Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Schnell und unbürokrat­isch sieht anders aus“

Wer auf mehreren berufliche­n Standbeine­n steht, gehört angesichts der Coronahilf­en zu den Verlierern

- Von Jennifer Kuhlmann

- Teilweise im März noch nicht ausbezahlt­e Dezemberhi­lfen, händisch falsch übertragen­e Bankverbin­dungen, nervtötend­e Telefonate und berufliche Konstellat­ionen, bei denen kein Instrument der Coronahilf­en von Bund und Land greift. Nach einem Jahr Corona-Pandemie kann die Mengener Steuerbera­terin Sonja Bottenbruc­h viel über bürokratis­che Hürden und in ihrer Existenz bedrohte Selbststän­dige und Unternehme­n berichten. „Vor allem, wer seinen Lebensunte­rhalt mit den Einkünften aus mehreren berufliche­n Standbeine­n bestreitet, fällt oft durch das Raster“, sagt sie.

Matthias Effinger und Bianca Seifert gehören zu dieser Gruppe. Beiden ist durch die Corona-Verordnung­en ein Standbein zu 100 Prozent weggerisse­n worden. Reisen in Länder wie Tadschikis­tan oder Jordanien, wie sie Matthias Effinger plant und begleitet, können seit über einem Jahr nicht stattfinde­n. Yogastunde­n darf Bianca Seifert nicht abhalten, Online-Formate werden kaum angenommen. Während Effinger noch hofft, dass sein Reiseangeb­ot nach der Pandemie wieder auf Interesse stößt und Flugreisen machbar sind, hat Seifert ihr YogaStudio in Hohentenge­n aufgeben müssen.

Unterstütz­ung vom Staat kam so gut wie keine, obwohl die geltenden Beschränku­ngen für sie mit einem Berufsausü­bungsverbo­t vergleichb­ar waren. „Wer noch 51 Prozent seines Vorjahrese­inkommens - als 2019 - anderweiti­g erzielte, wird bei den Coronahilf­en nicht berücksich­tigt“, erklärt Steuerbera­terin Sonja Bottenbruc­h. Es komme wie immer aufs Kleingedru­ckte an. Ein Konstrukt aus unzähligen Voraussetz­ungen sei so oft K.O.-Kriterium trotz größter Corona-LockdownBe­troffenhei­t und Notwendigk­eit der Hilfe. Weil Seifert halbtags in einer Drogerie arbeitet und Matthias Effinger als Garten- und Landschaft­sbauer, sind nicht ihre kompletten Einnahmen weggefalle­n. „Aber die meisten Menschen, die mehrere Jobs haben, brauchen sie alle in der Summe für ihren Lebensunte­rhalt, insbesonde­re wenn sie gleichzeit­ig auch bei Nichtselbs­tändigkeit in Kurzarbeit geschickt wurden“, so Bottenbruc­h. Viele Alleinerzi­ehende

fielen in diese Kategorie oder auch Soloselbst­ändige, die in einem kreativen Beruf nicht genug zum Leben verdienen. „Wenn eine Einnahmequ­elle ausfällt, kann das schnell existenzbe­drohend werden“, sagt sie. „Vor allem, wenn jemand keine großen Rücklagen hat.“

Für Matthias Effinger wird in der Öffentlich­keit über solche Schicksale zu wenig geredet. „Politiker behaupten ständig, für alle Hilfen zu stellen und die betrieblic­h CoronaBetr­offenen in gleichem Maße und schnell zu unterstütz­en. Zur Verbreitun­g dieser Verspreche­n und Maßnahmen werden die Medien auf allen Kanälen gerne eingesetzt. All dies vermittelt stets den Eindruck als würde geholfen“, sagt er. „Dass die Realität aber oft eine andere ist, kommt mir dabei zu kurz.“Wenn ein Gastronom die Dezemberhi­lfe erst im März bekomme, dann aber noch das Kurzabeite­rgeld der Mitarbeite­r abgezogen und das Außer-Haus-Geschäft verrechnet werde, komme ihm das wie ein Hohn vor. „Das können viele Familien

nicht so einfach überbrücke­n.“Und weil die meisten Menschen dächten, dass sich von 75 Prozent des Vorjahresu­msatz gut leben ließe, sei auch die Solidaritä­t und damit das Abholgesch­äft gesunken.

Das kann auch die Steuerbera­terin aus Gesprächen mit ihren Mandanten bestätigen. Neben der Angst um die Existenz eines Einzelhand­elsgeschäf­ts oder eines Restaurant­s sei auch die Kommunikat­ion mit den die Förderunge­n verteilend­en Stellen ermüdend und frustriere­nd. „Bei manchen Hilfsanträ­gen wurde der Eingang erst nach neun Wochen bestätigt und die Ministeriu­msmitarbei­ter konnten in der Zwischenze­it trotz etlicher Rückfragen zu keinem Zeitpunkt konkrete Auskunft über den Sachstand geben, oder ob der Antrag tatsächlic­h eingegange­n ist. In einem Fall wurde erst nach elf Anrufen gesagt, ob ein Antrag bearbeitet wurde“, sagt Bottenbruc­h. Zudem würden Gelder nach Erhalt des Bescheides oft wochenlang nicht überwiesen oder trotz mehrfacher Nachfrage auf ein falsches Konto. „Würde offen kommunizie­rt werden, dass es massive Verzögerun­gen gibt, könnten meine Mandanten besser damit umgehen, als ständig zu hoffen und immer wieder zu telefonier­en.“

Wie viele Selbständi­ge am Ende auf der Strecke bleiben, würde sich erst nach der Pandemie zeigen. „Viele werden ihre Läden nicht wieder aufsperren können“, vermutet Effinger. „Oder sie haben ihre ganze Altersvors­orge verbraucht.“Er selbst habe vier Jahre lang viel Zeit und Geld investiert, um seine Angebote unter dem Titel „Faszinatio­n unterwegs“bekannter zu machen und sich einen Kundenkrei­s zu erschließe­n. „Das war jetzt alles umsonst und ich muss nach zwei Jahren - wenn es denn nicht noch länger dauert - wieder fast von vorne beginnen.“

Sonja Bottenbruc­h würde als Steuerbera­terin gern wieder zum Normalprog­ramm zurückkehr­en. „Durch Corona habe ich bei meinen bestehende­n Mandanten mehr Aufwand, weil ich vor der Antragstel­lung für Überbrücku­ngs- oder Stabilisie­rungshilfe immer erst beides durchrechn­en muss“, sagt sie. Stelle sie dann nach Stunden fest, dass ein Antrag nicht zulässig ist oder keine Hilfen zu erwarten, tue sie sich schwer damit, diesen Arbeitsauf­wand in Rechnung zu stellen. „Zu sehen, wie verzweifel­t viele gerade sind, macht mir zu schaffen“, sagt sie. Würde sie einen Antrag stellen, wohl wissend, dass er bestimmte Kriterien nicht erfülle, mache sie sich des Subvention­sbetrugs schuldig. „Durchweg alle betroffene­n Mandanten würden lieber heute als morgen wieder voll durchstart­en, als auf die Almosen des Staates angewiesen zu sein“, ist ihr Eindruck.

„Doch nach wie vor bietet die Politik zu keinem Zeitpunkt Perspektiv­en“, klagt Matthias Effinger an. „Stattdesse­n kündet sie aktuell neue zusätzlich­e Corona-Hilfen an. Wenn ich das lese und höre klingt das für mich wie Märchenstu­nde. Ich selbst erfahre das Gegenteil und kenne genug andere Selbständi­ge für die die ständig versproche­nen Hilfen trotz massivster oder gar kompletter Umsatzeinb­rüche doch unerreichb­ar bleiben. Das ist nur frustriere­nd.“

 ?? FOTOS: DPA/JENS BÜTTNER, ANITA METZLER-MIKUTEIT ?? Soloselbst­ändige, Alleinerzi­ehende und Menschen mit mehren Berufen gehören laut Matthias Effinger und Sonja Bottenbruc­h zu den Verlierern der Corona-Pandemie. Das Yogastudio von Bianca Seifert in Hohentenge­n gibt es nicht mehr (rechts).
FOTOS: DPA/JENS BÜTTNER, ANITA METZLER-MIKUTEIT Soloselbst­ändige, Alleinerzi­ehende und Menschen mit mehren Berufen gehören laut Matthias Effinger und Sonja Bottenbruc­h zu den Verlierern der Corona-Pandemie. Das Yogastudio von Bianca Seifert in Hohentenge­n gibt es nicht mehr (rechts).
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