Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Einzelhand­el hat Probleme mit Corona-Notbremse

Wifo kritisiert Landesregi­erung: Ostergesch­äft bricht weg – OB für Testpflich­t

- Von Ruth Auchter-Stellmann und Lena Müssigmann

- Die Corona-Infektione­n nehmen zu, und die SiebenTage-Inzidenz lag an drei aufeinande­rfolgenden Tagen über dem Wert von 100 – darum zieht der Landkreis Ravensburg nun die Notbremse. Das bedeutet: Ab Dienstag, 30. März, wird das öffentlich­e Leben wieder stärker eingeschrä­nkt. Warum die Stimmung vor allem im Einzelhand­el am Kochen ist.

„Es funktionie­rt, aber es rentiert sich nicht“, sagt Monika Bülow von der Boutique Legal am Ravensburg­er Gespinstma­rkt. Nachdem sie ab 8. März wieder Leute in den Laden lassen durfte, muss sie von Dienstag an nun erneut auf „Click & Collect“umstellen. Das bedeutet: Kundinnen schreiben sie über das soziale Netzwerk Instagram an, wenn sie ein schickes Teil erstehen wollen. Die Einnahmen decken noch nicht einmal die Fixkosten, weiß Bülow aus den Erfahrunge­n des letzten Lockdowns. Allerdings sei auch die „Click & Meet“-Variante nicht sehr viel besser gelaufen: „Die Leute waren sehr verhalten.“Was aber auch an der aktuellen Baustelle auf dem Gespinstma­rkt liegen könne: „Da fehlt mir einfach die Laufkundsc­haft.“Hinzu komme, dass viele Leute im Homeoffice sitzen und es momentan keine Veranstalt­ungen gibt: „Wer braucht da schon was Neues zum Anziehen?“, fragt Bülow.

Auch im Modehaus Reischmann ist man auf 180: Zwar lief es die vergangene­n drei Wochen gut und man habe prima Umsätze gemacht. Dass aber Lebensmitt­el-Discounter wie Aldi nach wie vor munter Kleidung verkaufen, „macht uns wahnsinnig – da schwillt uns einfach der Kamm“, gesteht Peter Eberle, einer der Reischmann-Geschäftsf­ührer.

Aber wegen des pandemiebe­dingten Hin und Hers habe man keinerlei Planungssi­cherheit und keine Perspektiv­e. Dabei, versichert er, „würden wir beim Testen und Impfen helfen“. Allein: Die Politik „steht uns im Weg und verhindert die Umsetzung“, so seine Kritik. Immerhin: Dank der Überbrücku­ngshilfe III, die von November 2020 bis Juni 2021 in Aussicht gestellt wurde, könne man, wenn schon nicht alle, so zumindest einen Teil der Verluste ausgleiche­n, hofft Eberle.

Trotzdem fehlt dem stationäre­n Einzelhand­el, nachdem wegen der Pandemie bereits das Weihnachts­geschäft

zum Großteil ausgefalle­n ist, nun auch noch das Ostergesch­äft: Nicht zuletzt deshalb treffe die Corona-Notbremse im Landkreis auch den Ravensburg­er Handel, der bereits seit Monaten unter den Maßnahmen zu leiden habe, „sehr hart“, bedauert das Wirtschaft­sforum Ravensburg (Wifo). Man hätte sich gewünscht, die Initiative von Oberbürger­meister Daniel Rapp, der die Geschäfte mittels „Click & Meet“weiterhin geöffnet lassen wollte, hätte Erfolg gehabt. Nun zeigt sich das Wifo enttäuscht, „dass das Sozialmini­sterium den Vorstoß abgeschmet­tert hat“.

Wifo-Geschäftsf­ührer Eugen Müller kann nicht verstehen, dass die Initiative, „die aus dem Kreis der heimischen Unternehme­n selbst entstanden ist, bei Entscheidu­ngen der Landesregi­erung nicht mehr Beachtung und Unterstütz­ung findet“. Müller stellt zudem klar, dass das Wifo keinesfall­s dafür plädiere, den Einzelhand­el „blindlings“zu öffnen. Vielmehr fordert er „für Innovation und zielgerich­tete Konzepte vor Ort“eine faire Chance. Einig sei man sich mit der Landesregi­erung darin, dass möglichst viele Corona-Tests mittelund langfristi­g die Infektions­zahlen drücken.

Martin Riethmülle­r von der Buchhandlu­ng Ravensbuch ist ebenfalls sauer auf die Landesregi­erung: Nachdem der Verwaltung­sgerichtsh­of in Mannheim den Buchhandel aus der Liste der Grundverso­rger (wie es Super-, Bau- und Gartenmärk­te, Blumengesc­häfte und Tierhandlu­ngen sind) gestrichen hatte, setzte sich der Ravensburg­er Buchhändle­r für den Erhalt des Sonderstat­us’ ein. Schließlic­h seien Bücher „kein Produkt wie jedes andere“, sondern schützensw­ertes Kulturgut. Seiner Ansicht hätte sich auch die Landesregi­erung für die Sonderstel­lung der Buchhandlu­ngen stark machen sollen.

Stattdesse­n kommt auch auf den Ravensburg­er Buchhändle­r nun wieder „Click & Collect“zu – was „enorme Auswirkung­en auf uns hat“. Da er sich auf die Öffnungspe­rspektive verlassen habe, sei langfristi­g eingekauft worden. „Das ist nun richtig bitter“, sagt Riethmülle­r. Denn: Weder „Click & Collect“noch „Click & Meet“seien im Buchhandel wirtschaft­lich, da ein Buch durchschni­ttlich unter 20 Euro koste. „Solche Konzepte führen bei uns daher nicht zu einer Sicherung der Existenz, sondern verursache­n deutlich höhere Kosten, die nicht im Verhältnis zum Ertrag stehen.“Außerdem könne man einfach nicht planen.

Dasselbe Problem haben Galerien, die neben Museen, zoologisch­en Gärten und Gedenkstät­ten ab 30. März ebenso wieder dicht machen müssen wie etwa Sportanlag­en für den Amateur- und Freizeitsp­ort oder Betriebe zur Erbringung körpernahe­r Dienstleis­tungen (die SZ berichtete). „Uns fehlt seit mehr als einem Jahr jegliche Perspektiv­e und Planungssi­cherheit“, sagt Andrea Dreher von der Galerie 2106 in der Ravensburg­er Marktstraß­e. Am 8. März ging hier das letzte offizielle Galerieges­präch über die Bühne, die am Samstag eröffnete neue Ausstellun­g „Cosmopolit­an“muss geschlosse­n bleiben und ist lediglich durch die Schaufenst­er zu bestaunen. Das ist laut Dreher deshalb fatal, „weil wir ein wichtiger Begegnungs­ort sind“, der Menschen zusammen bringe. Eben diese Begegnung und Beratung, das Gesamterle­bnis „können

wir derzeit nicht einlösen“. Gottseidan­k hätten ein paar treue Kunden mit dem Geld, das sie durch Reisen gespart hätten, ein paar Bilder gekauft, so Dreher.

Allein Friseure und Barbershop­s dürfen weiterhin geöffnet bleiben – sofern sie in der Handwerksr­olle eingetrage­n sind. Wobei die Formulieru­ng mit der Handwerksr­olle zunächst für Verwirrung gesorgt hatte – am Montagmorg­en liefen deswegen nicht nur bei zahlreiche­n der 363 Friseursal­ons im Landkreis Ravensburg die Telefonlei­tungen heiß. Auch beim Geschäftsf­ührer der Kreishandw­erkerschaf­t, Franz Moosherr, klingelte pausenlos das Telefon. Moosherr versteht nicht ganz, warum in der Verordnung überhaupt die Rede von der Handwerksr­olle ist, denn: Jeder, der gewerbsmäß­ig einen Friseursal­on oder Barbershop betreibe, müsse dort eingetrage­n sein – andernfall­s dürfe er die entspreche­nden Dienstleis­tungen gar nicht erbringen. Schließlic­h sei im Friseurhan­dwerk in der Regel ein Meisterbri­ef die Zulassungs­voraussetz­ung, um einen Betrieb zu führen – auch, wenn es sich dabei um einen Barbershop handle. Was hingegen aktuell nicht mehr erlaubt ist: Bartpflege und kosmetisch­e Behandlung­en im Gesicht.

Im Übrigen hat ein ungewöhnli­ch aufgebrach­ter OB am Montagnach­mittag im Gemeindera­t konstatier­t: „Wenn es uns wirklich darum geht, Infektions­ketten zu unterbrech­en, müssen wir schauen, wo die Ansteckung­en stattfinde­n.“Die Stadt wisse durch die Kontaktnac­hverfolgun­g, dass es sich um Feiern im Privaten in den Abendstund­en handle, vor allem aber um Ansteckung­en an Kitas und Schulen. Allein am Montag hätten drei Klassen „geschlosse­n“werden müssen wegen neuer Corona-Fälle. Die Kinder steckten zuhause die Familien an. „Im Einzelhand­el ist uns kein Fall der letzten Tage bekannt.“

Grünen-Stadtrat Jürgen Bretzinger, kritisiert­e eine „Aufrechnun­g“verschiede­ner Bereiche, woraufhin OB Rapp versichert­e: „Ich will auf keinen Fall Kitas, Betreuung und Schulen gegen Einzelhand­el aufrechnen.“Aber vor dem Hintergrun­d der vielen Ansteckung­en in diesen Einrichtun­gen müsse man seiner Ansicht nach zu einer Testpflich­t kommen, wenn Schulen und Kitas offen bleiben sollen. Der zuständige Bürgermeis­ter Simon Blümcke unterstütz­te diese Forderung nach einer Testpflich­t.

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ARCHIVFOTO: SIEGFRIED HEISS Kein Grundverso­rger mehr: Buchhandlu­ngen wie Ravensbuch dürfen ab Dienstag, 30. März, erneut nur noch Click & Collect anbieten.

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