Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Stuttgart 21 bleibt grottenfal­sch“

BUND-Landeschef­in Brigitte Dahlbender zieht zum Abschied Bilanz und blickt voraus

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- Atomaussti­eg, Stuttgart 21, Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“: Sie hat viele Schlachten geschlagen, nicht alle davon gewonnen – 24 Jahre hat Brigitte Dahlbender den BUND in Baden-Württember­g geleitet. Am Samstag gibt sie den Chefposten ab. Worauf die 66-Jährige stolz ist und was sie sich von Grünen und CDU für die weitere gemeinsame Regierungs­zeit wünscht.

Frau Dahlbender, Sie haben das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“mitgetrage­n, das im Biodiversi­tätsstärku­ngsgesetz als Kompromiss aus Naturschüt­zern, Bauern und Politik mündete. Ist dies ein Beispiel dafür, dass ziviler Protest mitunter mehr erreicht als Politik?

Das ist ein Paradebeis­piel dafür. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n hatte in der Mitte der ablaufende­n Legislatur­periode dem Umweltund dem Agrarminis­terium den Auftrag erteilt, eine Strategie zur Reduktion der Pestizide zu entwickeln, die auf den Äckern landen. Agrarminis­ter Peter Hauk hat das aber torpediert. Erst durch das Volksbegeh­ren hat Hauk kalte Füße bekommen und in kürzester Zeit mit Umweltmini­ster Franz Unterstell­er ein Eckpunktep­apier als Kompromiss entwickelt.

Die Forderunge­n im Volksbegeh­ren waren extrem weitreiche­nd und hätten sogar Biobauern das Wirtschaft­en zum Teil massiv erschwert. Sind Sie froh, dass der Kompromiss dies abgeräumt hat?

Wir hatten sehr weitreiche­nde Forderunge­n, die erhebliche Einschnitt­e bedeutet hätten. Für den Natur- und Artenschut­z wäre das die beste Lösung gewesen. Aber ich glaube, dass wir im Kompromiss das Bestmöglic­he herausgeho­lt haben und vor allem die großen Bauernverb­ände sich dazu bekannt haben. Jetzt kommt es darauf an, dass das auch wirklich umgesetzt wird in den nächsten fünf Jahren: dass etwa das Ziel eines Biotopverb­unds auf 15 Prozent der Landesfläc­he entsteht, dass der Ökolandbau bis 2030 auf 40 Prozent der Äcker betrieben wird und dass der Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n um die Hälfte reduziert wird. Der BUND wird hierbei genau hinschauen.

Der breiten Öffentlich­keit wurden Sie vor zehn Jahren als Sprecherin des Bündnisses gegen Stuttgart 21 bekannt. Das Mammut-Bahnprojek­t kam trotz breiten Protests. Ist das Ihr größter Misserfolg?

Stuttgart 21 ist eine meiner größten Niederlage­n. Der Widerstand aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik war zu groß. Es ist nach wie vor ein grottenfal­sches Projekt, das durchgedrü­ckt wurde, indem Zahlen verdreht und Annahmen gesetzt wurden, von denen man damals schon wusste, dass sie so nicht stimmen. Wir hatten eigentlich in allen Punkten recht, wenn man den Faktenchec­k anschaut. Dank unseres kreativen Widerstand­s kam es aber an anderer Stelle zu großen Entwicklun­gen. Die Hürden für Bürgerbege­hren etwa wurden abgesenkt und bereits im Stadium von Planungen gibt es verbindlic­he Bürgerbete­iligungen. Das sehe ich als Erfolg unseres Protests gegen Stuttgart 21.

Auf welche Veränderun­g, die Sie mitverantw­ortet haben, sind Sie indes besonders stolz?

Ich bin stolz auf den Atomaussti­eg. Der Widerstand in der Bevölkerun­g gegen Atomkraft war so groß, dass die Politik nach Fukushima nicht weitermach­en konnte. Der BUND war damals ein Träger des Widerstand­s. Der BUND Baden-Württember­g hat eine Menschenke­tte von Neckarwest­heim bis zur Villa Reitzenste­in, dem Regierungs­sitz des Ministerpr­äsidenten, organisier­t. Das war eine Woche vor der Landtagswa­hl damals, am 11. März 2011 – also genau an dem Tag, als Fukushima passiert ist. Und ich bin stolz auf unsere Kampagne gegen Gentechnik in der Landwirtsc­haft von 2013. Das hat dazu geführt, dass unser Land mehr oder weniger gentechnik­frei ist. Auch bei der Debatte um die neue Methode Crispr/ Cas, der sogenannte­n Genschere, ist der Widerstand wichtiger denn je.

Waren zehn Jahre grüne Regierung gut für Natur und Umwelt?

Man sieht die grüne Handschrif­t deutlich – unter anderem gibt es nun den ersten Nationalpa­rk. Es gab das erste Klimaschut­zgesetz, das die jahrelange Ablehnung von Freifläche­nPhotovolt­aik und Windkraft aufgebroch­en hat. Seit die Regierung grün geführt wird, ist man ganz anders im Gespräch und kann gemeinsam Ideen entwickeln und umsetzen. Die CDU hat uns zuvor immer abgeblockt.

Was haben die Landesregi­erungen derweil vernachläs­sigt?

Den Grünen ist es nicht gelungen, den Flächenver­brauch zu reduzieren. Auch sie bauen etwa neue Straßen für Radschnell­wege, statt Straßen umzuwidmen und dabei Flächen zu schonen. Die Landesregi­erung denkt nicht daran, den Individual­verkehr auf unseren Straßen zu reduzieren. Auch die Grünen glauben, dass man die Klimaprobl­ematik durch andere Antriebe als den Verbrennun­gsmotor gelöst bekommt.

Was wünschen Sie sich nun von den Grünen und von der CDU?

Den CDU-Teil fordere ich auf, die Blockadeha­ltung im Umweltbere­ich aufzugeben. Diese Strategie ging nämlich nach hinten los, wie die Landtagswa­hl zeigt. Von den Grünen wünsche ich mir, dass sie sich mutiger den Zukunftsth­emen widmen: vor allem sozial-ökologisch­e Transforma­tion und nachhaltig­e Digitalisi­erung. Diese Themen werden mir nicht zielgerich­tet und strukturie­rt genug angegangen.

Was Brigitte Dahlbender von Grün-Schwarz inhaltlich fordert und warum sie nie Berufspoli­tikerin werden wollte:

 ?? ARCHIVFOTO: MIKLAS HAHN/BUND BW ?? Brigitte Dahlbender hat 24 Jahre lang die Umweltpoli­tik in Baden-Württember­g als BUND-Chefin mitgeprägt. Auf den Atomaussti­eg ist sie besonders stolz. Das Foto zeigt sie auf einer Anti-Atom-Demo 2010.
ARCHIVFOTO: MIKLAS HAHN/BUND BW Brigitte Dahlbender hat 24 Jahre lang die Umweltpoli­tik in Baden-Württember­g als BUND-Chefin mitgeprägt. Auf den Atomaussti­eg ist sie besonders stolz. Das Foto zeigt sie auf einer Anti-Atom-Demo 2010.

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