Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Schnell und unbürokratisch sieht anders aus“
Wer auf mehreren beruflichen Standbeinen steht, gehört angesichts der Coronahilfen zu den Verlierern
- Teilweise im März noch nicht ausbezahlte Dezemberhilfen, händisch falsch übertragene Bankverbindungen, nervtötende Telefonate und berufliche Konstellationen, bei denen kein Instrument der Coronahilfen von Bund und Land greift. Nach einem Jahr Corona-Pandemie kann die Mengener Steuerberaterin Sonja Bottenbruch viel über bürokratische Hürden und in ihrer Existenz bedrohte Selbstständige und Unternehmen berichten. „Vor allem, wer seinen Lebensunterhalt mit den Einkünften aus mehreren beruflichen Standbeinen bestreitet, fällt oft durch das Raster“, sagt sie.
Matthias Effinger und Bianca Seifert gehören zu dieser Gruppe. Beiden ist durch die Corona-Verordnungen ein Standbein zu 100 Prozent weggerissen worden. Reisen in Länder wie Tadschikistan oder Jordanien, wie sie Matthias Effinger plant und begleitet, können seit über einem Jahr nicht stattfinden. Yogastunden darf Bianca Seifert nicht abhalten, Online-Formate werden kaum angenommen. Während Effinger noch hofft, dass sein Reiseangebot nach der Pandemie wieder auf Interesse stößt und Flugreisen machbar sind, hat Seifert ihr YogaStudio in Hohentengen aufgeben müssen.
Unterstützung vom Staat kam so gut wie keine, obwohl die geltenden Beschränkungen für sie mit einem Berufsausübungsverbot vergleichbar waren. „Wer noch 51 Prozent seines Vorjahreseinkommens - als 2019 - anderweitig erzielte, wird bei den Coronahilfen nicht berücksichtigt“, erklärt Steuerberaterin Sonja Bottenbruch. Es komme wie immer aufs Kleingedruckte an. Ein Konstrukt aus unzähligen Voraussetzungen sei so oft K.O.-Kriterium trotz größter Corona-LockdownBetroffenheit und Notwendigkeit der Hilfe. Weil Seifert halbtags in einer Drogerie arbeitet und Matthias Effinger als Garten- und Landschaftsbauer, sind nicht ihre kompletten Einnahmen weggefallen. „Aber die meisten Menschen, die mehrere Jobs haben, brauchen sie alle in der Summe für ihren Lebensunterhalt, insbesondere wenn sie gleichzeitig auch bei Nichtselbständigkeit in Kurzarbeit geschickt wurden“, so Bottenbruch. Viele Alleinerziehende
fielen in diese Kategorie oder auch Soloselbständige, die in einem kreativen Beruf nicht genug zum Leben verdienen. „Wenn eine Einnahmequelle ausfällt, kann das schnell existenzbedrohend werden“, sagt sie. „Vor allem, wenn jemand keine großen Rücklagen hat.“
Für Matthias Effinger wird in der Öffentlichkeit über solche Schicksale zu wenig geredet. „Politiker behaupten ständig, für alle Hilfen zu stellen und die betrieblich CoronaBetroffenen in gleichem Maße und schnell zu unterstützen. Zur Verbreitung dieser Versprechen und Maßnahmen werden die Medien auf allen Kanälen gerne eingesetzt. All dies vermittelt stets den Eindruck als würde geholfen“, sagt er. „Dass die Realität aber oft eine andere ist, kommt mir dabei zu kurz.“Wenn ein Gastronom die Dezemberhilfe erst im März bekomme, dann aber noch das Kurzabeitergeld der Mitarbeiter abgezogen und das Außer-Haus-Geschäft verrechnet werde, komme ihm das wie ein Hohn vor. „Das können viele Familien
nicht so einfach überbrücken.“Und weil die meisten Menschen dächten, dass sich von 75 Prozent des Vorjahresumsatz gut leben ließe, sei auch die Solidarität und damit das Abholgeschäft gesunken.
Das kann auch die Steuerberaterin aus Gesprächen mit ihren Mandanten bestätigen. Neben der Angst um die Existenz eines Einzelhandelsgeschäfts oder eines Restaurants sei auch die Kommunikation mit den die Förderungen verteilenden Stellen ermüdend und frustrierend. „Bei manchen Hilfsanträgen wurde der Eingang erst nach neun Wochen bestätigt und die Ministeriumsmitarbeiter konnten in der Zwischenzeit trotz etlicher Rückfragen zu keinem Zeitpunkt konkrete Auskunft über den Sachstand geben, oder ob der Antrag tatsächlich eingegangen ist. In einem Fall wurde erst nach elf Anrufen gesagt, ob ein Antrag bearbeitet wurde“, sagt Bottenbruch. Zudem würden Gelder nach Erhalt des Bescheides oft wochenlang nicht überwiesen oder trotz mehrfacher Nachfrage auf ein falsches Konto. „Würde offen kommuniziert werden, dass es massive Verzögerungen gibt, könnten meine Mandanten besser damit umgehen, als ständig zu hoffen und immer wieder zu telefonieren.“
Wie viele Selbständige am Ende auf der Strecke bleiben, würde sich erst nach der Pandemie zeigen. „Viele werden ihre Läden nicht wieder aufsperren können“, vermutet Effinger. „Oder sie haben ihre ganze Altersvorsorge verbraucht.“Er selbst habe vier Jahre lang viel Zeit und Geld investiert, um seine Angebote unter dem Titel „Faszination unterwegs“bekannter zu machen und sich einen Kundenkreis zu erschließen. „Das war jetzt alles umsonst und ich muss nach zwei Jahren - wenn es denn nicht noch länger dauert - wieder fast von vorne beginnen.“
Sonja Bottenbruch würde als Steuerberaterin gern wieder zum Normalprogramm zurückkehren. „Durch Corona habe ich bei meinen bestehenden Mandanten mehr Aufwand, weil ich vor der Antragstellung für Überbrückungs- oder Stabilisierungshilfe immer erst beides durchrechnen muss“, sagt sie. Stelle sie dann nach Stunden fest, dass ein Antrag nicht zulässig ist oder keine Hilfen zu erwarten, tue sie sich schwer damit, diesen Arbeitsaufwand in Rechnung zu stellen. „Zu sehen, wie verzweifelt viele gerade sind, macht mir zu schaffen“, sagt sie. Würde sie einen Antrag stellen, wohl wissend, dass er bestimmte Kriterien nicht erfülle, mache sie sich des Subventionsbetrugs schuldig. „Durchweg alle betroffenen Mandanten würden lieber heute als morgen wieder voll durchstarten, als auf die Almosen des Staates angewiesen zu sein“, ist ihr Eindruck.
„Doch nach wie vor bietet die Politik zu keinem Zeitpunkt Perspektiven“, klagt Matthias Effinger an. „Stattdessen kündet sie aktuell neue zusätzliche Corona-Hilfen an. Wenn ich das lese und höre klingt das für mich wie Märchenstunde. Ich selbst erfahre das Gegenteil und kenne genug andere Selbständige für die die ständig versprochenen Hilfen trotz massivster oder gar kompletter Umsatzeinbrüche doch unerreichbar bleiben. Das ist nur frustrierend.“