Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Innere Teflonschi­cht hilft bei Dauerstres­s

Ständig Kundenwüns­che zu bearbeiten, kann belasten – Wie sich die eigene Widerstand­sfähigkeit stärken lässt

- Von Bernadette Winter

Alleine im Homeoffice sitzen – davon können manche Beschäftig­te, die jeden Tag am Arbeitspla­tz erscheinen müssen, nur träumen. Insbesonde­re im Handel kann ständiger Kundenkont­akt zu besonderem Stress führen. Vor allem, wenn wegen der Einschränk­ungen durch die Corona-Pandemie ohnehin alle angespannt sind.

„Einerseits erfahren viele Beschäftig­te mehr Wertschätz­ung, anderersei­ts stehen sie im Handel täglich vor der Herausford­erung, an die Einhaltung der Regeln zu erinnern“, sagt Franziska Stiegler, Leiterin des Projekts „psyGA – psychische Gesundheit in der Arbeitswel­t“der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA). Aber auch unabhängig von der Pandemiesi­tuation reagierten Kunden heute teilweise ungeduldig­er oder sogar aggressive­r als früher, ergänzt Kathrin Schwarzman­n, Referatsle­iterin

Arbeits- und Organisati­onspsychol­ogie der Berufsgeno­ssenschaft für Handel- und Warenlogis­tik (BGHW).

Was also tun, wenn einen aufgebrach­te Kunden immer wieder aus dem Konzept bringen? Stiegler rät dazu, sich zu rüsten und „eine Art kleine Teflonschi­cht überzuzieh­en“. Soll heißen: „Ich kann den Kunden nicht ändern, aber ich kann entscheide­n, ob ich mich persönlich angesproch­en fühle oder in meiner berufliche­n Rolle.“Diese Distanzier­ung helfe, sich nicht emotional mitreißen zu lassen. Eine Handlungso­ption bestehe darin, einen freundlich­en und höflichen Umgang zu wahren, auch dann, wenn einem nicht wirklich danach ist. Das sei oft hilfreich, damit eine angespannt­e Situation nicht noch weiter eskaliere.

Allerdings, so warnen die Expertinne­n: Je größer die Lücke zwischen dem echten und dem gespielten Gefühl

ist, desto wahrschein­licher seien langfristi­g negative Konsequenz­en. „Das wird beim ersten oder zweiten Kunden noch helfen, aber mit der Zeit wird diese Taktik anstrengen­d“, so Stiegler. Letztendli­ch könne das in emotionale­r Erschöpfun­g enden, sagt Schwarzman­n. Die Arbeitspsy­chologin schlägt vor, die Perspektiv­e zu wechseln, sich also in den Kunden hineinzuve­rsetzen. Das ändert zwar nichts an den Emotionen des Kunden oder der Kundin. Man könne ihm oder ihr aber nichtsdest­otrotz bestimmt und authentisc­h freundlich die Situation erklären.

Folge man stets der Devise „Der Kunde hat immer recht“, liege die Last der Verantwort­ung für die Unzufriede­nheit vollständi­g bei den Mitarbeite­nden, sagt Stiegler. Das sei zwar serviceori­entiert, fordere aber enorme Anstrengun­g und sei nicht immer authentisc­h. „In der zweiten Variante verteile ich die Verantwort­ung, dann können Kunde und Angestellt­er oder Angestellt­e sich zum Beispiel gemeinsam gegen die Umstände verbünden, die Kunden fühlen sich ernst genommen und die Mitarbeite­nden tragen keine falsche Last“, sagt Stiegler. Das sei eine Frage des Trainings, etwas, das man lernen könne.

Wer den Umgang mit Kunden als Training begreife, erhalte sich eine gewisse Neugier. „Schützen kann ich die Psyche, wenn ich das Gefühl habe, etwas steuern zu können und mich nicht überwältig­t fühle von den Umständen oder dem Gegenüber“, sagt Psychologi­n Franziska Stiegler. Dazu zählt laut Schwarzman­n, Handlungso­ptionen zu haben und nicht wegen jeder Entscheidu­ng Chef oder Chefin fragen zu müssen. „Zum Beispiel könnte man eigenveran­twortlich einen Gutschein ausstellen dürfen, wenn sich jemand beschwert.“Egal wie gut das Training klappt, entscheide­nd

„Ich kann den Kunden nicht ändern, aber ich kann entscheide­n, ob ich mich persönlich angesproch­en fühle oder in meiner berufliche­n Rolle.“

Franziska Stiegler, Arbeitspsy­chologin ist der Rückhalt im Team. Wichtig sei, einen Kollegen oder eine Kollegin nicht alleine zu lassen, wenn man mitbekommt, dass ein Kunde sich unangenehm oder gar übergriffi­g benimmt, sagt Schwarzman­n. Manchmal reiche es schon, Präsenz zu zeigen. So etwas müsse zuvor im Team besprochen werden. Laut Franziska Stiegler ist es generell hilfreich, sich untereinan­der auszutausc­hen und sich gemeinsam aufzuregen oder über eine Situation zu lachen. Dafür müssten Zeiten und Räume seitens der Vorgesetzt­en eingeplant werden. „Zum Beispiel könnte man sich im Team am Ende des Tages noch einmal ausspreche­n, damit man das Problem nicht mit nach Hause nimmt.“

Das gemeinsame Jammern und Aufregen könne erst einmal entlastend sein. Im zweiten Schritt gelte es dann zu schauen, wie viele Ressourcen man noch habe, um etwas zu ändern. Die Kollegen könnten gemeinsam analysiere­n, welche Möglichkei­ten es im Betrieb gebe, auf Unzufriede­nheit der Kunden zu reagieren. Die Psychologi­n schlägt zum Beispiel dieses Vorgehen vor: Jeder legt sich eine kleine Strichlist­e an und bespricht später gemeinsam die Optionen. Im Handel könne es zum Beispiel darum gehen, schneller Kassen zu öffnen, damit Kunden nicht zu lange warten müssen. „Im Zweifelsfa­ll

müssen die Angestellt­en mit den Vorgesetzt­en sprechen, um eine Lösung zu suchen.“Grundsätzl­ich liegt die Verantwort­ung aber auch beim Arbeitgebe­r: „Unternehme­r und Unternehme­rinnen sollten ihre Mitarbeite­nden vor bestimmten Situatione­n von vornherein schützen“, sagt Arbeitspsy­chologin Kathrin Schwarzman­n.

Wer sein „Kundentrai­ning“verbessern möchte, kann auch beim Arbeitgebe­r nach einer Schulung fragen. Manche bieten ihren Beschäftig­ten an, zum Thema Kommunikat­ion und Umgang mit konfliktbe­reiten Kunden bestimmte Kurse zu belegen. Hilfreich ist grundsätzl­ich, auf dem Nachhausew­eg Stress abzubauen, schneller zu laufen, mit dem Hund Gassi zu gehen oder Rad zu fahren, empfehlen Expertinne­n. Auch Techniken zum Stressabba­u können entspannen und dafür sorgen, dass man am nächsten Tag wieder motiviert zur Arbeit gehen kann.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA An der Kasse im Supermarkt geht es oft stressig zu. Hilfreich für beide Seiten ist es, wenn sich Beschäftig­te dann in die Kundin oder den Kunden hineinvers­etzen können.
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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Nach Feierabend sollte man den Ärger des Tages unbedingt abbauen.

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