Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Corona-Ausbruch: Sorge um Mutter
Demenzkranke versteht Situation nicht - Forderung nach Lösungen
- David Jocham ist verzweifelt: Seine schwer an Demenz erkrankte Mutter lebt im Pflegeheim Haus St. Martin in Ailingen und ist aufgrund eines positiven Corona-Tests seit Tagen in Quarantäne. Die Umstände könne sie aufgrund ihrer Krankheit nicht verstehen, sagt der Friedrichshafener. Er hat sich seinen Frust bereits am Freitag mit einem Facebook-Video von der Seele geredet, das zum damaligen Zeitpunkt gut 1700 Mal geteilt wurde. Sein Wunsch an die Politik sei, erklärt Jocham, dass es gerade für Härtefälle wie seine Mutter Zwischenlösungen in den Corona-Maßnahmen geben sollte. Der Infektionsschutz gehe über individuelle Bedürfnisse, auch wenn es menschlich sehr schwer falle, so das Landratsamt auf Anfrage von schwäbische.de.
Er, seine Geschwister und der 88jährige Vater würden sich normalerweise mit Besuchen bei der Mutter im Pflegeheim abwechseln. Normalerweise unterstütze die Familie die Pflegekräfte auch, zum Beispiel beim Essen geben, erzählt David Jocham. Doch das sei aufgrund der CoronaPandemie schon seit Monaten nicht mehr möglich. Nun fallen aufgrund eines aktuellen Infektionsausbruchs im Haus St. Martin auch noch die Besuche weg.
Bewohnerinnen und Bewohner sowie acht Mitarbeitende sind positiv auf das Coronavirus getestet worden, bestätigt die Stiftung Liebenau, Träger des Hauses St. Martin. „Die Grundversorgung, Pflege und Essen auf den Zimmern, findet in unserem
Haus der Pflege St. Martin in Ailingen selbstverständlich weiterhin statt. Unser Personal gibt sich die allergrößte Mühe, die momentane Situation für die Bewohnerinnen und Bewohner den Umständen entsprechend so angenehm wie möglich zu gestalten. Begleitende Maßnahmen zur Aktivierung der Bewohnerinnen und Bewohner fallen aktuell leider in der Regel aus“, so ein Sprecher der Stifung Liebenau auf Anfrage.
„Es ist für mich eine unerträgliche Vorstellung, dass meine Mutter isoliert ist und nicht versteht, warum. Diese Situation wühlt mich und meine Familie sehr auf“, erzählt Jocham. Mit der Pflege der Mutter und ihrem Alltag im Haus St. Martin außerhalb von coronabedingten Umständen sei er aber sehr zufrieden, so der Häfler.
„Meine Mutter wird wunderbar gepflegt, bekommt normalerweise im sehr schönen Speiseraum ihre Mahlzeiten und es gibt viel Freizeitgestaltung wie Spiele oder Andachten. Und dazu eigentlich noch unsere
Besuche“, erzählt Jocham. Wenn er seine Mutter besucht, nehme er gerne ihre Gitarre zur Hand, die in ihrem Zimmer stehe, und spiele ein paar Lieder, die sie kennt.
„Gerade bei den Kirchenliedern merkt man, dass sie sie erkennt und emotional berührt ist“, sagt Jocham, Pastor der Seekirche Friedrichshafen. Die Mutter erkenne auch ihn und die Familienmitglieder, könne sie aber nicht mehr richtig zuordnen. Sie sei aber immer voller Freude über die bekannten Gesichter.
Dass sein Facebook-Video, in dem er die Situation beschreibt, inzwischen etwa 20 000 Mal aufgerufen worden sei, habe ihn schon überrascht, sagt der Häfler: „Es trifft wohl gerade den Nerv vieler Menschen.“
Sein Wunsch an die Politik und die ausführenden Gesundheitsämter sei es nun, dass negativ getestete Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner gemeinsam in einer Gruppe in Quarantäne sein dürften. Gleiches wünsche er sich auch für positiv getestete, die aber bereits geimpft sind – so wie seine Mutter.
Grundsätzlich gebe es die Möglichkeit, infizierte Personen gemeinsam in einer sogenannten Kohortenbildung zu isolieren, erklärt Robert Schwarz, Pressesprecher des Bodenseekreises, auf Anfrage. Doch das werde praktisch kaum umgesetzt, da es mit extrem strengen Bedingungen zusammenhänge.
Das Pflegeheim habe entsprechend der Corona-Verordnung alle Maßnahmen ergriffen. Eine zusätzliche Anordnung der Quarantäne durch das Gesundheitsamt sei nicht nötig gewesen und habe es nicht gegeben, so Schwarz.
„Wir nehmen langsam Abschied von ihr, ja. Aber so lange sie noch jeden Tag ihre Augen aufmacht, möchte ich, dass sie ein schönes Leben hat“, so David Jocham über seine Mutter. Das sei durch die Quarantäne aber nicht gewährleistet. „Sie will noch am Leben teilhaben“, ist er sich sicher. Das Robert Koch-Institut hatte vergangene Woche seine Empfehlungen zum Umgang mit geimpften Personen aktualisiert. Das Land Baden-Württemberg trägt dem nun Rechnung und lockert seine Quarantäne-Bestimmungen.
Das Risiko einer Übertragung erscheine „nach gegenwärtigem Kenntnisstand in dem Maß reduziert, dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung wahrscheinlich keine wesentliche Rolle mehr spielen". Die Änderungen sollen noch in dieser Woche ausformuliert werden und dann am kommenden Montag, den 19. April, in Kraft treten.