Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Am Ende hilft die Flut
Die „Ever Given“im Suez-Kanal ist wieder frei – Verbraucher werden Folgen noch lange spüren
- Und sie bewegt sich doch. Nachdem die internationale Handelsschifffahrt sich fast eine Woche nur um die havarierte „Ever Given“gedreht hat, bewegt sich der Frachter nun wieder. In den vergangenen Tagen hatten Bagger und schwimmende Kräne, die neben dem Koloss wie Spielzeuge wirkten, tonnenweise Sand weggeschaufelt. Am Montag half die einsetzende Flut auf natürliche Weise, den gestrandeten Koloss wieder freizuspülen.
Seit vergangenem Dienstag blockierte die „Ever Given“den Suezkanal – und damit eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt. Dass nun Bewegung in die Sache gekommen ist, feierten am frühen Montagmorgen die im Stau wartenden Schiffe im Suezkanal mit einem donnernden Konzert ihrer Schiffshörner. In ihrem Widerhall atmet auch die Schiffsfrachtbranche auf.
Allerdings werden die Folgen des Stillstandes – auch wenn der Stau sich in den kommenden Tagen langsam auflöst – in nächster Zeit noch zu spüren sein. „Ich gehe davon aus, dass wir die Nachwirkungen noch einige Wochen spüren werden“, sagt Vincent Stamer, Handelsexperte im Kieler Institut für Weltwirtschaft. „Der Stau ist extrem lang. Es dauert mindestens eine Woche, bis die Schiffe wieder den Hamburger Hafen erreichen oder andere Häfen in Nordeuropa.“Denn laut Nachrichtenagenturen stauen sich rund 450 Schiffe im Kanal. Hinzu kommen noch einmal 370 Frachter, die an den jeweiligen Einfahrten des Kanals im Roten Meer und Mittelmeer warten.
Schon jetzt ist abzusehen, dass die Havarie im Suezkanal zu Folgestaus führen wird. Denn wenn sich der Pfropfen nun löst und der Stau sich auflöst, wird das zu einer Welle von Schiffen führen, die dann die Zielhäfen quasi überrollen. In den Häfen aber sind die Mittel begrenzt: Es wird schlicht an Platz und Personal fehlen, um die Schiffe rasch abzufertigen. An manchen Häfen in den USA beispielsweise mussten Schiffe bereits in den vergangenen Monaten tagelang warten, bis sie sich ihrer Fracht entledigen oder neue aufnehmen konnten.
Denn schon vor der Blockade standen viele Häfen der Welt mächtig unter Druck. Zunächst hatte die Pandemie zu einem Einbruch im internationalen Frachtverkehr geführt. Also haben Reedereien und andere Logistikunternehmen Kapazitäten abgebaut. Rasch aber ist nun die Nachfrage nach Produkten weltweit wieder gestiegen. Denn mit den Impfungen haben sich die Perspektiven aufgehellt, und die Produktion hat in vielen Ländern wieder angezogen. Und da die Menschen vielen sonstigen Beschäftigungen und Aktivitäten nicht oder nur noch sehr eingeschränkt nachkommen können, geben sie zudem vergleichsweise viel Geld für Konsumartikel aus, die sie über das Internet aus aller Welt bestellen können. Aus diesem Grund sind beispielsweise die Preise für Container in den vergangenen Monaten stark gestiegen – hohe Nachfrage traf auf wenig Angebot. „Das Ganze führt nicht zu leeren Regalen, aber zu Preissteigerungen“, prognostiziert der Volkswirt Andreas Scheuerle von der Deka Bank. „Und das ist schon unangenehm, denn im
Moment gibt es ja ohnehin Inflationssorgen an den Kapitalmärkten.“
Große Teile der bestellten Artikel kommen eben aus Fabriken in Asien oder China: Corona-Tests, Möbel, Elektronikgeräte, Kleidung, Autoteile, Kinderspielzeug, Plüschtiere – Unmengen von ihnen schippern derzeit auf den Weltmeeren herum, wenn sie nicht gerade in einem Stau im Suezkanal stecken. „Fast alles, was auf dem Seeweg zwischen Europa und Asien transportiert wird, passiert auch den Suezkanal“, bringt Vincent Stamer die Lage auf den Punkt. Seinen Berechnungen zufolge passieren 98 Prozent von und nach Asien die knapp 200 Kilometer kurze Verbindung zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer.
Jedenfalls bleiben nun viele Reedereien auf den Zusatzkosten sitzen, die die Blockade des SuezkanalStaus bei ihnen verursacht hat. Zwar dürfte die „Ever Given“gegen Schäden in Folge eines Unfalls versichert sein. Versicherungen aber für solche Verzögerungen für die übrigen Stauteilnehmer gebe es nicht, mutmaßt der Deutsche Reedereiverband.
Mehrkosten sind nicht nur für die Reeder entstanden, deren Auslieferungen sich aufgrund des Staus verzögert haben und die nun in der Terminplanung zurückgeworfen sind. Sondern einige Unternehmen haben ihre Flotten auch umgelenkt und über die Route vorbei am Kap der Guten Hoffnung in Afrika geschickt. Nur ist die rund 6000 Kilometer länger. Und das bedeutet pro Schiff 200 000 bis 300 000 Euro Mehrkosten. Zwar fällt die Maut für den Suezkanal dann weg – sie beträgt immerhin rund eine stolze viertel Million Euro im Durchschnitt. Dafür sind die Treibstoffkosten aber umso höher und die Reise umso länger. Je nach Geschwindigkeit beträgt die Reisezeit rund zehn Tage.
Die weltgrößte Container-Reederei Maersk geht davon aus, dass die Suezkanal-Blockade die Handelsschifffahrt noch monatelang beschäftigen könnte. Allein bis alle derzeit wartenden Schiffe den Kanal passiert hätten, würde es mindestens sechs Tage dauern. Damit wären sie aber noch nicht in ihren eigentliche Zielhäfen, geschweige denn, dort abgefertigt.