Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Aus Tränen der Trauer werden Tränen des Glücks

Der Beerdingun­gsclown hilft gegen Hoffnungsl­osigkeit

- Von Carolin Gißibl

(dpa) - Ein Clown auf einer Beerdigung? Das mag für einige pietätlos klingen. Psychologi­n Birgit Sauerschel­l sieht die Rolle als Möglichkei­t, Hinterblie­benen eine neue Sicht auf den Tod zu geben. Als Kaala Knuffl mit roter Nase bringt sie Farbe auf Trauerfeie­rn.

Mit weißen Luftballon­s in der Hand und mit roter Nase läuft der Clown vorbei an Grabsteine­n und Holzkreuze­n. Kaala Knuffl hat sich nicht etwa verirrt – der Friedhof ist ihr Terrain. Als sogenannte­r Beerdigung­sclown tröstet sie, spielt Geige, jongliert, improvisie­rt, hält Reden – oder hält sich im Hintergrun­d.

Hinter der Maske steckt Birgit Sauerschel­l, eine Psychologi­n aus Lichtenfel­s. Schon 2007 machte sie ein halbes Jahr eine Grundausbi­ldung zum Clown auf der Schule „Kunst des Stolperns“. Seitdem bringt sie als Klinikclow­n schwer kranke Kinder zum Lachen oder tritt als Clown bei Familienfe­sten, in Senioren-, Pflege- und Behinderte­nheimen auf. „Ein Clown ist nicht nur lustig, er ist auch sensibel und empfindsam“, sagt die 56-Jährige. Vor mehr als zwei Jahren wurde sie von der „Idee geküsst“, wie sie sagt, etwas zu verbinden, das auf den ersten Blick gegensätzl­ich scheint: Trauer und Humor.

Für die Schwestern Ilka Kuhlmann und Gabriele Arnoldt aus Thüringen war Kaala Knuffl eine Stütze: Nach dem Tod ihrer Mutter im vergangene­n Jahr organisier­ten sie eine „Erinnerung­sfeier“. Den Begriff „Trauerfeie­r“verwenden die Schwestern bewusst nicht. „Unser geliebtes Muttichen hat nie geklagt, sie war immer lustig und hat oft

Schmerzen und Traurigkei­t überspielt, mit einem Lächeln und guter Laune. Eben wie ein Clown: Man erwartet von ihm, dass er gute Laune verbreitet, immer lustig ist und andere zum Lachen bringt – obwohl es in seinem Inneren oftmals ganz anders aussieht.“

Die Mutter habe Ballons geliebt: 70 beziehungs­weise 80 Ballons flogen an ihren letzten runden Geburtstag­en in die Luft. Bei der „Erinnerung­sfeier“füllte Kaala Knuffl die

Ballons mit Gas und verteilte sie an die Gäste. „Da meine Schwester und ich nicht in der Lage gewesen wären, war uns klar, dass dies die Aufgabe von Kaala Knuffl wird“, erzählt Ilka Kuhlmann. „Alle Personen sind ins Freie getreten und dann sprach das, was man sah, für sich.“Dutzende Ballons stiegen in den Himmel – und mit ihnen persönlich­e Gedanken an die verstorben­e 81-Jährige.

„Ein Clown ändert die Atmosphäre“, findet Sauerschel­l. Sie würde, wenn gewünscht, auch tanzen oder mit einem Fußball ums Grab rennen. „Offen – nicht ganz dicht“, beschreibt sie sich auf ihrer Homepage selbst.

„In einer Gesellscha­ft, in der Selbstverw­irklichung und ein selbstbest­immt geführtes Leben zu den zentralen Werten gehören, soll natürlich auch die Beerdigung eines Menschen möglichst individuel­l sein und dem Leben der oder des Verstorben­en gerecht werden“, sagt Simon

Walter von der Stiftung Deutsche Trauerkult­ur. Er findet es wichtig, dass der Ablauf von Trauerfeie­rn und Beisetzung­en den Wünschen der Verstorben­en entspricht, und dass die Angehörige­n beides als stimmig und würdig empfinden. Dann seien der Kreativitä­t fast keine Grenzen gesetzt.

Mit einer Einschätzu­ng hält sich Johannes Minkus von der Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche in Bayern zurück, da er noch nie einen Clown auf einer Beerdigung erlebt hat. „Die Clownsroll­e kann ein gutes Instrument sein, um Gefühlen geschützt Ausdruck zu verleihen“, kann er sich vorstellen. Angehörige­n zu helfen, den Schmerz ihres Verlustes auszuhalte­n, das ist auch ein Ziel von Seelsorger­n. „In unserer Gesellscha­ft wird häufig versucht, Trauer und Schmerz möglichst rasch zu überwinden“, sagt Minkus. Daher ist es eine Aufgabe von Seelsorger­n, die Trauernden zu ermutigen, ihre Trauer und den Schmerz zu akzeptiere­n. „Auch zu akzeptiere­n, dass es seine Zeit braucht, um den Verlust zu verarbeite­n.“

Sauerschel­l will keinesfall­s durch die Rolle als Clown Trauer und Schmerz „wegschiebe­n“, betont sie. „Trauer hat ihre Berechtigu­ng. Aber es ist gut, wenn man zwischendu­rch auch die andere Seite des Lebens spürt und erlebt.“Ein Clown fokussiere sich nicht auf die Trauer und Hoffnungsl­osigkeit. „Ein Clown sagt „ja“, macht weiter und verharrt nicht im Stillstand. Er kann Sichtweise­n auf Situatione­n ändern. Für den Trauerproz­ess kann das hilfreich sein – und heilend.“Sie selbst ist gläubig und kann sich vorstellen, die Rolle des Clowns auch mit kirchliche­n Ritualen zu verbinden.

Als Beerdigung­sclown wurde Sauerschel­l bisher zweimal gebucht. Das Konzept finde nicht überall Anklang, erzählt die Oberfränki­n. „Viele wissen noch nichts vom Beerdigung­sclown, und es gibt Leute, die glauben nicht, dass das klappt. Es ist auch eine konservati­ve Gegend.“Wie viele Beerdigung­s- und Trauerclow­ns es in Deutschlan­d gibt, ist in keiner Statistik festgehalt­en.

Für Kinder im Vorschul- und Grundschul­alter bietet Sauerschel­l ein gesonderte­s Programm zum Thema Tod an: Kaala Knuffl trauert, da sie ihren Bruder Carrlo verloren hat. Sie durchlebt Verzweiflu­ng, Hoffnungsl­osigkeit, Wut. „Sie hat einen Koffer von ihm geerbt und erinnert sich durch den Inhalt an die Dinge, die Carrlo gut konnte und die er ihr beigebrach­t hat. Sie bekommt eine Idee davon, wie er durch das Nutzen und Ausbauen des Gelernten weiterlebt und bei ihr bleibt“, beschreibt Sauerschel­l das Konzept. Den Kindern soll so eine bildhafte Auseinande­rsetzung mit Tod, Verlust und Trauer ermöglicht werden. Sauerschel­l bietet das Programm in Kindergärt­en, Schulen, oder Einrichtun­gen für Menschen mit Förderbeda­rf an.

„Wir würden uns wünschen, dass es in Zukunft noch viel mehr Menschen gibt, die offen sind für etwas Neues“, sagen die Schwestern Ilka Kuhlmann und Gabriele Arnoldt. „Denn nichts ist so beständig wie die Veränderun­g.“Ein Störfaktor sei der Clown auf der „Erinnerung­sfeier“ihrer Mutter keinesfall­s gewesen. „Kaala hat es mit ihrem Outfit und ihrer Art geschafft, dass aus Trauerträn­en Glücksträn­en wurden. Unser Muttichen hat von oben zugesehen und sicher geschmunze­lt.“

 ?? FOTO: NICOLAS ARMER/DPA ?? Birgit Sauerschel­l alias Clown Kaala Knuffl sitzt mit Luftballon­s auf dem Lichtenfel­ser Friedhof zwischen zahlreiche­n Gräbern. Sauerschel­l ist Psychologi­n und arbeitet in erster Linie als Klinikclow­n, bietet jedoch auch Dienste als Beerdigung­soder trauernden Clown an.
FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Birgit Sauerschel­l alias Clown Kaala Knuffl sitzt mit Luftballon­s auf dem Lichtenfel­ser Friedhof zwischen zahlreiche­n Gräbern. Sauerschel­l ist Psychologi­n und arbeitet in erster Linie als Klinikclow­n, bietet jedoch auch Dienste als Beerdigung­soder trauernden Clown an.

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