig der Verpackungsmüll abgeholt wird, trägt das auch zur Selbstständigkeit der Menschen mit Handicap bei“, schreiben sie in einer Stellungnahme.
Das deutliche Mehr an Service kostet noch nicht einmal viel. Abfalldezernent Baur, der zugleich Kreiskämmerer ist, rechnet mit fünf bis zehn Euro – pro Jahr.
Dennoch gibt es massiven Widerstand, der in der nicht öffentlichen Sitzung des Kreistagsausschusses für Umwelt und Mobilität (AUM) offenbar wurde, als bei einer Abstimmung eine kappe Mehrheit dem Vernehmen nach für Variante 2 votiert hatte. Diese Kreisräte sollen hauptsächlich aus Reihen der Freien Wähler, SPD, ÖDP und der Grünen stammen. Ihr Hautargument: Wer seinen Verpackungsmüll selbst wegbringen muss, produziert vielleicht weniger, sodass das Bringsystem zur Müllvermeidung beiträgt. Mittlerweile liegt auch ein fraktionsübergreifender Antrag vor, am bisherigen System „mit Verbesserungen“festzuhalten.
Auch der Wangener Gemeinderat hat sich in einer Diskussion mehrheitlich für das alte System ausgesprochen. Bei nur drei Gegenstimmen und vier Enthaltungen sprachen sich die Räte für die Beibehaltung des Bringsystems aus. Diese Entscheidung ist allerdings nicht bindend, sondern nur eine Empfehlung an den Kreistag – genauso wie die Vorberatung im AUM. Der Wangener Oberbürgermeister Michael Lang, der auch für die Freien Wähler im Kreistag sitzt, meinte beispielsweise: „Das System bisher war nicht so schlecht.“Auch weil die Wertstoffqualität in den Säcken gut sei. Eine Tonne verlocke eher zur Entsorgung von Dingen, die dort nicht hinein gehörten.
Völlig fassungslos über diese Argumentation ist hingegen der Ravensburger Oberbürgermeister Daniel Rapp (CDU), der die Umstellung aus ökologischen und wirtschaftlichen sowie sozialen Gründen schon seit Jahren für überfällig hält: „Dass die Säcke abgeholt werden, ist überall in Deutschland Standard – und das zurecht. Es ist nicht nur ein bürgerfreundlicher, komfortabler Service, der auch sozial geboten ist für die vielen älteren Menschen oder Menschen mit Behinderung. Es ist vor allem auch viel klimaschonender, als wenn jeder einzeln seinen Sack mit seinem Auto herumfährt.“Überdies finanziere jeder Kreisbewohner diesen deutschlandweiten Service über den „Grünen Punkt“seit Jahrzehnten mit – freilich ohne Gegenleistung.
Am kommenden Dienstag,
30. März, trifft der Kreistag seine endgültige Entscheidung. Die Sitzung findet trotz Corona-Pandemie in der Festhalle Schlier-Wetzisreute statt und beginnt um 14.30 Uhr.