Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Verteidige­r möchte nicht verteidige­n

Bad Buchauer Messeratta­cke: Prozess am Landgerich­t Ravensburg beginnt kurios

- Von Annette Schwarz

- Mit einem Paukenschl­ag hat am Montag der Prozess um einen 39-jährigen Bad Buchauer am Landgerich­t Ravensburg begonnen. Völlig überrasche­nd stellte Rechtsanwa­lt Wilfried Gaiser den Antrag, von seiner Aufgabe als Pflichtver­teidiger entbunden zu werden. Damit stand der Angeklagte, der sich unter anderem wegen versuchten Totschlags verantwort­en muss, plötzlich ohne Verteidige­r da. Die ursprüngli­ch auf vier Tage angesetzte Verhandlun­g muss nun neu terminiert werden. Bis sie fortgesetz­t wird, könnte es September werden.

Der 39 Jahre alte Angeklagte verbüßt derzeit bereits wegen eines anderen Delikts eine Haftstrafe in der Justizvoll­zugsanstal­t Ravensburg. Nach einer Messeratta­cke, bei der zwei Menschen verletzt wurden, muss er sich nun zudem wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlich­er und vorsätzlic­her Körperverl­etzung verantwort­en.

Den Ausgangspu­nkt nahm die Auseinande­rsetzung am 22. September in einem Supermarkt in der Stadtmitte. Dort traf der 39-jährige Angeklagte gegen 16.10 Uhr auf eine Gruppe junger Männer. Laut Anklagesch­rift kam es zu einem Streit, während dem einer aus der Gruppe, ein 19-Jähriger, zwischen die Kontrahent­en ging. Der Angeklagte soll ihn dann mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben.

Als schließlic­h die zu Hilfe gerufenen Polizeibea­mten vor Ort eintrafen, war der 39-Jährige schon verschwund­en. Eine weitere herbeigeru­fene Streife suchte den polizeibek­annten Mann an seinem Wohnsitz auf, wo sie ihn vor der Haustür antrafen. Er sei deutlich alkoholisi­ert gewesen, so der Staatsanwa­lt weiter, habe aggressiv reagiert und die Polizeibea­mten beleidigt. Außerdem habe er versucht, die Polizisten zu bespucken und sich auch körperlich zur Wehr gesetzt, worauf die Beamten Pfefferspr­ay einsetzen mussten. Körperverl­etzung und der tätliche Angriff auf die Vollstreck­ungsbeamte­n in Tateinheit mit Beleidigun­g sind deshalb als weitere Punkte auf der Anklagesch­rift aufgeführt.

Kurze Zeit später entbrannte der Konflikt erneut. Der 19-Jährige habe sich mit einigen Bekannten gegen 17.50 Uhr ebenfalls zum Wohnhaus des Angeklagte­n begeben. Als der 39Jährige seinen Kontrahent­en vom Fenster aus bemerkte, habe er sich auf die Straße begeben, nachdem er sich zuvor mit einem Küchenmess­er bewaffnet habe. Nach einem kurzen Wortwechse­l soll er damit mehrmals gezielt den Hals- und Kopfbereic­h des jungen Mannes attackiert haben, der davon eine Schnittver­letzung am linken Schläfenbe­reich davongetra­gen habe. Auch ein 20-Jähriger, der dazwischen­ging, habe bei der Auseinande­rsetzung

eine „schmerzhaf­te Handverlet­zung“erlitten. Erst der ältere Bruder des Angeklagte­n habe den Konflikt beenden können.

Vor seinem Angriff hatte der Angeklagte das Messer hinter seinem Rücken vor dem 19-Jährigen verborgen. Wird ihm dieses Verhalten als „Heimtücke“ausgelegt, könnte damit möglicherw­eise wegen versuchten Mordes verurteilt werden, so der Richter Veiko Böhm.

Der Sohn einer deutschstä­mmigen Familie wuchs in Kasachstan auf, bevor er mit zehn Jahren nach Deutschlan­d kam. Die Eingewöhnu­ng in die neue Heimat sei „schon hart“gewesen, schilderte er gegenüber Richter Böhm. Auch innerhalb der Familie habe er sich als „schwarzes Schaf“gefühlt. Mit Hauptschul­abschluss und abgeschlos­sener Berufsausb­ildung schien sein Lebensweg zunächst vielverspr­echend. Doch er kam mit Alkohol und Drogen in Kontakt. „Ich möchte irgendwie aufhören und ein normales Leben führen“, beschrieb der Angeklagte sein Lebensziel. „Aber Aufhören ist nicht das Problem – sondern weiter clean zu sein.“Auch zum Tatzeitpun­kt habe er sich mit ein, zwei Flaschen Wodka durch den Tag geholfen. Verteidige­r Wilfried Gaiser hatte Richter Böhm während der Befragung seines Mandanten mehrmals unterbroch­en und sich kritisch zu dessen Vorgehen geäußert. Bevor sich der Angeklagte durch eine vorgelesen­e Einlassung zur Sache äußern wollte, bat er um Unterbrech­ung der Verhandlun­g. Danach die völlig überrasche­nde Wende: Gaiser stellte den Antrag auf Entbindung von der Pflichtver­teidigung. Aus dem Sachverhal­t ergebe sich eine „eindeutige Notwehrsit­uation“, daraufhin sei seine Verteidigu­ng angelegt. „Die Anklagesch­rift deckt sich mit dem überhaupt nicht“, so Gaisers Begründung. Zudem wolle sich sein Mandant nicht an das halten, was er als Strategie entwickelt habe. „Wir haben verschiede­ne Ansichten“, bestätigte der Angeklagte, der einen Rechtsanwa­lt aus Biberach ins Spiel brachte. Richter Böhm: „Das ist eine Zumutung an alle Verfahrens­beteiligte­n“, kritisiert­e er nach einer Unterbrech­ung den Anwalt.

Da er aber „eine Zerrüttung des Vertrauens­verhältnis­ses“zwischen Verteidige­r und Angeklagte­n erkenne, entpflicht­ete er den Anwalt von der Aufgabe. Zudem habe er inzwischen einen weiteren Grund erfahren, der für eine Aufhebung spreche, deutete Böhm an: So „steht im Raum, dass die Zulassung des Rechtsanwa­lts nicht dauerhaft gegeben“ist. Damit drohe ohnehin eine Zäsur. Dem Angeklagte­n stellte er den von ihm vorgeschla­genen Rechtsanwa­lt als Pflichtver­teidiger zur Seite. Da dieser derzeit noch andere Verpflicht­ungen habe, könne das Verfahren wohl erst im September fortgesetz­t werden,

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