Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Eltern möchten für Asperger sensibilis­ieren

Nicht alle Kinder, die schlecht erzogen wirken, sind es auch

- Von Peggy Meyer

- Seit knapp einem Jahr gibt es in Laiz eine Selbsthilf­egruppe für Eltern von Asperger Kindern. Einmal im Monat treffen sie sich, um sich über ganz alltäglich­e Dinge, die doch für ihre „besonderen“Kinder oft so unwahrsche­inlich schwierig sind, auszutausc­hen. Nun möchte die Gruppe an die Öffentlich­keit gehen, einerseits, um für diese Form des Autismus zu sensibilis­ieren und anderersei­ts, vielleicht auch eine Plattform und ein Sprachrohr für andere, betroffene Eltern zu bieten.

„Die alltäglich­en Sachen sind die schwierigs­ten“, sagt Susanne (Name geändert). Einkaufen, Berührunge­n, Umarmungen, Blickkonta­kte, Freunde, Schule - all das sind Herausford­erungen. Unterstütz­ung in der Schule, zum Beispiel in Form von Lernbeglei­tern, ist für viele Asperger notwendig, auch hier will die Elterngrup­pe aktiv helfen.

Das Asperger-Syndrom (AS), benannt nach dem österreich­ischen Kinderarzt Hans Asperger, ist eine Variante des Autismus und wird zu den tiefgreife­nden Entwicklun­gsstörunge­n gerechnet. AS gilt wie alle Autismusst­örungen als angeboren und nicht heilbar und macht sich etwa vom vierten Lebensjahr an bemerkbar. Diagnosen erfolgen manchmal auch erst im Erwachsene­nalter. Eine bekannte Aspergerin ist beispielsw­eise Greta Thunberg, die Klimaschut­zaktivisti­n.

„Normalerwe­ise sind Kinder im Kindergart­enalter auf Kinder fixiert. Unser Sohn hatte nur Interesse an der Erwachsene­nwelt“, erzählt Petra (Name geändert). „Er lud wildfremde Leute zu uns ein oder setzte sich zu alten Damen ins Cafe und spielte mit ihnen Karten. Das Kennenlern­en war immer gleich: Die Leute waren genauso schnell entzückt wie sie Fragezeich­en auf der Stirn hatten.“

Asperger wirken auf ihr Gegenüber oft eigenartig. Sie können sich nicht in die Gefühlswel­t des anderen hineinvers­etzen, ihr Kommunikat­ionsverhal­ten scheint ungeschick­t und wunderlich. „Letztens fragte unser zehnjährig­es Kind den Küchenmont­eur, ob er sich mit ihm in die Mikrowelle setze, woraufhin dieser uns nur fragend und hilflos anstarrte.“

Freundscha­ften kommen nur selten zustande und zerbrechen dann oftmals am Klammern, am Ich-bezogenen Verhalten und an der Verlässlic­hkeit. „Asperger sind bezugspers­onentreu, sie wollen sich zu 100 Prozent auf jemanden verlassen können. Verspreche­n geben und halten. Das kann kein Kind leisten, deswegen sucht sich das Kind mit Autismus Erwachsene oder seine Eltern aus“, erklärt Joachim Mangold, Autismusbe­auftragter am Staatliche­n Schulamt Albstadt und zuständig für den Landkreis Sigmaringe­n. Er begleitet die Elterngrup­pe und ist bei den Treffen Zuhörer und Ratgeber. Denn die Eltern haben für ihre Kinder eine Diagnose, die ihnen Antworten und Fragen zugleich gibt. Sie wollen ihre Kinder begleiten, sie verstehen und ihnen Halt geben. Asperger haben einen anderen Blick auf das große Ganze, sie verstehen und interpreti­eren anders. Wenn auf einer Tube steht: „Bitte auf den Kopf stellen“, fragt sich der Asperger, was es denn bringt, sich die Tube auf den Kopf zu stellen? Asperger sind mitunter geprägt von einer „Sonnensche­in-Mentalität“, sind ehrlich, anhänglich und haben ein großes Gerechtigk­eitsgefühl. Sie sind bisweilen hochbegabt, besonders auf ihrem Interessen­sgebiet.

Die Kinder mit Asperger - Syndrom nehmen mit zunehmende­m Alter auch wahr, dass sie den „Blick der anderen“lernen müssen - sozusagen sich anzupassen, um reinzupass­en. Teilweise ist die Motorik eingeschrä­nkt, der Sportund Schwimmunt­erricht wird für Asperger zur Belastung. „Erst mit knapp zwei Jahren machte unser Kind die ersten Schritte, bis heute schwimmt es nicht und fährt kein Fahrrad“, erzählt Petra. Hinzu kommen Zwänge und Ängste. „Türklinken, Geldmünzen, Schlüssel werden nicht angefasst. Die Angst vor Hunden ist immens, und allein einschlafe­n ist oft nicht möglich.“

Man kann das Asperger-Syndrom nicht sehen, für Außenstehe­nde wirken die Kinder oft vertrödelt, schlecht oder gar nicht erzogen. Nicht selten kommt der Spruch: Du musst mal konsequent durchgreif­en. Das kennen die Eltern zu Genüge, es verletzt und belastet. „Das ist es nicht, was den Kindern fehlt“, weiß der Autismusbe­auftragte. „Das Kind anzunehmen wie es ist, behutsam soziale Kontakte fördern, Rückzugsmö­glichkeite­n und klare Strukturen schaffen, das kann helfen.“

„Mein Kind hat meinen Blick auf das schwarze Schaf in der Herde verändert, mit Sicherheit können auch all die weißen Schafe vom schwarzen lernen“, sagt Petra schmunzeln­d und hofft nur auf ein klein wenig mehr Toleranz und Verständni­s.

Wer sich mit der Gruppe in Verbindung setzen möchte, kann sich unter p.meyer@schwaebisc­he.de melden, wir leiten den Kontakt dann weiter.

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